Springe zum Hauptinhalt
Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
TUCaktuell
Pressestelle und Crossmedia-Redaktion 
TUCaktuell Campus

"Großveranstaltungen tragen nicht zur Völkerverständigung bei"

Im Gespräch: Prof. Dr. Heidrun Friese, Inhaberin der Professur Interkulturelle Kommunikation, zu den Olympischen Spielen im russischen Sotschi, Massentourismus und Gastfreundschaft

  • Prof. Dr. Heidrun Friese: "In vielen Ländern gilt: Ein Gast ist wie ein Fisch, nach drei Tagen stinkt er." Foto: privat

Die russische Schwarzmeerstadt Sotschi ist vom 7. bis 23. Februar 2014 Austragungsort der 22. Olympischen Winterspiele. Prof. Dr. Heidrun Friese reflektiert für "Uni aktuell" das sportliche Großereignis aus Sicht ihres Fachgebietes: Die Inhaberin der Professur Interkulturelle Kommunikation an der TU Chemnitz stellt sich den Fragen von Katharina Thehos.

Russland empfängt zu den Olympischen Spielen Sportler und ihre Anhänger aus aller Welt. Und besonders Sotschi möchte sich in gutem Licht zeigen, in der Hoffnung auf Investoren und Touristen. Wer wird von der Veranstaltung profitieren?

Prof. Friese: Solche Großereignisse dienen hauptsächlich den mehr oder minder korrupten lokalen und nationalen Eliten, die von den Investitionen profitieren und den Geldregen in die eigene Tasche wirtschaften. Zunehmend wird aber auch Kritik laut. Nicht nur Sotschi steht für Umweltschäden, die unwiederbringliche Veränderung des Territoriums, der sozialen, wirtschaftlichen Struktur, Korruption und politischer Problematiken. Wir haben ja gehört, wie mit den "Gastarbeitern" umgegangen wird, die die Bauten unter sklavenähnlichen Bedingungen hochziehen. Ähnliches gilt für die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Qatar. In Brasilien wehren sich die Ausgeschlossenen gegen die Großprojekte, die eben nicht der Bevölkerung dienen. Den Sporttouristen sollten solche Zustände nicht egal sein.

Nach Anschlagsdrohungen sind in Sotschi verschärfte Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden. Trübt oder schärft das eine gastfreundschaftliche Stimmung?

Die Sprache der Gastfreundschaft und ihre Riten sind mittlerweile Teil eines wichtigen Wirtschaftszweiges, eben der "hospitality industry" und einiger ihrer "global player" geworden. Sicherheitsbedenken sind natürlich nicht gut für das Geschäft. Zugleich sorgt die Medienpräsenz für eine grandiose Bühne politischer Aktivisten. Das Erstaunliche ist ja, dass versucht wird, die Aspekte, die mittlerweile natürlich auch den Sport bestimmen, auszublenden und unsichtbar zu machen: Politik und wirtschaftliche Interessen. Zugleich sind natürlich auch Feiern und Feste Teil dieser weltumspannenden Beziehungen und der nach ökonomischen Kriterien organisierten und gemanagten Gastfreundschaft geworden.

Gibt es überhaupt eine international einheitliche Ansicht, was Gastfreundschaft ausmacht?

Gastfreundschaft ist immer ein Modus, mit Fremden, dem Unbekannten umzugehen und zielt einmal darauf, Großzügigkeit und Prestige des Gastgebers darzustellen, in Szene zu setzen, aber auch darauf, den Fremden zu kontrollieren. Gastfreundschaft ist Ausdruck einer Ambivalenz: Der Gast ist zugleich Freund und potentieller Feind. Man kennt den fremden Gast ja nicht, er ist unbekannt und die Beteiligten versuchen, alles zu vermeiden, was Herausforderung und Feindseligkeit andeuten könnte. Ihre Regeln sind gleichwohl historisch und kulturell ganz unterschiedlich.

Das klassische Griechenland beispielsweise hatte feste Regeln: wie der Hausherr den Gast zu empfangen hatte, welche Annehmlichkeiten dem Gast gewährt wurden, welche Gastgeschenke übergeben wurden; Regeln, wann der Gast überhaupt nach seinem Namen und dem Anliegen gefragt werden durfte. Nicht nur den Griechen war der Gast heilig und die Götter - und die politische Gemeinschaft - wachten darüber, dass die Regeln und das göttliche Gebot auch eingehalten wurden. Auch hatte der Gastgeber für die Sicherheit des Gastes zu sorgen, ihn beispielsweise an die Türschwelle zu geleiten oder bis an die Grenzen seines Gebietes. In arabischen Gesellschaften galt ähnliches: Fremde und Gäste mussten im Hause aufgenommen werden - das galt selbst für die ärgsten Feinde!

