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Emotional kühl, aber kompetent - Video verfügbar

Studie der TU Chemnitz zeigt erstmals, wie neue bionische Technik Stereotype über Menschen mit Behinderung beeinflusst – Video-Einordnung der Studie durch Prof. Meyer abrufbar

Der Kern des geläufigen Stereotyps über Menschen mit einer Körperbehinderung besagt: Sie sind nett, aber wenig kompetent. Deshalb begegnet man dieser Personengruppe in der Regel mit Mitleid. Der technische Fortschritt könnte dieses Bild ändern, wie eine neue Studie der Technischen Universität Chemnitz zeigt. Demnach wurden Menschen mit einer Körperbehinderung, die eine bionische Prothese tragen, von den Untersuchungsteilnehmern und -teilnehmerinnen beinahe für genauso kompetent wie Nichtbehinderte eingeschätzt. Das legt den Schluss nahe, dass die bionische Technik einen Teil des Stigmas der Behinderung ausgleichen kann. Diese Wahrnehmung veränderte sich aber mit der verwendeten Bezeichnung: Wurden die Versuchspersonen gebeten, „Cyborgs“ einzuschätzen, also Personen mit sowohl organischen als auch biomechanischen Körperteilen, nahmen sie diese als Bedrohung war – als emotional kalt und kompetent.

Es ist die erste Studie, die den Zusammenhang zwischen der zunehmenden Technisierung des menschlichen Körpers und Stereotypen darüber in der Gesellschaft untersucht. Die Studie ist am 20. November 2018 als Open Access im renommierten Fachmagazin „Frontiers in Psychology“ erschienen. „Unsere Studie zeigt, dass technische Neuentwicklungen die Inhalte von Stereotypen ändern können“, erklärt Prof. Dr. Bertolt Meyer, Professur Organisations- und Wirtschaftspsychologie der TU Chemnitz, der an der Schnittstelle Mensch und Technik forscht. Meyer hat die Studie gemeinsam mit Jun.-Prof. Dr. Frank Asbrock, Juniorprofessur Sozialpsychologie, geleitet. 

Stereotypen-Modell als wissenschaftliche Grundlage

„Stereotype sind gemeinsam geteilte Überzeugungen über Mitglieder sozialer Gruppen. Zum Beispiel die Überzeugung, dass Italiener gute Pasta kochen oder Senioren schwerhörig sind“, sagt Jun.-Prof. Asbrock, der schwerpunktmäßig zu den Themen „Vorurteile“ und „Gruppenzugehörigkeit“ forscht. Die Chemnitzer Studie basiert auf dem „Stereotype Content Model“ (SCM), das den Inhalt von Stereotypen als zwei Zuschreibungen gegenüber sozialen Gruppen definiert:  Die erste Zuschreibung „Wärme“ gibt an, ob Mitglieder einer sozialen Gruppe eher gute Absichten (warm) oder schlechte Absichten (kalt) haben. Davon unabhängig schreibt das Modell sozialen Gruppen mehr oder weniger „Kompetenz“ zu, ihre Absichten in die Tat umzusetzen. Rentner und Menschen mit Behinderung werden beispielsweise gute Absichten („Wärme“), aber wenig Kompetenz zugeschrieben.

Der Ausganspunkt für die Studie der TU-Forscher sei die Beobachtung gewesen, dass Menschen mit bionischen Prothesen in den Medien, in der Popkultur oder auch im Sport als besonders kompetent dargestellt werden, so Meyer. „Wir wollten untersuchen, ob sich aus dieser Beobachtung heraus auch Schlüsse hinsichtlich Stereotypisierungen in der Gesellschaft ableiten lassen. Unsere Vermutung war, dass die zunehmende Verbreitung bionischer Prothesen zur höheren Akzeptanz auf der einen sowie zur positiven Veränderungen von Vorbehalten in Form von Stereotypen auf der anderen Seite führt“, sagt Meyer, der selbst eine bionische Handprothese trägt.

