Der ideale Schutzteppich für steile Böschungen
Weltneuheit aus Chemnitz: Textile Geogitter ermöglichen Begrünung von steilen, felsigen Hängen und beugen Erosionen vor - Erfolgreiche Versuche am "Südring"
Oberes Bild: Bernd Anger (TU Chemnitz) richtet die Wirkmaschine zur Herstellung der Geogitter ein. Gut zu erkennen sind die überdimensionalen Zungennadeln, die an der Universität in Handarbeit gefertigt wurden. Mittleres Bild: Dr. Monika Seeger (STFI) und Bernd Anger beim Verlegen der Geogitter am neuen Bauabschnitt des Chemnitzer Südringes. Unteres Bild: Wenn alle Geogitter verlegt sind, wird Muttererde aufgeschüttet und verfestigt sowie Saatgut aufgebracht. Fotos: Mario Steinebach |
Am neuen Bauabschnitt des Chemnitzer Südringes schlängeln sich in der Nähe der Brücke an der Zschopauer Straße bis zu 13 Zentimeter dicke Seile mäanderförmig einen 1.500 Quadratmeter großen Hang hinab. Diese ungewöhnliche Strickleiter-Struktur stellt ein grobmaschiges Geogitter dar, das Wasser speichern kann und zugleich verhindert, dass bei starkem Regen Muttererde weggespült wird. Erosionsschäden werden so vermieden. Zudem können Bäume, Hecken und Sträucher an steilen und felsigen Hängen auf diesem Geogitter besser anwachsen. Die Idee zu diesen neuartigen Geotextilien stammt aus Chemnitz. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt entwickelten das Sächsische Textilforschungsinstitut e. V. (STFI), VTT Vliestextilien Chemnitz und die Lehr- und Forschungsgruppe Textilmaschinen der Technischen Universität eine weltweit einmalige Maschine sowie eine Technologie, mit der aus dicken Geotextilseilen eine Gitterstruktur hergestellt werden kann. Gefördert wurde das Projekt aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen des InnoRegio-Programms.
Wie kam es zur Geogitter-Idee? "Mit dem Straßenbau wird der Boden zunehmend versiegelt, Bäume werden abgeholzt und natürliche Wasserspeicher beseitigt. Das Regenwasser kann deshalb nicht versickern und fließt schnell und meistens unkontrolliert ab", erläutert Dr. Monika Seeger vom STFI die Ausgangssituation. "Wir wollten daher testen, ob Böschungen an Straßen, Schienen oder Ufern ohne dichte Pflanzendecke durch von Erde bedeckte geotextile Gitter vor Wind und Regen besser geschützt werden können." Weil jedoch keine handelsübliche Maschine in der Lage war, die Seile, die bis zu hundertmal dicker sind als herkömmliche Textilfäden, zu Gitterstrukturen zu verbinden, waren die Wissenschaftler der Lehr- und Forschungsgruppe Textilmaschinen der TU Chemnitz gefragt.
Die Forscher des STFI und der Chemnitzer Universität entwickelten gemeinsam eine völlig neue Wirkmaschine. Konstruiert hat sie ein Team um die beiden TU-Ingenieure Dr. Hans-Jürgen Bauer und Bernd Anger. "Diese Maschine kann armstarke Schussfäden verarbeiten, die pro Meter etwa ein Kilogramm auf die Wage bringen", berichtet Bernd Anger. Für die Herstellung der für die Gitter ebenfalls notwendigen seilartigen Kettfäden wird die vom STFI entwickelte KEMAFIL-Technologie eingesetzt, bei der aus Textilabfällen Fäden werden. Aus all diesen Fäden und Seilen wirkt die Spezialmaschine, die im Sächsischen Textilforschungsinstitut in der Annaberger Straße steht, einen gitterartigen "Schutzteppich".
Für eine schnelle Umsetzung der Forschungsergebnisse sorgte der direkt am Projekt beteiligte Textilbetrieb VTT Vliestextilien Chemnitz. In diesem Unternehmen wurden auch die Geogitter für die erste Versuchsböschung an einem 3.000 Quadratmeter großen Lärmschutzwall am Chemnitzer Südring hergestellt, die im September 2004 angelegt wurde und bisher allen Erwartungen der Forscher entspricht. "Nach dem letzten Winter sind an dieser Böschung keine Schäden aufgetreten", freut sich Bernd Anger. Die Chemnitzer Forscher sind überzeugt, dass ihre Erfindung eine große Zukunft hat. "Uns ist bisher keine so wirksame Möglichkeit bekannt, steile und steinige Böschungen zu begrünen und in der sensiblen Anfangsphase vor Erosion zu schützen", meint Dr. Monika Seeger. Das STFI ist dem Grünflächenamt der Stadt Chemnitz deshalb sehr dankbar, dass an beiden Versuchsflächen am Chemnitzer Südring nachgewiesen werden kann, welche Vorteile die Geogitter in der Anwendung bringen.
Stichwort: Geotextilien
Bisher war allenfalls Fachleuten bekannt, dass es so genannte Geotextilien gibt. In der Gruppe der technischen Textilien, die mehr als ein Viertel des gesamten Textilverbrauchs ausmacht, haben Geotextilien derzeit mit über fünf Prozent die höchsten Wachstumsraten. Geotextilien bestehen in der Regel aus Vliesstoffen oder extrem groben Textilstrukturen und werden eingesetzt, um Funktionen wie Trennen, Filtern, Schützen, Dränieren, Speichern oder Bewehren zu erfüllen. Durch die Bewehrung von Böschungen mit den neuartigen supergroben Geogittern aus Chemnitz werden Erosionsschäden vermieden.
Das Sächsische Textilforschungsinstitut, das in Chemnitz seinen Sitz hat, ist auf solche technischen Textilien spezialisiert. Hier wurde vor einigen Jahren auch die "KEMAFIL"-Technologie entwickelt, dank der zentimeterdicke Fäden hergestellt werden können. Dabei werden textile Abfälle wie etwa Vliesstoffstreifen oder Bergwiesenheu verwendet, die zu Seilen zusammengepresst und mit einer Gitterstruktur ummantelt werden. Diese Riesenfäden sind in der Lage, Wasser aufzunehmen und entweder abzuleiten oder zu speichern.
Weitere Informationen zur neuartigen Textiltechnologie und zur Anwendung geben Dipl.-Ing. Rolf Arnold und Dr. Monika Seeger, Sächsisches Textilforschungsinstitut e. V., Tel. (03 71) 52 74 - 217 bzw. - 215 E-Mail arnold@stfi.de bzw. seeger@stfi.de . Anfragen zur Maschine können an Dr. Hans-Jürgen Bauer bzw. Dipl.-Ing. Bernd Anger, Lehr- und Forschergruppe Textilmaschinen der TU Chemnitz, Telefon (03 71) 5 31 - 43 30 bzw. - 23 97, E-Mail hans-juergen.bauer@mb.tu-chemnitz.de bzw. bernd.anger@mb.tu-chemnitz.de gerichtet werden.
Mario Steinebach
20.07.2005