Mehr als der aktuelle Mainstream
Elf Fragen an Prof. Dr. Jochen Hartwig, der seit Februar 2016 Inhaber der Professur Professur VWL – Wirtschaftspolitik ist
Prof. Dr. Jochen Hartwig (46) ist seit Februar 2016 Inhaber der Professur VWL – Wirtschaftspolitik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. In elf Antworten gibt er den Lesern von „Uni aktuell“ Einblicke in seinen Werdegang, seine Ziele und seine Zeit in Chemnitz.
Was versteht man eigentlich unter Wirtschaftspolitik?
Das Fach Wirtschaftspolitik ist neben der Wirtschaftstheorie das zweite große Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre. Es beschäftigt sich einerseits damit, die in der Wirtschaftstheorie gewonnenen Erkenntnisse weiterzuentwickeln und für Politikberatung nutzbar zu machen, andererseits analysiert es das Handeln der wirtschaftspolitischen Akteure. Neben übergreifenden Fragen umfasst das Fach Wirtschaftspolitik eine große Zahl von Einzelbereichen. Zu diesen gehören unter anderem Wettbewerbspolitik, Stabilitätspolitik, Wachstumspolitik, Entwicklungspolitik, Außenwirtschaftspolitik, Geldpolitik, Sozialpolitik und Finanzpolitik.
Die TU Chemnitz ist für mich als Professor die richtige Wahl, weil…
…die Forschungs- und Lehrbedingungen exzellent sind und es an der hiesigen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Kollegen gibt, die meine Forschungsinteressen teilen. Dadurch ergeben sich Chancen für eine fruchtbare Zusammenarbeit in den kommenden Jahren.
Stellen Sie uns kurz Ihre akademische Laufbahn vor.
Ich habe Wirtschaftswissenschaften und Geschichte an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg studiert, wo ich 2001 auch promoviert wurde. Zwischen 1998 und 2003 war ich wissenschaftlicher Mitarbeiter und bis 2007 Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen. Ab 2001 arbeitete ich in verschiedenen Funktionen an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, zuletzt als Leiter der Sektion Internationale Konjunktur. An der ETH erhielt ich 2010 auch die Venia legendi für Angewandte Makroökonomik und Wirtschaftspolitik. Seit Februar bin ich Professor in Chemnitz. Ich kenne die TU allerdings bereits seit dem Wintersemester 2010/2011, als ich hier die Professur für Makroökonomie vertreten habe.
Beschreiben Sie Ihre Studienzeit in maximal 15 Worten.
Ich konnte mich mit interessanten Themen beschäftigen und habe gute Freunde gewonnen. Es war toll.
Hatten Sie während Ihrer Studienzeit Vorbilder, die Sie zur wissenschaftlichen Karriere ermutigt haben?
Ich hatte einen Mentor: den leider vor kurzem verstorbenen Dr. Klaus Köster. Er hat mich für die Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen begeistert und mir gezeigt, dass es in der VWL mehr zu entdecken gibt als den gerade aktuellen Mainstream.
Was geben Sie jungen Studierenden und Absolventen mit auf den Weg?
Wählen Sie Ihre Studienrichtung gemäß Ihren Neigungen und nicht danach, was „der Markt“ mutmaßlich verlangt. Wenn man sich für sein Fach nicht begeistern kann, wird man darin auch nicht wirklich gut werden.
Was möchten Sie künftig in der Lehre erreichen?
Ich strebe in der Lehre eine empirische, historische und kritische Herangehensweise an. Das heißt, ich möchte Theorien und Modelle mit empirischen Anwendungen bzw. konkreten Problemstellungen verbinden und Kenntnisse über die Datenlage und die institutionellen Rahmenbedingungen vermitteln, unter denen Wirtschaftspolitik agiert. Des Weiteren möchte ich erreichen, dass die Studierenden verstehen, dass es in der VWL nicht „das eine“ (korrekte) Modell gibt, indem ich Mainstream-Theorien mit divergierenden Sichtweisen klassischer oder moderner „heterodoxer“ Ökonom(inn)en konfrontiere.
Welche Impulse setzen Sie in der Forschung an der TU Chemnitz?
Ich forsche unter anderem auf den Gebieten Konjunktur, Wachstum, Strukturwandel und Einkommensverteilung. Zum Beispiel untersuche ich, ob die Tertiarisierung zu einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums führt oder wie sich eine Änderung der funktionalen Einkommensverteilung auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Dies sind empirische Projekte. Ein theoretisches Steckenpferd von mir ist die „Allgemeine Theorie“ von Keynes. Sie ist interessant, weil sie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis und zur Bewältigung von Rezessionen und Finanzkrisen leistet, die ja leider in den letzten Jahren wieder aktuell geworden sind. Und es ranken sich zahlreiche Kontroversen um sie, zu deren Lösung ich auch weiterhin beitragen möchte.
Es gibt rund 45.000 Professoren an deutschen Hochschulen. Was hebt Sie ab?
Ich dürfte einer der wenigen Keynes-Experten an einer deutschen Universität sein.
Welchen Ort in Chemnitz zeigen Sie Gästen am liebsten?
Ich wohne erst seit wenigen Wochen hier und kenne noch nicht wirklich viel von der Stadt. Der Karl-Marx-Kopf ist ein Hingucker. Und natürlich der Kaßberg.
Wie bringen Sie sich ins Leben der Stadt ein?
Bislang vor allem in das Campusleben. Als nächstes möchte ich mich bei der Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft engagieren – und dann mal weitersehen.
Weitere Informationen zur Professur: https://www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/vwl1/
Katharina Thehos
30.05.2016