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Schlechtes Zeugnis für die "Neuausrichtung der Bundeswehr"

Politikwissenschaftler der TU Chemnitz diagnostizieren nach einer Zielgruppenbefragung unter militärischen Führungskräften in der Bundeswehr einen akuten politischen Handlungsbedarf

  • Wie wird die Neuausrichtung der Bundeswehr umgesetzt? Das untersuchen die Chemnitzer Politikwissenschaftler. Foto: Bundeswehr/Thomas Ströter

Unter dem Titel "Militärische Führungskräfte bewerten die Neuausrichtung der Bundeswehr" führen Politikwissenschaftler der Technischen Universität Chemnitz zurzeit eine Zielgruppenbefragung im Auftrag des Deutschen BundeswehrVerbandes durch. Die zentralen Ergebnisse der ersten Auswertungsrunde stellte Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Inhaber der Professur Europäische Regierungssysteme im Vergleich, am 7. September 2012 bei der Bundespressekonferenz in Berlin vor. "Die Ergebnisse der Zielgruppenbefragung fallen in weiten Teilen negativ bis sehr negativ aus", fasst Strohmeier zusammen. "Dennoch geht aus den sehr differenzierten Ergebnissen hervor, dass die Befragten die Untersuchung nicht als Plattform für einen blinden Protest, sondern als Chance für eine sachliche Situationsbeschreibung genutzt haben", so der Chemnitzer Politikwissenschaftler. "Die Ergebnisse der Befragung sind alarmierend und signalisieren einen akuten politischen Handlungsbedarf. Schließlich wird deutlich, dass die Neuausrichtung beziehungsweise deren Umsetzung einer dringenden Nachsteuerung - auf einer ausreichenden finanziellen Grundlage - bedarf", schätzt Strohmeier ein und ergänzt: "Andernfalls droht die Neuausrichtung zu einer Dauerbaustelle zu werden, die nicht nur die Soldaten zunehmend belastet, sondern letztlich auch die Aufgabenerfüllung durch die Bundeswehr gefährdet." Die 2010 angestoßene "Neuausrichtung der Bundeswehr" zielt in allen ihren Einheiten auf weniger und effizienteres Personal. Prominentes Beispiel der bereits ausgeführten Reformmaßnahmen ist die Aussetzung des verpflichtenden Grundwehrdienstes.

Die Chemnitzer Politikwissenschaftler fassen fünf Problembereiche zusammen, die sich in der ersten Auswertungsrunde ergeben haben: Im ersten zeigt sich eine mangelhafte Umsetzung der Neuausrichtung. "Es ist weniger die Neuausrichtung an sich, sondern vielmehr deren Umsetzung, die kritikwürdig erscheint - und einer baldigen Korrektur bedarf", so Strohmeier. Das Vorhaben zur Neuausrichtung der Bundeswehr wird nur von gut einem Viertel als schlecht bzw. sehr schlecht bewertet - die Umsetzung hingegen von knapp der Hälfte.

Als zweites stehen negative Auswirkungen der Neuausrichtung. "Die Einsatzorientierung und Einsatzfähigkeit werden durch die Neuausrichtung erhöht, allerdings zu Lasten aller anderen Bereiche - insbesondere zu Lasten der Soldaten", berichtet Strohmeier. Gut vier Fünftel sind der Ansicht, dass sich die Neuausrichtung negativ bzw. sehr negativ auf die Belastungssituation der Soldaten auswirkt.

Der dritte Problembereich thematisiert einen gewachsenen Handlungsbedarf nach der Neuausrichtung. Dabei stechen die Arbeitsbedingungen und die Belastungssituation besonders hervor: Der Handlungsbedarf mit Blick auf die Arbeitsbelastung wird vor der Neuausrichtung von etwas weniger als der Hälfte und nachher von mehr als zwei Dritteln als groß bzw. sehr groß eingeschätzt.

Der vierte Problembereich ist die schwierige Rekrutierung des notwendigen geeigneten Nachwuchses. "Die Bundeswehr wird in Zukunft - trotz Neuausrichtung beziehungsweise Personalabbau - äußerst große Probleme haben, den notwendigen geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren", diagnostiziert der Inhaber der Professur Europäische Regierungssysteme im Vergleich. Nahezu drei Fünftel der Befragten haben im Zuge der Neuausrichtung darüber nachgedacht, die Bundeswehr zu verlassen. Fast zwei Fünftel würden sich heute nicht noch einmal für die Bundeswehr entscheiden und nahezu zwei Drittel würden den ihnen nahe stehenden Personen den Dienst in den Streitkräften nicht empfehlen.

Als fünftes zeigt sich eine mangelnde Unterstützung durch die Politik. "Die militärischen Führungskräfte fühlen sich von der Politik regelrecht im Stich gelassen - mit Ausnahme des Bundesministeriums der Verteidigung", so Strohmeier. Gut vier Fünftel glauben, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr innerhalb der Bundesregierung eher als spezifische Aufgabe des Bundesministeriums der Verteidigung denn als Gesamtaufgabe der Bundesregierung gesehen wird.

Befragt haben die Wissenschaftler Kommandeure, deren Stellvertreter, Kompaniechefs und -feldwebel. In der Zeit vom 26. Juni bis zum 31. Juli 2012 konnten sich diese auf dem Postweg beteiligen; der Fragebogen umfasste sowohl geschlossene als auch offene Fragen. Insgesamt füllten 1.768 der 3.993 Befragten den Fragebogen ordnungsgemäß aus. "Das entspricht einer Beteiligungsquote von 44,3 Prozent und bedeutet, dass fast jeder Zweite an der Befragung teilgenommen hat", sagt Strohmeier und ordnet ein: "Die Beteiligungsquote ist mit Blick auf den Beantwortungsaufwand und die Größe des Befragtenkreises sowie im Vergleich zu anderen Befragten äußerst hoch - und mehr als zufrieden stellend." Dies sei - neben der Bedeutung, die die Teilnehmer dem Thema und der Befragung entgegengebracht hätten - nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass das Bundesministerium der Verteidigung die Teilnahme empfohlen habe. Die Studie ist insgesamt auf drei Jahre angelegt.

Die ausführlicheren Ergebnisse sind online verfügbar: http://www.tu-chemnitz.de/zielgruppenbefragung

Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Telefon 0371 531-37612, E-Mail gerd.strohmeier@phil.tu-chemnitz.de.

Katharina Thehos
07.09.2012

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