Was bedeutet das für die Gegenwart?

Im Christentum gehört die Pflicht, den Fremden aufzunehmen zu den sieben Taten der "Misericordia" und auch der Koran kennt diese Anweisung. Die Aufnahme von Fremden ist also ein göttliches Gebot und eine ethische Pflicht. Diese Anweisungen dienen aber dazu, die Ambivalenz des Fremden, des Gastes zu ordnen. Wir kennen das natürlich auch. Wir wären schockiert, würde sich ein Gast tatsächlich "wie zu Hause fühlen" und beispielsweise in unseren Schränken herumsuchen oder sich auf Wochen oder Monate des Besuchs einrichten und unseren alltäglichen Rhythmus durcheinanderwerfen. In vielen Ländern gilt: Ein Gast ist wie ein Fisch, nach drei Tagen stinkt er.

Welche Pflichten ergeben sich daraus für den Gast?

Es gibt auch bei uns viele Regeln, die uns oft erst bewusst werden, wenn wir sie übertreten und für Irritation sorgen: Man sollte ein angemessenes Geschenk mitbringen, sich tunlichst nicht mit anderen Gästen streiten, die Grenzen zwischen dem öffentlichen Teil der Wohnung oder des Hauses und dem privaten Teil respektieren. Wir sollten die gereichten Speisen nicht ablehnen, sondern loben. Wir sollten nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz bleiben, am Ende des Gastbesuchs wird der Hausherr uns - wie im Gastritus der Griechen - an die Türschwelle geleiten. Kurzum: Wir haben unzählige Regeln der Etikette, des guten Benehmens.

Diese gelten natürlich auch für Touristen, also die Gäste in fremden Ländern. Man sollte sich deutlich machen, dass die Reise - die Ausnahmezeit in unserem grauen, routinisierten Alltag - anderen den permanenten Ausnahmezustand bringt. Massentourismus ist zerstörerisch. Die grölenden, pöbelnden, saufenden Horden, die meinen, wer zahlt, schafft an, zeigen oftmals die Einstellung: Wir erlauben uns dort, was bei uns im Alltag unschicklich oder verboten ist, und damit eigentlich eine Einstellung, die sich andere untertan machen möchte.

Können - auch vor diesem Hintergrund - die Olympischen Spiele in Russland zu einer interkulturellen Kommunikation beitragen?

Ich glaube nicht, dass diese Großveranstaltungen und Massentourismus zu Völkerverständigung, multikulturellem Zusammenleben, dem Aufweichen von Stereotypen und Vorurteilen beitragen. Oft werden diese gerade bestätigt und verfestigt. Reisen ist ja nicht länger eng an Bildung, die Verfeinerung der Persönlichkeit und die Sehnsucht nach den Wurzeln Europas und des Humanismus gebunden. Reisen dient der Bewältigung unseres Alltags, es bringt Abwechslung in der Routine und Erholung. Außerdem dient es der sozialen Distinktion nach dem Motto "die Fernreise können wir uns leisten" oder es bietet einen Raum für die im Alltag verbotene Extase - denken wir an das organisierte Komasaufen an den Stränden des Mittelmeers. Auch dienen die Inszenierungen für den Massentouristen einer Exotisierung und Folklorisierung der "Einheimischen" und nicht der menschlichen Begegnung. Sotschi und das inszenierte Spektakel werden da keine Ausnahme sein.

Einige internationale Politiker werden den Olympischen Spielen dieses Mal von vornhinein fernbleiben - darunter Bundespräsident Joachim Gauck. Seine Absage wurde als Kritik an Menschenrechtsverletzungen und der Drangsalierung der Opposition in Russland verstanden. Ist eine Nichtanreise der richtige Weg, um Kritik zu kommunizieren?

Das ist eine Frage, die Herr Gauck beantworten müsste und politischem Kalkül unterliegt. Ich persönlich habe Verständnis dafür, dass man Regimes, die die Menschenrechte nicht beachten, Oppositionelle und Minderheiten drangsalieren, nicht stützt und symbolisch aufwertet. Allerdings sollten dann auch keine unterschiedlichen Maßstäbe angelegt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Katharina Thehos
05.02.2014

Mehr Artikel zu:

Alle „TUCaktuell“-Meldungen
Hinweis: Die TU Chemnitz ist in vielen Medien präsent. Einen Eindruck, wie diese über die Universität berichten, gibt der Medienspiegel.