„Tatsächlich hat die Zeitumstellung keinen so großen Einfluss auf unsere Zeitwahrnehmung“
Im Interview spricht Zeitforscherin Dr. Isabell Winkler über die bevorstehende Zeitumstellung und welche Erkenntnisse die Forschung zur individuellen Zeitwahrnehmung hat
Dr. Isabell Winkler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Forschungsmethodik und Evaluation in der Psychologie (Leitung: Prof. Dr. Peter Sedlmeier) der Technischen Universität Chemnitz und erforscht das subjektive Zeitempfinden und psychologische Faktoren der Zeitwahrnehmung.
Frau Winkler, Sie erforschen die Wahrnehmung von Zeit und zeitlichen Abläufen. Haben wir Menschen ein angeborenes Gespür für die Zeit?
Auch Tiere und kleine Kinder können bereits Unterschiede in der Dauer von Reizen wahrnehmen. Daher kann man davon ausgehen, dass die Wahrnehmung von Zeit angeboren ist. Was jedoch eine lange beziehungsweise kurze Dauer bedeutet, muss gelernt werden – wie das Zählen oder die Uhr lesen.
Apropos Lernen: Sogenannte Achtsamkeitstrainings sind ja schwer im Trend. Man lernt zum Beispiel, mehr im Moment zu leben. Verbessert Achtsamkeit auch unser Zeitgefühl?
Es kommt darauf an, was man erreichen möchte. Zeitdruck, Stress und sich täglich wiederholende Routinen – Faktoren also, die jeweils dafür sorgen, dass wir weniger Details unseres Lebens wahrnehmen und als neuartig bzw. unterschiedlich abspeichern können – sorgen für das rückblickend unangenehme Gefühl, dass unsere Lebenszeit nur so verfliegt. Achtsamkeit kann dieses Gefühl schon etwas ausbremsen. Wird man sich stärker des Moments bewusst, also achtet man auf die Wahrnehmungen im eigenen Körper, auf Details der Umgebung und auch auf die Zeit selbst, dann verlangsamt sich für die meisten Menschen die Geschwindigkeit der Zeit.
Gibt es eigentlich unterschiedliche Typen in Bezug auf das Zeitempfinden?
Ich würde hinsichtlich des Zeitempfindens nicht von Typen sprechen. Es gibt aber schon einige Persönlichkeitsmerkmale, die einen überdauernden Einfluss auf das Zeitempfinden haben.
Zum Beispiel?
Impulsivität – Menschen mit höheren Impulsivitätswerten sind anfälliger für Langeweile und können schlechter Belohnungsaufschub betreiben.
Was bedeutet das?
Im berühmten Marshmallow-Test von Walter Mischel verbrachten Kinder zehn Minuten allein in einem Raum mit einem Marshmallow. War der Marshmallow nach dieser Zeit unberührt, bekamen sie einen zweiten. In den Varianten für Erwachsene geht es meist um reelle oder gedachte monetäre Belohnungen. Impulsivere Menschen überschätzen dabei die Dauer, bis es zur Belohnung kommt und können daher schlechter Warten.
Welche weiteren Persönlichkeitsmerkmale kennt die Forschung?
Ein weiteres Merkmal, das Einfluss auf das Zeitempfinden haben kann, ist Depressivität. In einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2015 wurde gezeigt, dass für depressive Patienten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe die Zeit langsamer zu vergehen scheint.
Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Forschung sind psychologische Faktoren des Zeitempfindens. Welche kann man da unterscheiden?
Es gibt mehrere Faktoren, die Einfluss auf unser Zeitempfinden haben. Der vermutlich stärkste und intuitivste Faktor ist, wie wohl wir uns fühlen.
Zum Beispiel Situationen, in denen wir Spaß haben beziehungsweise uns amüsieren. Bekanntlich vergeht da die Zeit besonders schnell – zumindest gefühlt.
Genau. Oder um es mit dem bekannten Motto zu sagen: Time flies, when you are having fun. Ein zweiter sehr einflussreicher Faktor, der sicherlich auch stark vom – nennen wir es mal Fun Factor – beeinflusst wird, ist das Ausmaß der Aufmerksamkeit, die wir auf das Zeitvergehen richten. Achten wir auf die Zeit, wie beim Warten, dann erscheint die Zeit endlos, sind wir abgelenkt, vergeht die Zeit wie im Flug.
Wie ist es, wenn wir uns besonders stark auf eine bestimmte Sache oder Handlung konzentrieren?
Die meisten Menschen kennen das Gefühl von Flow, wenn man mit voller Konzentration an einer spannenden Aufgabe arbeitet, gar nicht auf die Zeit achtet und am Ende kaum glauben kann, wie viel Zeit bereits vergangen ist. Ein dritter Einflussfaktor, zu dem es viele Befunde in der Zeitforschung gibt, ist körperliches oder emotionales Arousal.
Was ist damit gemeint?
Das beschreibt eine Erregung, die man als Sympathikus-Aktivierung messen kann. Also einen Teil des Nervensystems. Je höher das Arousal, desto langsamer scheint die Zeit zu vergehen. Man kann sich die Wirkung dieses Faktors leicht vorstellen, wenn man an anstrengende Sportübungen wie Liegestütze denkt und sich überlegt, wie lang sich drei Minuten in einer solchen Situation anfühlen.
Am 26. März beginnt die Sommerzeit und die Uhren werden in der Nacht von Samstag auf Sonntag um eine Stunde nach vorn gestellt. Was macht die Zeitumstellung mit unserer Zeitwahrnehmung?
Tatsächlich hat die Zeitumstellung keinen so großen Einfluss auf unsere Zeitwahrnehmung. In unserer aktuellen Studie, die ich zusammen mit Mara Yasin und 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt habe, haben wir auch gefragt, wie belastend die Zeitumstellung empfunden wird. Wir haben gesehen, dass die Belastungen im Alltag nicht als stark empfunden werden. Dies widerspricht jedoch biologischen bzw. medizinischen Erkenntnissen. Die Probanden haben als Grund für die Belastung am häufigsten angegeben, dass ihr Tagesrhythmus gestört wird. Befragt nach ihrer Präferenz für Sommer- oder Winterzeit waren sie im Sommer klar für die Sommerzeit. Für die Wintermonate zeigte sich jedoch keine eindeutige Präferenz.
Vielen Dank für das Gespräch.
Multimedia:
In der Podcast-Reihe "TUCscicast" der TU Chemnitz ist eine Folge (Staffel 1, Episode1) mit Dr. Isabell Winkler und weiteren Hintergründen zu ihrer Forschung verfügbar.
Matthias Fejes
25.03.2023