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Matrikel 1912 - was aus Karl Bretschneider geworden ist

Dr. Gert Kreiselmeier vermachte dem Archiv der TU Chemnitz den Studentenausweis des Großvaters seiner Frau - und er erinnert sich, was nach dem Studium aus dem Chemnitzer Absolventen wurde

  • Studentenausweis von Karl Bretschneider aus dem Jahr 1912. Bild: Universitätsarchiv
  • Ein weiteres Fundstück aus dem Nachlass von Karl Bretschneider - eine Postkarte des Studenten an seine Eltern mit Poststempel vom 27. Oktober 1913. Auf der Vorderseite ist die Conditorei/Cafe Emil Petrich am Schillerplatz 11 zu sehen; die handschriftliche Aufschrift lautet: "Hier trinke ich Caffee Nachmittag". Bild: Nachlass Bretschneider
  • Auf der Rückseite schrieb Karl Bretschneider: "Liebe Eltern, Warte immer noch auf eine Nachricht. Vater wollte doch kommen. Wie soll ich es mit der Wäsche machen? Meinen Hut habe ich erhalten. War Mutter bei Zeidler? Mein Geld geht allmählig zu Ende. Sonnabend war ich im Kaufhaus Tietz und habe Streichhölzer gekauft. Es ist wunderbar dort. Hoffentlich kommt Vater bald. Montag habe ich bis 4 Uhr, Dienstag bis 6 Uhr, Mittwochnachmittag frei, Donnerstag und Freitag bis 6 Uhr. Gruß Karl." Bild: Nachlass Bretschneider

Ich habe den Studentenausweis von Karl Bretschneider für die "Gewerbeakademie in Chemnitz" aus dem Jahre 1912 vor Jahren dem Universitätsarchiv geschenkt, nachdem ich den Nachlass des 1976 verstorbenen Großvaters meiner Frau, einem Baumeister aus Annaberg, geordnet und aufgelöst hatte. Karl Bretschneider trat nach dem Studium (1912 bis 1916) an der Gewerbeakademie in Chemnitz, das er mit dem Baumeister-Diplom abschloss, in das väterliche Baugeschäft Julius Bretschneider in Annaberg ein. Mitte der 1920er-Jahre übernahm der Sohn das Unternehmen mit etwa 100 Beschäftigten und angeschlossenem Sägewerk. Zahlreiche Bauten im oberen Erzgebirge, unter anderem das Pöhlberghaus mit Aussichtsturm, wurden von der Firma entworfen, projektiert und ausgeführt. Bis zum Kriegsbeginn hatte es Karl Bretschneider zu großem Ansehen gebracht und war als erfolgreicher Geschäftsmann in vielen Ehrenämtern engagiert, unter anderem als stellvertretender Oberbürgermeister von Annaberg und als Stadtrat für eine Reihe kommunaler Dienstleistungsbetriebe (zum Beispiel den Schlachthof und die Elektrizitätswerke) zuständig. Im nahe gelegenen Waltersdorf besaß er ein Jagdrevier. Während des Krieges war er als Reserveoffizier bei einer Baukompanie eingesetzt.

Diese Kombination aus erfolgreichem Unternehmer und ehrenamtlichem Verwaltungsmitarbeiter genügte der sowjetischen Militäradministration, ihn im November 1945 festzunehmen, seinen Besitz zu enteignen und die Familie über fünf Jahre im Unklaren über seinen Verbleib zu lassen. Wie sich später herausstellte, wurde er bis zur "Übergabe an die Volkspolizei" 1950 in Internierungslagern der Besatzungsmacht, die nahtlos aus den nationalsozialistischen Strafvollzugseinrichtungen übernommen wurden, gefangen gehalten. Am 11. Mai 1950 wurde er durch eine unter der Bezeichnung "Landgericht Chemnitz" in Waldheim tagende Strafkammer wegen "Unterstützung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" zu einer Zuchthausstrafe von 20 Jahren und Vermögenseinzug verurteilt und Ende 1955 auf dem "Gnadenweg" aus der Haft entlassen. Völlig mittellos begann er als 60-Jähirger nach zehn Jahren Haft, sich eine zweite Existenz als freischaffender Architekt aufzubauen. Bis wenige Jahre vor seinen Tod 1976 gelang es ihm durch rastloses Schaffen in seinem Beruf, für sich und seine Familie ein auskömmliches Dasein zu sichern.

Das von der SED-Justiz verhängte Urteil von 1950 wurde 1992 vom Bezirksgericht Dresden als nichtig erklärt und aufgehoben. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt: "Bei den von April bis Ende Juni 1950 in Waldheim durchgeführten 3.385 Strafverfahren handelte es sich nicht um gerichtliche Verfahren, sondern um die menschenverachtende Durchsetzung politischer Ziele der damaligen Machthaber unter dem Deckmantel ordentlicher Gerichtsbarkeit".

(Autor: Dr. Gert Kreiselmeier)

Übrigens: Der Studentenausweis von Karl Bretschneider ist auch abgebildet in "175 - Das etwas andere Jubiläumsbuch", in dem die Leser noch mehr über die Entwicklung der Chemnitzer Studentenausweise in den vergangenen 175 Jahren erfahren. Das Buch ist erhältlich zum Jubiläumspreis von 17,50 Euro. Verkauft wird es von der Gesellschaft der Freunde der TU über den Uni-Shop (http://www.tu-chemnitz.de/verwaltung/marketing/unishop), in der Buchhandlung Universitas, in den Geschäftstellen der Freien Presse, in der Touristinformation der Stadt Chemnitz sowie im Sächsischen Industriemuseum Chemnitz.

Katharina Thehos
03.05.2011

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