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Weltweite Fluchtprozesse im Blick der Wissenschaft

Vierte Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung e. V. mit umfangreichem Programm findet vom 28. bis 30. September 2022 an der TU Chemnitz statt – 400 Konferenzgäste aus aller Welt nehmen an der hybriden Veranstaltung teil

Vom 28. bis 30. September 2022 werden an der Technischen Universität Chemnitz Fluchtforscherinnen und Forscher aus Deutschland und aus über 30 weiteren Ländern zusammenkommen, um im Rahmen der Vierten Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung e. V. den Stand der wissenschaftlichen Forschung zu diesem Thema zu beleuchten. Prof. Dr. Birgit Glorius von der gastgebenden Professur Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung an der TU Chemnitz erläutert die Vielschichtigkeit und Aktualität des Themas: „In diesem Jahr erreichen wir mit 89 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen weltweit einen traurigen Höchststand. Dabei ist mit dem Krieg in der Ukraine das Thema für die deutsche Öffentlichkeit wieder näher gerückt. Das Netzwerk Fluchtforschung ermöglicht jedoch einen kontinuierlichen Blick auf Fluchtprozesse und trägt dazu bei, mit wissenschaftlicher Expertise diese politische und gesellschaftliche Herausforderung zu meistern, unter anderem durch den Transfer neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse in Politik und Öffentlichkeit.“

Flüchtende sind von einer Vielzahl an Gefahren und Herausforderungen konfrontiert, denen sie mit unterschiedlichen Bewältigungsstrategien begegnen. „Der Flüchtling“ fordert dabei – wenn nicht als Person, so doch als Kategorie – fundamentale Prinzipien von Staatlichkeit, Recht, politischen Gemeinschaften und Gesellschaft heraus. Doch auch aufnehmende Staaten und Kommunen werden durch die Aufnahme von Geflüchteten herausgefordert und müssen Aufnahmeprozesse gestalten und gegenüber der einheimischen Bevölkerung transparent machen. Die Flucht- und Flüchtlingsforschung untersucht, analysiert und konzeptualisiert all diese Aspekte und muss dabei Fragen von Wissenstransfer, von normativen und ethischen Grundlagen sowie Gesellschaftskritik beantworten.

Die vierte Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung e. V. an der TU Chemnitz bietet die Gelegenheit, diese Fragen anhand neuster Studien und Forschungsergebnisse aus der deutschsprachigen und internationalen Flucht- und Flüchtlingsforschung zu diskutieren. Glorius freut sich, dass die Konferenz in Chemnitz stattfinden wird: „Diese Tagung ist auch eine Möglichkeit, ein Zeichen für die Bedeutung des Themas in Verbindung mit gesellschaftlichem Zusammenhalt zu setzen. Gerade in Chemnitz, aber auch insgesamt im Osten Deutschlands, sind viele zivilgesellschaftlich Engagierte im Kontext von Migration und Flucht aktiv im Bereich Demokratieförderung und Antirassismus. Diese Themen sind uns wichtig, und sie werden deshalb auf der Konferenz angemessen repräsentiert.“

Weitere Schwerpunkte sind raumbezogene Fragen der Flucht- und Flüchtlingsforschung sowie die Diskussion der Entwicklungen im deutschsprachigen Forschungsfeld im Vergleich zur internationalen Fluchtforschung. Mit einem Ukraine-Schwerpunkt reflektiert die Tagung auch die Fluchtbewegungen im Kontext der russischen Invasion. Eine Keynote zweier renommierter Migrationsforscherinnen bzw. Migrationsforscher aus Deutschland (Dr. Franck Düvell, Universität Osnabrück) und der Ukraine (Dr. Viktoria Sereda, Katholische Universität der Ukraine) reflektiert am Beispiel der Fluchtbewegungen aus der Ukraine die Vieldimensionalität von Fluchtbewegungen, die in der öffentlichen Wahrnehmung meist unterschätzt wird und damit auch zu fehlerhaften politischen Schlussfolgerungen führt. „Die Öffentlichkeit konzentriert sich hauptsächlich auf Flüchtlinge, die aus dem Land fliehen, während das Schicksal der Binnenvertriebenen vernachlässigt wird“, so Düvell: „Tatsächlich gab es bereits seit 2014 über 1,5 Millionen Binnenvertriebene in der Ukraine. Viele von ihnen werden jetzt ein zweites Mal vertrieben.“ Zweitens dominiere ein homogenisierender Blick auf die Geflüchteten in und aus der Ukraine, während sie in der Realität eine sozial, politisch, religiös oder ethnisch eher vielfältige Gruppe darstellen. Ein weiterer Schwerpunkt sei eine Korrektur der öffentlichen Wahrnehmung, dass Fluchtbewegungen stets ausschließlich in eine Richtung verlaufen. Düvell: „Flucht wird in der Kartographie meist durch dicke Einwegpfeile von A nach B dargestellt. Wir werden zeigen, dass diese Perspektive falsch ist, denn Flucht führt zu viel komplizierteren Bewegungen, insbesondere schrittweise Flucht, Rückkehr und transnationale Migration.“

„Diese Keynote, ebenso wie die anderen Keynotes und Panels der Tagung, wird auch eine kritische Debatte über die Zentriertheit des forschenden Blicks führen, die häufig vom Globalen Norden aus in den Globalen Süden gerichtet ist, während z. B. die Besonderheiten des Globalen Ostens außen vor gelassen werden“, erläutert Glorius und fügt hinzu:  „Die Anwendung von raumbezogenen aber auch postkolonialen und intersektionalen Forschungsperspektiven hilft uns, die Vielschichtigkeit des Themas zu entfalten und auch für die interessierte Öffentlichkeit besser begreifbar zu machen.“

Die Konferenzen des Netzwerks Fluchtforschung e. V., welches sich 2013 gegründet hat, verstehen sich als Plattform für Diskussionen und Vernetzungen von Forscherinnen und Forschern im Feld der Flucht- und Flüchtlingsforschung. Die Chemnitzer Konferenz 2022 wird die vierte Konferenz des Netzwerks sein, und die bisher internationalste. Sie wird erstmals im vollhybriden Format stattfinden, wie Glorius erläutert: „Derartige Konferenzen haben einen langen Vorlauf, so dass unsere Vorbereitungen mitten in die akute Phase der Corona-Pandemie gefallen sind. Angesichts dieser Unsicherheiten haben wir beschlossen, die Konferenz als Präsenzkonferenz mit Online-Beteiligung zu planen. Ähnlich wie bei hybriden Lehrveranstaltungen haben also Online-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer die Möglichkeit, an den Konferenz-Sessions aus der Ferne teilzunehmen und sich durch Video- und Tonübertragung in die Diskussionen einzubringen.“ Von den rund 400 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern wird etwa die Hälfte diese Möglichkeit nutzen, unter anderem etliche Flüchtlingsaktivisten aus Ländern des Globalen Südens.

Weitere Informationen und Link zum Programm: https://fluchtforschung.net/veranstaltungen/4-konferenz-des-netzwerks-fluchtforschung/

Kontakt: Prof. Dr. Birgit Glorius, Telefon + 49 371 531-33435, E-Mail birgit.glorius@phil.tu-chemnitz.de.

Mario Steinebach
19.09.2022

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