Breites Mess- und Probanden-Feld

Für ihre Untersuchung stellten die beiden Forscher sechs Hypothesen mit zum Teil zwei Unterkategorien zur Stereotypisierung von Menschen mit Einschränkung, von Träger und Trägerinnen bionischer Prothesen sowie von Cyborgs auf. Die Referenzgrößen zur Untersuchung dieser Unterschiede waren die Kategorien „Wärme/Kälte“ und „Kompetenz“. Im Kern ging es bei den Hypothesen darum, inwiefern bei den beschriebenen drei Gruppen Unterschiede in der Stereotypisierung vorliegen.

Die Ergebnisse basieren auf zwei Erhebungen mit insgesamt über 3.100 Messungen, die an 401 Probanden und Probandinnen vorgenommen wurden. Hierbei handelte es sich um Personen, die zwischen 18 und 70 Jahre alt sind, Englisch sprechen und aus Europa oder den USA kommen. Zur Untersuchung ihrer Hypothesen verwendeten Meyer und Asbrock bei einem Teil der Probanden und Probandinnen einen Online-Fragebogen. Bei dem anderen Teil des Versuchsfeldes nutzten sie ein Online-Experiment. Im Rahmen der Untersuchung konnten die beiden Forscher vier Hypothesen bestätigen, während die restlichen entweder zum Teil zutrafen oder komplett fallengelassen werden mussten.

So konnten Meyer und Asbrock etwa zeigen, dass Menschen mit körperlichen Einschränkungen als kompetenter eingestuft werden, wenn sie eine bionische Prothese trugen. Ebenfalls bestätigte sich, dass Cyborgs mehr Kompetenz, aber gleichzeitig auch mehr „Kälte“ zugesprochen wurde. Und das sowohl im Vergleich zu Menschen mit körperlichen Einschränkungen als auch körperlich gesunden Menschen. Die Forscher schlussfolgern deshalb, dass die Bezeichnung „Cyborg“ für Menschen mit Behinderung, die diese mit neuer Technik ausgleichen, nicht zielführend ist. Der Grund: Mit dieser Bezeichnung wird ein neuer bedrohlicher Stereotyp geschaffen.

Die Studie zeigt auch, dass gesunde Menschen, die ihre Fähigkeiten technisch aufbessern, negativ als kalt und mittelmäßig kompetent beurteilt werden. Dies deutet auf die möglichen sozialen Kosten einer Verschmelzung von Mensch und Technik in der Zukunft hin.

Die Erkenntnisse der Studie weisen vor dem Hintergrund zunehmender Technisierung in allen Bereichen der Gesellschaft in die Zukunft: Technologie verändert nicht nur die Fähigkeiten der Menschen, sondern auch, wie sie sich selbst sehen und sozial gesehen werden.

Multimedia: In einem Video-Clip ordnet Prof. Dr. Bertolt Meyer die Ergebnisse der Studie ein. Der Clip ist im YouTube-Kanal der TU Chemnitz verfügbar.

Im Podcast „TUCpersönlich“ berichtet Jun.-Prof. Dr. Frank Asbrock über die Vorurteils-Forschung, warum er Psychologie studiert hat und seinen persönlichen Blick auf die Stadt Chemnitz.

Hinweis: Die Studie mit dem Titel „Disabled or Cyborg? How Bionics Affect Stereotypes Toward People With Physical Disabilities“ von Prof. Dr. Bertolt Meyer und Jun.-Prof. Dr. Frank Asbrock ist als Open Access online verfügbar: https://doi.org/10.3389/fpsyg.2018.02251  

Weitere Informationen erteilen Prof. Dr. Bertolt Meyer, Professur Organisations- und Wirtschaftspsychologie, Tel. +49 (0)371 531-32972, E-Mail bertolt.meyer@psychologie.tu-chemnitz.de

und

Jun.-Prof. Dr. Frank Asbrock, Juniorprofessur Sozialpsychologie, Tel. +49 (0)371 531-31678, E-Mail frank.asbrock@psychologie.tu-chemnitz.de

Matthias Fejes
29.11.2018

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