Elektrotechnik bietet Chancen - auch für Frauen
Professur Mess- und Sensortechnik empfängt Nachwuchsforscherinnen aus dem tunesischen Sfax, wo die Hälfte der Studierenden in technischen Fächern weiblich ist
Ein Seminarraum im Weinhold-Bau der Technischen Universität Chemnitz, Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik. Um den Tisch sitzen zehn Frauen. "Das ist ein ungewöhnliches Bild bei uns", kommentiert eine von ihnen: Prof. Dr. Olfa Kanoun, Inhaberin der Professur Mess- und Sensortechnik. Die neun anderen sind Studentinnen und Promovendinnen. Sie alle stammen aus Tunesien. Eine von ihnen - Dhouha Bouchaala - promoviert bereits seit drei Jahren an der TU Chemnitz im Bereich Bioimpedanzspektroskopie. Die anderen kommen von der Ecole Nationale d`Ingénieurs de Sfax und sind in Chemnitz zu Gast im Rahmen eines wissenschaftlichen Austauschprojektes, das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst gefördert wird. Sie beschäftigen sich mit Themen von erneuerbaren Energien über Systemtheorie und Mikrosystemtechnik bis hin zur Robotik. "In Tunesien ist es völlig normal, dass in technischen Studiengängen die Hälfte der Studierenden Frauen sind. Davon können wir in Deutschland nur träumen", so Kanoun. Von den 501 Studierenden, die im Wintersemester 2011/2012 ein Studium an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik belegt hatten, waren 48 weiblich - das sind nicht ganz zehn Prozent. Keine Chemnitzer Besonderheit, die Quote liegt sogar noch geringfügig über dem bundesweiten Durchschnitt, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.
"Ich spreche viel mit den Studierenden an unserer Fakultät. Sie sind immer sehr zufrieden mit ihrem Studium. Und die Studentinnen zeigen hervorragende Leistungen. Der Grund für die geringe Frauenquote kann also nicht darin liegen, dass ein technisches Studium für sie zu schwer wäre", sagt Kanoun, die seit 2007 die Professur Mess- und Sensortechnik in Chemnitz leitet. Sie ist die einzige Frau in der Professorenschaft der Fakultät und hält damit den dortigen Professorinnenanteil einen Prozentpunkt über dem bundesweiten Schnitt, der in der Elektrotechnik bei 5,3 Prozent liegt. Doch woran liegt es, dass sich in Deutschland so wenige Abiturientinnen für ein Studium in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) entscheiden? "Die MINT-Fächer bieten sehr interessante Fachbereiche, gute Berufsperspektiven, ein hohes Ansehen, einen guten Verdienst sowie familienfreundliche Arbeitsmöglichkeiten. Die Ingenieurausbildung `Made in Germany´ hat schließlich auch weltweit einen guten Ruf. Trotzdem haben vergleichbar wenige Frauen in Deutschland diese Berufe bereits für sich entdeckt", bedauert Kanoun und ruft auf: "Wer als Frau Interesse für ein MINT-Fach mitbringt, sollte sich mit Mut, Ehrgeiz und Motivation für solch ein Studium entscheiden."
In Tunesien liegt die Frauenquote weitaus höher. "Im Vergleich zu Deutschland sind die Frauen in Tunesien MINT-Fächern gegenüber aufgeschlossener", bestätigt Doktorandin Mouna Rekik, die zu den Wissenschaftlerinnen aus Sfax gehört. Die 24-Jährige möchte "an Innovationen arbeiten und neue Themen entdecken". Nach ihrem Abschluss würde sie am liebsten eine akademische Karriere einschlagen. Ihren Aufenthalt in Chemnitz nutzt sie "zum Austausch von Erfahrungen und Ideen". Die experimentellen Möglichkeiten seien in Deutschland stärker ausgeprägt als in Tunesien, wo im Studium sehr viel Wert auf die theoretische Ausbildung gelegt wird. Ihre Kommilitonin Nadia Ghariani, die ebenfalls in Sfax promoviert, hat bereits weitere Auslandserfahrung in Paris gesammelt und zieht einen Vergleich: "In Chemnitz gibt es einen sehr guten Austausch, man trifft viele Leute, die im gleichen Feld forschen. Die Kommunikation ist sehr gut - und die Stadt ist entspannter", so die 28-Jährige.
Soviel Frauenpower in ihren Seminarräumen wünscht sich Prof. Kanoun in Zukunft häufiger: "Wir sollten uns ein Beispiel an anderen Ländern nehmen und den Nachwuchs in die Fachgebiete lenken, wo auch der Fachkräftebedarf in Deutschland liegt." Die Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Chemnitz engagiert sich dazu nicht nur bei Veranstaltungen wie dem Girls`Day oder dem Girls`Tandem, sondern lädt auch zu Praktika oder Projektwochen in die Labors der Uni ein. Eine gute Gelegenheit, sich über das Studium zu informieren und Einblicke in die Elektrotechnik zu gewinnen, bietet zudem die Schnupperschule der Fakultät, die das nächste Mal am 5. und 6. Februar 2013 stattfindet. "Mit dieser Veranstaltung haben wir eine ganz gute Erfolgsquote, viele der Teilnehmer schreiben sich später für ein Studium an der TU Chemnitz ein - nicht immer in der Elektrotechnik, aber in der Regel in einem MINT-Fach", so Kanoun.
Weitere Informationen zur Schnupperschule: http://www.tu-chemnitz.de/etit/schnupperschule
Kontakt: Prof. Dr. Olfa Kanoun, Telefon 0371 531-36931, E-Mail mst@tu-chemnitz.de
Katharina Thehos
19.12.2012