Warum es mehr als einen Robin Hood gibt
In seiner Antrittsvorlesung beleuchtete Prof. Dr. Martin Clauss Rezeptionen und Transformationen von Robin Hood und gab einen Einblick in den neuen Masterstudiengang Rezeptionskulturen der Vormoderne
„Gerüstet mit den scharfen Waffen des Geistes“ sei er, der „Verbündete und Gegner Don Quijotes gleichermaßen“, so Prof. Dr. Bernadette Malinowski in ihrer Funktion als Dekanin der Philosophischen Fakultät. Mit ihrer Metapher auf den literarisch verbürgten Landadeligen mit seiner schier grenzenlosen Begeisterung für Ritterromane zog die Literaturwissenschaftlerin Parallelen zu Prof. Dr. Martin Clauss, der am Abend des 29. April 2015 seine Antrittsvorlesung als Inhaber der Professur für Europa im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit im Veranstaltungssaal des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz hielt. Zunächst würdigte die Dekanin in ihrer Einführungsrede dessen akademischen Verdienste und die kollegiale Zusammenarbeit mit Prof. Clauss. Im Anschluss brachte der Historiker im Rahmen der Ringvorlesung „Die Gegenwart der Vergangenheit“ den zahlreich erschienenen Studierenden, Kollegen sowie Gästen aus der Stadt das Thema „Robin Hood – Rezeptionen und Transformationen einer Legende vom Mittelalter bis heute“ näher. Damit gab Prof. Clauss gleichzeitig einen Einblick in den zum Wintersemester 2015/2016 neu an der TU Chemnitz startenden und von ihm mit betreuten Masterstudiengang Rezeptionskulturen der Vormoderne an der Philosophischen Fakultät.
Gleich zu Beginn seiner Antrittsvorlesung gab Clauss einen Ausblick, was die Studierenden dieser neuen Studienmöglichkeit erwartet und erläuterte deren methodische Grundlagen: Rezeption und Transformation. Während die Rezeption grob die Aufnahme eines Objekts durch die Rezipienten meint, beschreibt die Transformation die Veränderungen, die im Prozess der Aneignung auftreten. Mit diesen Tools sollen die Studierenden die Aneignung von Elementen der Antike und des Mittelalters als prägende Vorbilder der Moderne verstehen lernen. Zur Veranschaulichung widmete sich Prof. Clauss der Heldenlegende von Robin Hood und stellte zunächst dessen früheste Behandlungen im Mittelalter vor. Die erste schriftliche Erwähnung fand die literarische Figur in einem Gedicht von William Langland aus dem Jahr 1377, in dem er als Sinnbild für das weltzugewandte Interesse des Klerus auftrat. Nachfolgend häuften sich die Hinweise für seine Popularität unter der damaligen Bevölkerung. Der Grundstein für den Robin Hood, wie wir ihn heute kennen, wurde ab der Mitte des 15. Jahrhunderts in diversen englischen Balladenzyklen gelegt. Schon damals schrieb man ihm Eigenschaften wie List oder Tollkühnheit zu. Clauss zeigte aber auch die Fehlstellen im beginnenden Heldenmythos auf. Zwar konzentrierte sich der Räuberhauptmannn auf die gut situierte Kirche, eine konkrete Umverteilung des Vermögens zugunsten der Armen findet in den frühen Texten jedoch nicht statt. Auch gab der Historiker Aufschluss darüber, dass die Balladen viele verschiedene Robin Hoods zeichneten, deren Abbildungen jedoch keinen Rückschluss auf die mittelalterlichen Verhältnisse erlauben, sondern vielmehr einem unterhaltenden Gesellschaftsmodell dienten.
Bei dem englischen Nationalhelden, der von den Reichen nimmt und den Armen gibt, handelt es sich also um ein Ergebnis literarischer Traditionen und Transformationen. Deutlich wird dies auch, wenn man sich auf die Suche nach der historischen Person hinter der literarischen Figur begibt. Zwar finden sich Varianten seines Namens in den Gerichtsakten, jedoch verweisen diese Nennungen lediglich auf eine verbreitete Bezeichnung für „Krimineller“. So kam Prof. Clauss gemeinsam mit dem Auditorium zu dem pragmatischen Schluss, dass es sich bei dem zur Legende gereiften Wegelagerer um eine Erfindung des Spätmittelalters handelt. Wie diese Erzählungen in den darauffolgenden Jahren adaptiert wurden, führte der Professor anhand von prominent besetzten Filmbeispielen vor. Nicht nur Robins Geliebte Marian taucht nun auf, auch der Stoff wurde zunehmend in nationale Deutungen eingeordnet. Prof. Clauss führte weiter aus, dass wir die filmischen Aufarbeitungen der Legende nicht ohne Bezug zur Gegenwartskultur verstehen können. So findet sich beispielsweise der Robin Hood der 1970er-Jahre zwischen pazifistischem Denken und der Emanzipation der Frau wieder. Bis zur postmodernen Jetztzeit kann man den Transformationsprozess der Sage um Robin Hood verfolgen, was, so der Professor, seine Eignung für die interdisziplinäre und epochenübergreifende Analyse auch im Hinblick auf den neuen Studiengang begründe. „Jede Aufnahmekultur kann sich ihren eigenen Robin Hood schaffen“, gab Prof. Clauss seinen Zuhörern zum Abschluss mit auf den Weg, die ihn mit einem kräftigen Applaus herzlich an der Chemnitzer Universität willkommen hießen.
Zur Person: Prof. Dr. Martin Clauss
Martin Clauss ist seit Oktober 2014 Inhaber der Professur Europa im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit an der Philosophischen Fakultät, die er bereits im Sommersemester 2014 vertrat. Er studierte bis 1998 Geschichte an den Universitäten Bonn, München, Köln und Durham (England). 2001 wurde er an der Universität Bonn promoviert. Bis zur Habilitation 2008 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. Assistent an der Universität Regensburg. Anschließend arbeitete er dort als Akademischer Oberrat auf Zeit. 2013 trat er eine Stelle als akademischer Rat an der Universität zu Köln an. In seinen Forschungen beschäftigt er sich mit der Geschichte des mittelalterlichen Krieges, der Historiographie- und Verfassungsgeschichte sowie der Rezeption und den Lautsphären des Mittelalters. An der TU Chemnitz beteiligt er sich am neuen Masterstudiengang Rezeptionskulturen der Vormoderne. Die Professur begleitet das Chemnitzer Stadtjubiläum 2018 mit Veranstaltungen, Qualifikationsarbeiten und Projekten.
Weitere Informationen: https://www.tu-chemnitz.de/phil/rezeptionskulturen/
(Autor: Andy Schäfer)
Katharina Thehos
30.04.2015