Im Fokus: Lausitzer „grüne“ Carbonfasern der Zukunft
Projekt „InnoCarbEnergy“, an dem das Forschungscluster MERGE der TU Chemnitz beteiligt ist, stellt Weichen für zukunftsorientierte Entwicklung der Lausitz
Mit Hilfe der wissenschaftlichen Kompetenzen des Forschungsclusters MERGE der Technischen Universität Chemnitz, des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP und weiterer Forschungseinrichtungen aus Sachsen und Brandenburg soll der Kraftwerksstandort Boxberg/Oberlausitz in den kommenden Jahren eine zusätzliche Perspektive auf der Basis von „grünen“ Carbonfasern erhalten.
Strukturwandel in der Lausitz
Die wirtschaftliche Struktur der Lausitz ist historisch durch den Bergbau- und den Energiesektor geprägt, wo vor der deutschen Wiedervereinigung mehr als die Hälfte der Beschäftigten aus der Region tätig waren. Mit der Wende erfuhr die Lausitz einen ersten Strukturwandel, in dessen Folge die Beschäftigungszahlen in diesen Sektoren stark zurückgingen. Mit den beschlossenen klimapolitischen Maßnahmen, die den vollständigen Ausstieg aus der Kohleverstromung vorsehen, folgt eine erneute Beschleunigung des kontinuierlichen Strukturwandelprozesses bis 2038. Die mit den Klimaschutzzielen verbundenen Verpflichtungen zur Dekarbonisierung der Wirtschaft werden in den bisher stark von der Braunkohle abhängigen Gebieten einen Paradigmenwechsel bewirken, wobei die davon betroffenen Regionen unterschiedliche Potentiale aufweisen. Die inneren Stärken und Vorteile dieser Regionen müssen für einen erfolgreichen Strukturwandel besonders berücksichtigt werden.
Schlüsseltechnologie Carbonfaserleichtbau
Geeignete Pfade für die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft im Braunkohlerevier der Lausitz sind beispielsweise die von der Europäischen Kommission identifizierten Schlüsseltechnologien, die das Potential besitzen, in praktisch allen Sektoren und Branchen Innovationszyklen zu beschleunigen und hochqualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist jedoch verbunden mit einem hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwand. Eine dieser Schlüsseltechnologien nutzen fortgeschrittene Leichtbauwerkstoffe, die ein breites Spektrum an maßgeschneiderten Eigenschaften besitzen, wozu „grüne“ Kohlenstofffasern auf Basis nachwachsender Rohstoffe und erneuerbarer Energien zählen. Aus den Hochleistungsfasern hergestellte Technische Textilien erleben derzeit eine Renaissance als Verstärkungsmaterialien von hochbelasteten Strukturbauteilen, wobei insbesondere carbonfaserverstärkte Kunststoffe (CFK) zu den Werkstoffen der Zukunft zählen. CFK-Bauteile besitzen sehr hohe spezifische mechanische Eigenschaften, die bereits heute Gewichtsvorteile gegenüber vergleichbaren Aluminium- und Stahlbauteilen von bis zu 50 Prozent erreichen. Weltweit steigen daher der Bedarf und die Produktionskapazitäten für Carbonfasern stetig an. „Da deren Einsatz jedoch von hohen Kosten, einer petrochemischen Basis und einem diskreten Eigenschaftsspektrum dominiert wird, tritt das Wachstumsszenario Carbonfaserleichtbau in Großserie nur dann ein, wenn die Potentiale zur Kostenreduktion bestmöglich ausgeschöpft werden, maßgeschneiderte Eigenschaften gegenüber einem starren Portfolio dominieren und der CO2-Fußabdruck massiv zurückgeht“, sagt Prof. Dr. Lothar Kroll, Leiter des Forschungsclusters MERGE an der TU Chemnitz. Das strategische Konzept zur Etablierung des Forschungsfeldes „Carbonfaser und Verarbeitung“ in der Lausitz sei daher genau auf diese Ziele als Innovationstreiber der Wirtschaft ausgerichtet und ebne den Weg für zahlreiche neue CFK-Leichtbauanwendungen.
Grünes Licht für die Carbonfaserforschung in der Lausitz
Mit der erstmaligen offiziellen Befürwortung der Carbonfaserforschung in der Lausitz als eines der vorgeschlagenen Landesprojekte im Rahmen des Strukturwandels durch den Regionalen Begleitausschuss des Lausitzer Reviers am 29. Juni 2021, dem positiven Votum innerhalb der Interministeriellen Arbeitsgruppe der Sächsischen Staatsregierung und der jetzt vorliegenden Einwandverzichtserklärung des Bundes sind alle politischen Weichen für den Aufbau einer sogenannten Carbon LabFactory Lausitz in Boxberg/Oberlausitz mit geplanten Investitionen in Höhe von etwa 36 Millionen Euro gestellt. Vor diesem Hintergrund startet nun das Projekt InnoCarbEnergy auf sächsischer Seite unter Leitung des Forschungsclusters MERGE der TU Chemnitz in die nächste Phase. Bereits seit März analysieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Vertretern der Gemeindeverwaltung Boxberg/Oberlausitz, dem Unternehmen LEAG, dem Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP sowie der BTU Cottbus-Senftenberg im Rahmen einer Machbarkeitsstudie die Anforderungen an „grüne“ Carbonfasern. Neben wichtigen Impulsen aus der Wirtschaft liegen dem Team um Professor Kroll nun umfangreiche Ergebnisse zu Potentialen von Carbonfasern in zahlreichen Branchen, innovativen Lösungsansätzen für „grüne“ Carbonfasern, möglichen Standortentwicklungsszenarien in Boxberg/Oberlausitz und weiterführenden Prozessrouten vor. „In den kommenden Jahren werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die ganzheitliche Wertschöpfungskette – vom Molekül über die Carbonfaser, textile Halbzeuge und Preformen bis hin zu Hochleistungsbauteilen und -systemen zu industriellen Bedingungen – weiter erforschen und in die Praxis transferieren“, sagt Kroll. Die Carbon LabFactory Lausitz Sachsen versteht sich als Nukleus für die Ansiedlung von Unternehmen in der Lausitz. Auf Basis zukunftsweisender Leichtbautechnologien soll gemeinsam mit der Wirtschaft die klimafreundliche Transformation der Region von der Kohlewirtschaft zu einer selbsttragenden Bioökonomie nachhaltig gestaltet werden. Gleichzeitig gilt es, die Technologieführerschaft in Deutschland und Europa auf dem wichtigen Markt der ressourceneffizienten Produktion und Nutzung von Leichtbaustrukturen weiter auszubauen und einen wichtigen Beitrag für neue Arbeitsplätze in der Lausitz sowie für das Gelingen des Strukturwandels bis 2038 zu leisten. Über diese Perspektive und den Aufbau einer neuen Pilotanlage zur Herstellung von „grünen“ Carbonfasern in seiner Region freut sich auch der Boxberger Bürgermeister, Achim Junker, der das Vorhaben weitreichend unterstützt. Vergleichbare Pilotanlagen gibt es aktuell nur am Oak Ridge National Lab, USA, und bei CarbonNexus, Australien.
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Lothar Kroll, Koordinator des Forschungsclusters MERGE, Telefon 0371 531-13910, E-Mail merge@tu-chemnitz.de
(Autoren: Sylvia Strauß, Mario Naumann)
Mario Steinebach
11.11.2021