Telepräsenzinteraktion soll zwischenmenschliche Nähe und Verbundenheit vermitteln
Verbund unter Leitung der TU Chemnitz forscht an Lösungen zum kombinierten Einsatz von Virtual Reality und Telepräsenzrobotik zur Verbesserung des Präsenzempfindens räumlich entfernter Personen in realen Umgebungen
Die Kommunikation zwischen Menschen auf Distanz gewinnt in einer globalisierten Welt immer mehr an Bedeutung, da sie oft an unterschiedlichen Orten leben und arbeiten und deshalb auch zunehmend mobil sein müssen. Die Folge: Auch ihr soziales Beziehungsnetz spannt sich über einen immer größer werdenden geographischen Raum auf. Derzeitige Telekommunikationstechnologien besitzen hierbei zwar eine wichtige Rolle, in dem sie durch die Vermittlung entsprechender Sinneseindrücke die Grenzen unserer Umwelt zumindest temporär ausdehnen. Sie erzeugen aber nicht den mit positiven Gefühlen assoziierten Eindruck, tatsächlich beieinander – also räumlich präsent – zu sein und gemeinsam real stattfindende Ereignisse zu teilen.
Neuere interaktive Technologien können zwar Präsenzempfinden und Teilhabe ermöglichen, besitzen aber auch Einschränkungen. So kann mittels Virtual Reality (VR), also dem „Eintauchen“ in eine andere Umgebung mit Hilfe einer VR-Brille, der Eindruck physischer Nähe hergestellt werden. VR erlaubt jedoch nicht die Partizipation an entfernten Umgebungen und damit nicht die Teilhabe an einem real stattfindenden Ereignis. Dies ermöglicht jedoch die Telepräsenzrobotik (TPR), die eine Steuerung eines Roboters in einem entfernten Raum zulässt und dafür ein zweidimensionales Kamerabild der Umgebung überträgt. Eine kombinierte Nutzung beider Ansätze könnte eine neue Qualität der Telepräsenzinteraktion schaffen.
Von der Telekommunikation zur Telepräsenzinteraktion
Damit befasst sich ein von der Professur Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement (Leitung: Prof. Dr. Angelika Bullinger-Hoffmann) der Technischen Universität Chemnitz geführter Forschungsverbund. Im Projekt „Tele-VeRbundenheit“, an dem auch die Professur Produktionssysteme und -prozesse (Leitung: Prof. Dr. Martin Dix) der TU Chemnitz, das Institut für Soziologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie die Unternehmen Die Etagen GmbH aus Osnabrück und die YOUSE GmbH aus Berlin beteiligt sind, werden praxisnahe Lösungen zur kombinierten Nutzung von Virtual Reality und Telepräsenzrobotik in sozialen Kontexten untersucht.
„Während sich Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Bereich VR-basierter Kollaboration derzeit vor allem auf die Digitalisierung und Übertragung von Menschen als virtuelle Abbilder, sogenannter Avatare, fokussieren, gehen wir einen Schritt weiter und betrachten die Einbeziehung der realen Umgebung. Nur so lassen sich Szenarien umsetzen, die eine Teilhabe an realen Ereignissen für räumlich entfernte Personen ermöglichen“, berichtet Dr. Frank Dittrich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement, der das Projekt initiierte. „Der Einsatz von echtzeitfähigen immersiven Bildübertragungen, die mittels VR-Brillen erlebt werden, kann hierbei ein möglicher Ansatz sein“, so Dittrich weiter. Deshalb werden die Forschenden neben reiner stereoskopischer Videoübertragung auch mit der Kombination 3D-fähiger Technologien, wie Tiefensensoren, experimentieren.
Der Faktor Mensch im Fokus: Wirkmechanismen erlebter Präsenz und sozialer Nähe als Forschungsziel
Neben der Beforschung technischer Ansätze liegt ein wesentliches Ziel des Projektes in der Betrachtung sozialwissenschaftlicher Fragestellungen. So wollen die Forschenden die Wirkung zwischen virtuellem Präsenzempfinden und sozialer Nähe sowie Verbundenheit ermitteln. Dazu soll die Technologie im praktischen Einsatz erprobt werden. Da gerade kulturelle Erlebnisse oft als besondere soziale Momente gemeinsam geteilt werden, wollen die Forschenden die Technologien unter anderem bei Museumsbesuchen im Feld erproben. Dazu unterstützen die Kulturhauptstadt Europas 2025 Chemnitz GmbH und die Kunstsammlungen Chemnitz als assoziierte Partnerinnen das Forschungsvorhaben. „Denn verbesserte Telepräsenztechnologien bieten nicht nur Chancen für den zwischenmenschlichen Austausch, sondern könnten zukünftig auch einen positiven Effekt für die kulturelle Teilhabe erzeugen. Menschen, denen aus unterschiedlichen Gründen reale Besuche verwehrt bleiben, könnten so virtuell dennoch daran partizipieren. Dies eröffnet perspektivisch auch die Chance, regionale Kulturorte global in einer völlig neuen Art und Weise zugänglich zu machen“, ist die Projektkoordinatorin Dorothea Langer von der Professur Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement überzeugt.
Stichwort: Förderrichtlinie „Nähe über Distanz – Mit interaktiven Technologien zwischenmenschliche Verbundenheit ermöglichen“
Gefördert wird das Projekt mit einer Laufzeit von April 2023 bis März 2026 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund einer Million Euro im Rahmen der Förderrichtlinie „Nähe über Distanz – Mit interaktiven Technologien zwischenmenschliche Verbundenheit ermöglichen“. Ziel der Förderung ist die Bereitstellung neuer Konzepte für innovative interaktive Technologien und darauf aufbauende Produkte und Dienstleistungen, die die Teilhabe am Leben nahestehender Personen über räumliche Distanzen hinweg ermöglichen und die Verbundenheit mit diesen Personen stärken. Mithilfe neuer technologiegestützter Interaktionsformen soll die Aufrechterhaltung bedeutungsvoller sozialer Beziehungen erleichtert werden, was wiederum zur Steigerung der individuellen Resilienz und Lebensqualität beiträgt.
Weitere Informationen erteilt Dorothea Langer (Projektkoordinatorin), Telefon +49 (0)371 531-32218, E-Mail dorothea.langer@mb.tu-chemnitz.de.
Mario Steinebach
04.05.2023