Halbzeit-Stimmung auf der Großbaustelle
In der Alten Aktienspinnerei soll bis Sommer 2019 die neue Zentralbibliothek der Technischen Universität Chemnitz entstehen – Aktuell wird das Gebäude winterfest gemacht
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Sachsens Finanzminister Prof. Dr. Georg Unland (2.v.r.) informierte sich gemeinsam mit dem stellvertretenden Leiter der Niederlassung Chemnitz des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB), Volker Lange (l.), der Sachgebietsleiterin Hochbau, Kerstin Reinhardt, sowie mit Prof. Dr. Uwe Götze, Prorektor für Transfer und Weiterbildung der TU Chemnitz, über den Baufortschritt. Foto: Mario Steinebach -
Prof. Dr. Georg Unland, Sächsischer Staatsminister der Finanzen, freut sich, dass mit der Alten Aktienspinnerei ein charakteristisches Kulturdenkmal erhalten werden kann, das zu Chemnitz passt. Foto: Vivek Bakul -
Mit Hilfe spezieller Technik werden aktuell 330 Stahlfenster eingebaut. Jedes Rundbogenfenster wiegt mehr als 300 Kilogramm. Auf den ersten Blick ist nicht erkennbar, dass es sich um individuell gefertigte Hightech-Produkte handelt, denn die Fenster müssen nicht nur dem Denkmalschutz genügen, sondern auch energeieffizient und schallschluckend sein sowie ausreichend Schutz vor der Sonneneinstrahlung bieten. Foto: Vivek Bakul -
Die gußeisernen Säulen im Inneren des Gebäudes bleiben erhalten. Um die Deckenlast zu minimieren, kommt ein Leichtbetonmörtel zum Einsatz. Jetzt noch gut zu erkennen sind die gemauerten Kappengewölbe. Foto: Mario Steinebach -
Der Entwurf der Architekten Siegmar Lungwitz, Lydia Heine, Thorsten Mildner (alle Dresden) und Thomas Rabe (Berlin) zeigt, dass das dritte Obergeschoss und das Dach, die im Zweiten Weltkrieg beschädigt und später abgetragen wurden, wieder hergestellt wird. Deutlich wird auch, dass vor der Zentralbibliothek aus Sicht der Architekten viel Platz zum Verweilen sein soll. Grafik: ARGE Aktienspinnerei -
Blick in die Zukunft: So soll der Freihandbereich in einem Seitenflügel der künftigen Zentralbibliothek gestaltet werden. Grafik: ARGE Aktienspinnerei -
Vom Foyer aus führen eine Haupttreppe und Aufzüge in die oberen Etagen, die Freihandbereiche sind in den beiden Seitenflügeln untergebracht. Grafik: ARGE Aktienspinnerei -
Das Herzstück der neuen UB: So stellen sich die Architekten den glasüberdachten, über zwei Etagen reichenden Lesesaal im Zentrum des Gebäudes vor. Grafik: ARGE Aktienspinnerei
Es ist die derzeit größte und teuerste Baustelle in der Stadt: Die Alte Aktienspinnerei an der Straße der Nationen wird für 49,5 Millionen Euro mit viel Liebe zum Detail zur neuen Zentralbibliothek für die Technische Universität Chemnitz umgebaut. Sachsens Finanzminister Prof. Dr. Georg Unland hat sich am 21. August 2017 gemeinsam mit dem stellvertretenden Leiter der Niederlassung Chemnitz des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB), Volker Lange, in Anwesenheit von Vertretern der Universität über den Stand der Baumaßnahmen informiert. Der Finanzminister freue sich, dass der Freistaat eines der bedeutendsten industriegeschichtlichen Bauwerke und Kulturdenkmale der Stadt Chemnitz einer neuen Nutzung zuführen kann. „Die TU Chemnitz wird mit der neuen Universitätsbibliothek an zentraler Stelle eine den Anforderungen des modernen Lehrbetriebes entsprechende Bibliothek erhalten“, sagte Unland. Ziel ist es, die bisher auf mehrere Standorte verteilte Universitätsbibliothek an einem Ort unterzubringen, der zudem verkehrstechnisch über das „Chemnitzer Modell“ sehr gut erreichbar sein wird. „Die Universitätsbibliothek stellt darüber hinaus auch eine symbolische Verbindung dar zwischen der mehr als 180jährigen Geschichte, auf die die TU Chemnitz zurückblicken kann, und der heutigen Forschung und Lehre auf höchstem Niveau“, so der Minister.
