Dem faszinierenden Möbius-Streifen entlockt Forschungsteam mit Beteiligung der TU Chemnitz verblüffende Erkenntnisse über optische Resonanzen, die von der Topologie bestimmt werden
Hochkarätige Veröffentlichung in „Nature Photonics“: Forschungsteam um Prof. Dr. Oliver G. Schmidt von der TU Chemnitz und Dr. Libo Ma vom Leibniz IFW Dresden veröffentlichen außergewöhnlichen Beitrag zur Grundlagenforschung am Möbius-Band, der weit über frühere Vorhersagen hinausgeht
In der aktuellen Ausgabe der äußerst renommierten und viel zitierten internationalen Fachzeitschrift „Nature Photonics“ stellen Prof. Dr. Oliver G. Schmidt, Leiter der Professur für Materialsysteme der Nanoelektronik und wissenschaftlicher Leiter des Forschungszentrums für Materialien, Architekturen und Integration von Nanomembranen (MAIN) an der Technischen Universität Chemnitz, Dr. Libo Ma vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden sowie weitere Kooperationspartner eine Strategie zur Beobachtung und Manipulation der optischen Berry-Phase in Möbius-Ring-Mikrokavitäten vor. In ihrem aktuellen Forschungsbeitrag diskutieren sie, wie eine optische Berry-Phase in dielektrischen Möbius-Ringen erzeugt und gemessen werden kann. Darüber hinaus präsentieren sie den ersten experimentellen Nachweis der Existenz einer variablen Berry-Phase für linear oder elliptisch polarisiertes resonantes Licht.
Faszinierendes Möbius-Band
Ein Möbius-Band ist ein faszinierendes Objekt. Man erhält es, wenn man die beiden Enden eines Papierstreifens um 180 Grad verdreht und miteinander verbindet. Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass dieses Band nur eine Oberfläche besitzt. Dieses faszinierende Band ist nicht orientierbar. Das heißt, man kann nicht zwischen innen und außen oder unten und oben unterscheiden. Durch diese besondere „topologische“ Eigenschaft ist das Möbius-Band ein Objekt unzähliger mathematischer Abhandlungen, künstlerischer Darstellungen und praktischer Anwendungen geworden, zum Beispiel in Bildern von M. C. Escher, als Ehering oder als Antriebsriemen, um beide Seiten des Riemens gleichmäßig abzunutzen.
Bedeutende optische Ringresonatoren
Geschlossene Bänder oder Ringe spielen auch in der Optik und Optoelektronik eine wichtige Rolle. Sie bestanden bis jetzt allerdings nicht aus Möbius-Bändern und sie sind auch nicht aus Papier, sondern werden aus optischen Materialien hergestellt, zum Beispiel aus Silizium und Siliziumdioxid oder Polymeren. Diese „normalen“ Ringe sind auch nicht Zentimeter groß, sondern Mikrometer klein. Breitet sich Licht mit einer gewissen Wellenläge in einem Mikroring aus, so kommt es zu einer konstruktiven Interferenz, die eine optische Resonanz erzeugt. Dieses Prinzip kann man sich anhand einer Gitarrensaite vergegenwärtigen, die bei unterschiedlichen Längen unterschiedliche Töne produziert – je kürzer die Saite, desto geringer die Wellenlänge und umso höher der Ton. Zu einer optischen Resonanz oder konstruktiven Interferenz kommt es genau dann, wenn der Umfang des Rings einem Vielfachen der Wellenlänge des Lichts entspricht. Das Licht resoniert in diesem Fall und man spricht von einem optischen Ringresonator. Im Gegensatz dazu wird das Licht stark abgeschwächt und es kommt zur destruktiven Interferenz, wenn der Umfang des Rings ein ungerades Vielfaches der halben Wellenlänge des Lichts entspricht. Ein optischer Ringresonator prägt also gewisse Wellenlängen des Lichts aus und schwächt Licht anderer Wellenlängen, die nicht in den Ring „passen“, stark ab. Technologisch gesehen wirkt der Ringresonator als optischer Filter, der auf einem photonischen Chip integriert, gezielt Licht „sortieren“ und verarbeiten kann. Optische Ringresonatoren sind zentrale Elemente der optischen Signalverarbeitung in der heutigen Datenkommunikation.
Wie polarisiertes Licht im Möbius-Band zirkuliert
Neben der Wellenlänge ist die Polarisation eine wesentliche Eigenschaft des Lichts. Licht kann in verschiedenster Weise polarisiert sein, zum Beispiel linear oder zirkular. Breitet sich Licht in einem optischen Ringresonator aus, so ändert sich die Polarisation des Lichts nicht und bleibt an jeder Stelle des Rings erhalten.
