Winzige Hochleistungsbauteile aus einem Guss
Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung der TU Chemnitz erweitert ihre Anlagentechnik um eine innovative Mikrospritzgießanlage, um neue Forschungsfelder zu erschließen und Unternehmen aus der Region zu unterstützen
Auf der Messe FAKUMA in Friedrichshafen unterzeichneten Prof. Dr. Lothar Kroll (m.)und Dr. Wolfgang Nendel (2.v.l.) von der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung sowie Georg Tinschert (2.v.r.), Geschäftsführer der Firma Wittmann Battenfeld, den Vertrag über die neuen Mikrospritzgießanlage. Foto: privat |
Ein immer geringerer Materialverbrauch wird auch bei der Herstellung kleinster Bauteile gefordert, gleichzeitig sollen die Systeme immer mehr Funktionen besitzen. Die so entstehenden komplexen Mikro-Baugruppen sind mit konventionellen Fertigungsverfahren nicht mehr wirtschaftlich herstellbar. Die Mikrospritzgießtechnik bietet hier einen Ausweg und zugleich ein großes Potenzial und Einsatzspektrum für die großserientechnische Umsetzung sehr kleiner funktionsintegrierter Baugruppen, die mit bloßem Auge kaum sichtbar sind. An der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung (SLK) der TU Chemnitz wird in Kürze eine Mikrospritzgießanlage Microsystem 50 der Firma Wittmann Battenfeld in Betrieb genommen, mit der Mikrobauteile sogar im 2-Komponenten-(2K-) Spritzguss hergestellt und Mikrofunktionselemente umspritzt werden können. Beim 2-K-Spritzgießen lassen sich verschiedene Kunststoffe in einem Verfahrensschritt zu Bauteilsystemen verarbeiten, wodurch aufwendige Montageprozesse entfallen. Damit können nicht nur zeitaufwendige Operationen, sondern auch Herstellungskosten eingespart werden.
"Durch die innovative 2K-Technologie ergeben sich völlig neue Verfahrensansätze, die in unterschiedlichen Industriezweigen von großer Bedeutung sind. Die geplanten Forschungsarbeiten der Professur SLK stoßen damit in ein Neuland von größter praktischer Bedeutung mit übergeordnetem Anwendungsansatz vor", so Prof. Lothar Kroll, Leiter der Professur SLK. Das neue Maschinenkonzept wurde in enger Zusammenarbeit mit dem führenden Anlagenhersteller von Mikrospritzgießmaschinen, der Firma Wittmann Battenfeld, in Hinblick auf hohe Verfahrensflexibilität modifiziert, und durch die Zusatzeinrichtungen, wie Reinraummodul, Spritzprägen und Evakuieren, als Gesamtsystem bei Anlagenherstellern ergänzt. Speziell das Reinraummodul und die Evakuierungseinrichtung verhindern den Eintrag von Schmutz und Partikeln in den Spritzgießprozess, was insbesondere bei den kleinsten Spritzgießelementen mit einem Teilegewicht von bis zu 0,0008 Gramm wichtig für die Bauteilqualität ist.
Die neue Mikrospritzgießanlage der Firma Wittmann Battenfeld ist in ihrem Gesamtsystem mit einem Handling- und Kamerasystem ausgestattet, das in die Maschinensteuerung mit eingebunden ist. "Im Vergleich zu den konkurrierenden Anlagen besitzt das Microsystem 50 ein hoch präzises Einspritzsystem für Kleinstmengen. Ein wesentlicher Grund für diese hohe Genauigkeit, sowohl in der Einspritzphase als auch in der Nachdruckphase, ist, dass der Einspritzkolben über eine Kurvenscheibe angesteuert wird. Dadurch kann eine homogenisierte und entgaste Aufbereitung der Schmelze sichergestellt werden", sagt Georg Tinschert, Geschäftsführer der Firma Wittmann Battenfeld.