Das historische Gebäude der Alten Aktienspinnerei bestand ursprünglich aus einem zentralen fünfgeschossigen Mittelbau mit Zierbekrönung sowie zwei langgestreckten viergeschossigen Seitenflügeln mit Satteldach und markanten Ecktürmen. Aufgrund der Umnutzung des historischen Industriegebäudes zur Bibliothek sind umfangreiche Anpassungen des Bestandes erforderlich. Die beiden Seitenflügel werden weitgehend erhalten. Der Mittelbau sowie die äußeren Giebelfelder der Seitenflügel wurden bereits entkernt und mit einer geänderten inneren Struktur, die der neuen Nutzung durch die Bibliothek Rechnung trägt, wieder aufgebaut. Ein Anbau nördlich des Mittelbaus soll Raum schaffen für das Magazin.
Unter der Projektleitung des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB), Niederlassung Chemnitz, entsteht im Gebäude eine Nutzfläche von insgesamt 12.354 Quadratmeter mit Gesamtbaukosten in Höhe von 49,5 Millionen Euro. Davon sollen 13,6 Millionen Euro aus dem Fond für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert werden. Dem Typus der bestehenden Gebäudestruktur folgend werden künftig in den seitlichen Gebäudeflügeln die Freihandbereiche der Bibliothek angeordnet. Der Mittelteil wird mit zentralen Funktionen wie Eingangshalle, Haupterschließung und Lesesälen besetzt. Die Verwaltung wird an den Giebelseiten im Osten und Westen und im Mittelbau untergebracht. Die Kubatur sowie die Fassadengestaltung der historischen Aktienspinnerei werden in ihrer ursprünglichen Form wieder hergestellt.
Die Bauarbeiten begannen bereits im April 2014 mit dem Rückbau leerstehender Gebäude rund um das Hauptgebäude. Ab Oktober 2014 wurden die Seitenflügel beräumt, von allen Einbauten befreit und in den Rohbauzustand versetzt. Dabei wurden etwa 6.500 Tonnen Bauschutt zum großen Teil in Handarbeit aus dem Gebäude gebracht. Das wertvolle gusseiserne Tragwerk mit gemauerten Kappengewölben wurde wieder sichtbar gemacht. Im Juli 2015 begann die Komplettentkernung des Mittelbaus. Die Außenwände wurden parallel dazu statisch gesichert und im Anschluss die Baugrube für den Mittelbau und den Magazinanbau hergestellt. Insgesamt wurden 20.000 Tonnen Abbruchmaterialien beseitigt. Auch mit Überraschungen mussten die Bauleute umgehen. „Der extrem schlechte Baugrund musste verstärkt und die Deckenkonstruktionen mussten stellenweise umfangreich saniert werden“, informierte Unland. Aktuell werden 330 Stahlfenster eingebaut und die Arbeiten am Dach beendet. Insgesamt werden 185 Kilometer Kabel verlegt.
Bis Sommer 2019 sollen die Bauarbeiten auf dem Gelände der „Alten Aktienspinnerei“ abgeschlossen werden. „Danach beginnt der große Umzug von etwa 1,45 Millionen Büchern, davon kommen etwa 595.000 Bände ins Magazin“, berichtete Angela Malz, Direktorin der Universitätsbibliothek. 70.000 Bände werden auf elektronischen Datenträgern aufbewahrt. "Die neue Bibliothek soll montags bis sonntags rund um die Uhr geöffnet sein", fügt Malz hinzu. Das Gebäude biete darüber Platz für 710 Arbeits- und Leseplätze im Freihandbereich sowie für 71 Büroarbeitsplätze des Bibliothekspersonals. „Im Außenbereich hinter der Alten Aktienspinnerei soll es künftig einen Lesegarten geben“, informierte Kerstin Reinhardt, Sachgebietsleiterin in der Niederlassung Chemnitz des SIB. Darüber hinaus solle von der Straße der Nationen aus auch ein flexibel gestaltbarer Veranstaltungsbereich im Gebäude zugänglich sein.
Stichwort: Aktienspinnerei
Die im Baustil des historischen Eklektizismus errichtete Aktienspinnerei entstand um 1858 infolge der Gründung einer Aktiengesellschaft als damals größte Spinnerei Sachsens mit 60.000 Spindeln. Abweichend von früheren Spinnereien hatte der Architekt Friedrich Theodor Roschig das Gebäude vor allem wegen der Brandgefahr ganz aus Eisen und Stein projektiert, also weitgehend auf Holz als Baumaterial verzichtet. Damit galt das Gebäude als eines der brandsichersten in der Stadt. Der Spinnereibetrieb endete 1914. Bereits 1905 ging das Areal in das Eigentum der Stadt Chemnitz über. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude schwer beschädigt und verlor sein Dach und das oberste Geschoss. In der Folge wurde das Gebäude auch als Essenausgabe, Provisorium für das zerstörte Opernhaus, Kaufhaus, Stadtbücherei, Bürohaus und Puppentheater und zuletzt als Galerie genutzt. Seit 2011 ist das Gebäude Eigentum des Freistaates Sachsen.
Mario Steinebach
21.08.2017