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Arbeit für alle?!

Studenten der Wirtschaftswissenschaften der TU Chemnitz erarbeiteten Lösungsansätze für die deutsche Arbeitsmarktproblematik

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Interkultureller Diskurs: Im Blockseminar „Arbeit für alle“ arbeiteten auch Studierende aus China mit. Foto: Christine Kornack

Die hohe Arbeitslosigkeit gehört zu den größten Problemen in Deutschland. Das Blockseminar „Arbeit für alle“ der Professuren für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre sowie Finanzwissenschaft unter Prof. Dr. Friedrich Thießen und Prof. Dr. Thomas Kuhn befasste sich mit dieser Thematik bewusst aus der Perspektive der jüngeren Generation. Unter den 32 Studenten, die das Seminar im Sommersemester 2006 besuchten, waren auch sechs Chinesen. So ergab sich die Möglichkeit, interkulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Einschätzung der Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt und ihrer Ursachen zu erforschen sowie unvoreingenommene Lösungskonzepte zu kreieren.

Die Teilnehmer des Seminars waren Studenten der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften an der TU Chemnitz. Sie bearbeiteten 15 Themenkomplexe, welche die Arbeitsmarktproblematik von verschiedenen Seiten beleuchten. Die Ergebnisse der Seminararbeiten und Diskussionen wurden in 26 Statements über den deutschen Arbeitsmarkt und die Ursachen seiner Krise verdichtet.

„Als zentrales Problem identifizierten die Studierenden dabei den Arbeitsmarkt der Geringqualifizierten“, so Prof. Dr. Thießen. Ist die Arbeitslosenquote bei höher qualifizierten Arbeitnehmern mit 3 bzw. 4,5 Prozent in den alten und neuen Bundesländern nicht wirklich besorgniserregend, trifft sie weniger Qualifizierte mit 20 bzw. 55 Prozent besonders hart. Über die Ursachen der Fehlentwicklungen am deutschen Arbeitsmarkt wurde intensiv diskutiert, ohne einzelne Hauptverursacher auszumachen. Vielmehr scheinen die Probleme Ergebnis unglücklicher Vernetzungen von vier Verursachergruppen zu sein. Während die Gewerkschaften mit erzwungenen überproportionalen Lohnsteigerungen den Arbeitgebern im Wettbewerb die Einstellung neuer Arbeitskräfte erschweren, reagieren diese mit Automatisierung und Produktionsverlagerung ins billigere Ausland. Darüber hinaus gestalten sich die Arbeitsverwaltung und die Bürokratie derart komplex, dass bei gering qualifizierten Arbeitnehmern ein sehr schlechtes Verhältnis von Arbeitswert zu Verwaltungs- und Bürokratiekosten resultiert. Erschwerend hinzukommen das Verhalten demotivierter Arbeitssuchender, die nach wiederholten Enttäuschungen in ihren Bemühungen nachlassen, sowie die Verletzung des Lohnabstandsgesetzes durch zu hohe Sozialleistungen und dementsprechend geringerem Anreiz, eine neue Beschäftigung zu suchen. „Der Leistungsmissbrauch im komplexen und undurchsichtigen deutschen Sozialsystem und die scheinbare Unfähigkeit der Behörden zu effizienter Kontrolle und Sanktionierung wirken sich ebenfalls negativ aus“, ergänzt Stephan Schnorr, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre.

Im Verlauf des Seminars zeigte sich dabei, dass die Ansichten der Teilnehmer stark von dem Bild abweichen, das der Öffentlichkeit über den Arbeitsmarkt und die Hintergründe seiner Krise präsentiert wird, wobei die chinesischen Studenten die Lage mit sehr geringen Abweichungen nicht anders beurteilen als die deutschen.

Abschließend haben die Studenten mit einem fünf Punkte umfassenden Reformmodell einen unkonventionellen Lösungsansatz für die deutsche Arbeitsmarktproblematik entwickelt. Demnach ist es notwendig, dass die Sozialleistung in Form eines angemessenen Geldes in Höhe von 600 bis 700 Euro monatlich, welches die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sicherstellen soll, an die Abgabe von Arbeit gekoppelt ist. Dazu werden die Kommunen verpflichtet, Arbeit für all diejenigen bereit zu stellen, die keine andere Beschäftigung finden. Diese Beschäftigung soll im Sinne der Chancenoptimierung für einen Wiedereintritt in den ersten Arbeitsmarkt so qualifiziert wie möglich sein. Darüber hinaus werden die Arbeitgeber von Bürokratiekosten und die Jobs für Geringqualifizierte von jeglichen Sozialleistungen und Steuern befreit. Dazu sollen die Sozialversicherungssysteme auf eine steuerfinanzierte Grundsicherung umgestellt werden. Zusätzlich soll eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes für Geringqualifizierte die Kreativität des privaten Marktes zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten freisetzen. Von diesem Grundkonzept von Leistung und Gegenleistung erwarten die Seminarteilnehmer mehrere vorteilhafte Auswirkungen. Neben der Sicherstellung eines angemessenen Einkommens für jedermann macht der reduzierte Missbrauch von Sozialleistungen aufwendige Kontrollen überflüssig. Zusätzlich zur Senkung der Kosten des sozialen Netzes bei gleichzeitiger Steigerung der Qualifikation und Marktchancen der Geringqualifizierten wird auf einfache Art und Weise auch das Lohnabstandsgebot erreicht und alle Menschen beteiligen sich entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit an den staatlichen Sozialkosten.

Auf die Seminarergebnisse angesprochen meint Stephan Schnorr: „Bemerkenswert an diesem Modell ist die Erkenntnis, dass die jungen Menschen sehr sozial eingestellt sind.“ Obwohl die jetzt Studierenden sehr wahrscheinlich diejenigen sind, die später das soziale Netz finanzieren werden, plädieren sie nicht für radikal reduzierte Leistungen an sozial Schwache in der Nähe des Existenzminimums. Genauso wenig gerecht wie zu niedrige Sozialleistungen empfinden sie aber auch den derzeitigen Zustand, dass man Zahlungen in ordentlicher Höhe ohne jede Gegenleistung in Anspruch nehmen kann. Eine Gegenleistung in Form von Arbeit wird von den Teilnehmern des Seminars als absolut notwendig angesehen. Diese verstehen sie aber nicht als eine Art Strafe, sondern als eine aus dem Gerechtigkeitsgefühl entspringende Gegengabe für die empfangenen Sozialleistungen und gleichzeitig auch als Chance, den Wiedereintritt in das Arbeitsleben zu bewerkstelligen.

Das Exposee des Seminars "Arbeit für alle":
http://www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/bwl4/interessantes/Arbeit-fuer-alle.pdf

Weitere Informationen erteilt Stephan Schnorr, Telefon (03 71) 531 - 34 190, E-Mail stephan.schnorr@wirtschaft.tu-chemnitz.de

(Autor: Ronny Oehme)

Mario Steinebach
25.07.2006

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