Die Situation ändert sich grundlegend, wenn man den optischen Ringresonator durch ein Möbius-Band oder besser, einen Möbius-Ring, ersetzt. Um diesen Fall besser zu verstehen, hilft es, sich ein Detail der Geometrie des Möbius-Rings zu vergegenwärtigen. So ist der Querschnitt eines Möbius-Rings typischerweise ein schlankes Rechteck, bei dem zwei Kanten sehr viel länger sind als ihre beiden benachbarten Kanten, wie zum Beispiel bei einem dünnen Papierstreifen.
Nehmen wir nun an, dass linear polarisiertes Licht in dem Möbius-Ring zirkuliert. Weil sich die Polarisation am liebsten in Richtung der langen Querschnittsseite des Möbius-Rings ausrichtet, dreht sich die Polarisation beim vollständigen Durchlaufen des Möbius-Ring kontinuierlich um 180 Grad. Ein gewaltiger Unterschied zu einem „normalen“ Ringresonator, in dem die Polarisation des Lichts stets erhalten bleibt. Und damit nicht genug. Durch die Verdrehung der Polarisation kommt es zu einer Änderung der Phase der Lichtwelle, so dass die optischen Resonanzen nicht mehr bei ganzen Wellenlängenvielfachen, die in den Ring passen, auftreten, sondern bei ungeraden Vielfachen der halben Wellenlänge. Einige Mitglieder der jetzige Forschungsgruppe hatten diesen Effekt bereits 2013 theoretisch vorhergesagt. Diese Vorhersage wiederum beruht auf einer Arbeit des Physikers Michael Berry, der die gleichnamige „Berry-Phase“ 1983 einführte und damit die Änderung der Phase von Licht, dessen Polarisation sich während der Lichtausbreitung ändert, beschrieb.
Erster experimenteller Nachweis
In dem jetzigen im renommierten Fachmagazin „Nature Photonics“ veröffentlichten Artikel wird die Berry-Phase von Licht, das in einem Möbius-Ring zirkuliert, erstmals experimentell nachgewiesen. Dazu wurden zwei Ringe mit gleichem Durchmesser hergestellt. Der erste ein „normaler“ Ring, der zweite ein Möbius-Ring. Und wie vorhergesagt erscheinen die optischen Resonanzen im Möbius-Ring bei anderen Wellenlängen als in dem „normalen“ Ring. Allerdings gehen die experimentellen Ergebnisse weit über die früheren Vorhersagen hinaus. So kommt es nicht nur zu einer Drehung der linearen Polarisation, sondern die Polarisation wird auch zunehmend elliptisch. Die Resonanzen treten nicht exakt bei ungeraden Vielfachen der halben Wellenlänge auf, sondern ganz allgemein bei nicht-ganzzahligen Vielfachen. Um die Ursache für diese Abweichung herauszufinden, wurden Möbius-Ringe mit abnehmender Breite hergestellt. Dabei ergab sich, dass der Grad der Ellipsität in der Polarisation und die Abweichung der Resonanzwellenlänge im Vergleich zu dem „normalen“ Ring immer schwächer ausfiel, je schmaler der Möbius-Ring wurde. Dies lässt sich einfach verstehen, denn auch die besonderen topologischen Eigenschaften des Möbiusrings verschwinden mit abnehmender Breite des Bandes zusehends und gehen in die Eigenschaften eines „normalen“ Rings über. Dies bedeutet aber auch, dass die Berry-Phase in Möbiusringen durch Änderung des Designs einfach kontrolliert werden kann.
Neben den faszinierenden neuen fundamentalen Eigenschaften optischer Möbiusringe eröffnen sich auch neue technologische Anwendungsmöglichkeiten. Die abstimmbare optische Berry-Phase in Möbius-Ringen könnte sowohl für die rein optische Datenverarbeitung klassischer Bits als auch von Qubits dienen und Quantenlogikgatter in der Quantenberechnung und -simulation unterstützen.
Publikation: Wang, J., Valligatla, S., Yin, Y. et al. Experimental observation of Berry phases in optical Möbius-strip microcavities. Nat. Photon. (2022).
DOI: https://doi.org/10.1038/s41566-022-01107-7
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Oliver G. Schmidt, Wissenschaftlicher Direktor des Forschungszentrums MAIN sowie Inhaber der Professur Materialsysteme der Nanoelektronik an der TU Chemnitz, Telefon +49 371 531-36761, E-Mail oliver.schmidt@main.tu-chemnitz.de
Matthias Fejes
23.12.2022