"Mit der Neuanschaffung des Mikro-Spritzgießsystems erweitert die Professur SLK nicht nur ihre Anlagentechnik für Mikrobauteile, sondern sie etabliert eine zukunftsträchtige Technologie für die Kunststoffverarbeitung der derzeit stark fortschreitenden Mikrosystemtechnik. Hiermit lassen sich sowohl neue innovative Forschungsfelder in der Mikrotechnologie erschließen, als auch die kleinen und mittelständigen Unternehmen aus der Region bei der Einführung neuer wirtschaftlicher Technologien unterstützen", freut sich Prof. Kroll. Dies sei vor allem im Hinblick auf die besonderen Rahmenbedingungen im Freistaat Sachsen und in der Region Chemnitz von großer Bedeutung. So sind in Sachsen bisher keine universitären Forschungseinrichtungen für die Spritzgießtechnologie vorhanden. Insbesondere im Raum Chemnitz hat sich jedoch eine große Anzahl von Spritzgießunternehmen als Zulieferer der neuen Produktionswerke von BMW, Porsche und VW angesiedelt. Die bereits etablierten kunststoffverarbeitenden Unternehmen in der Region besitzen in der Regel keine eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung und sind auf eine universitäre Zusammenarbeit angewiesen. "Der Aufbau des neuen Technoparks Chemnitz Smart Systems Campus, in unmittelbarer Nähe der SLK-Fertigungseinrichtung, beabsichtigt auf dem Gebiet der Mikrosystemtechnik als Zukunftsbranche Deutschlands die regionale Industrie zu stärken und benötigt wissenschaftliche Unterstützung auf dem Gebiet der Mikro-Kunststoffverarbeitung", erläutert Kroll.
Unter Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen hat sich die Professur SLK das Ziel gesetzt, besonders wirtschaftliche Kunststoffverarbeitungstechnologien durch Modifikation und Kombination vorhandener Verfahren zu entwickeln. Die Mikrospritzgießtechnologie nimmt in dieser Technologiekette einen besonderen Platz ein. Wesentliche Marktpotenziale für Mikro-Spritzgießbauteile sind dabei in den Branchen Automotive, Computer, Telekommunikation, Medizintechnik, Sensorik, Optik und Mikro-Aktorik zu finden. Die Vorteile einer derartigen flexiblen Technologiekombination im Vergleich zu einem klassischen Spritzgießprozess liegen in der deutlichen Reduzierung der Herstellungskosten und der Rohstoffmengen bei einer gleichzeitigen Verbesserung der Bauteileigenschaften und -qualität. Maßgeblich hierfür ist vor allem die endkonturnahe und nachbearbeitungsfreie Herstellung von komplexen Baugruppen in der Massenproduktion, die mit anderen Technologien nicht mehr kosteneffizient möglich ist. Auch die Vorteile der direkten Funktionsintegration im Fertigungsprozess, wie das Einbinden und Einbetten von Elektronikkomponenten bzw. Sensoren in Bauteile mit einem Teilegewicht unter einem Gramm, führen zu fortschrittlichen Technologielösungen.
"Durch das neue Mikrospritzgießsystem kann die Professur SLK in Kombination mit der vorhandenen Anlagentechnik, wie Laborcompoundern und Handlingssystemen, eine Mikrofertigungskette von der Polymermodifikation bis zum fertigen Mikrobauteil aufbauen. Diese durchgängige Prozesskette lässt etwa die Einarbeitung von neuen Mikrofasern und Modifikatoren in den Kunststoff zu, um Mikrospritzgießbauteile mit verbesserten Eigenschaftscharakteristiken herzustellen", sagt Dr. Wolfgang Nendel, stellvertretender Leiter der Professur SLK.
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Lothar Kroll, Telefon 0371 531-35706, E-Mail lothar.kroll@mb.tu-chemnitz.de.
(Autoren: Prof. Dr. Lothar Kroll und Martin Kausch)
Katharina Thehos
23.10.2008