Digitalisierung in Forschung und Wissenschaft
Im Rückblick: Bei der Festveranstaltung "25 Jahre Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der TU Chemnitz" wurden Fluch und Segen der Digitalisierung facettenreich beleuchtet
Unter dem Titel „Fluch und Segen der Digitalisierung“ fand am 16. November 2018 der Festakt zum 25-jährigen Jubiläum der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität Chemnitz statt. An diesem Tag wurde die zentrale Bedeutung der Digitalisierung hervorgehoben. Es stand die wissenschaftliche Analyse und praktische Gestaltung aus der Sicht unterschiedlicher wirtschaftswissenschaftlicher Fachgebiete im Mittelpunkt des Festaktes der Fakultät. Zur Vorbereitung dieses Festtages haben alle Professuren der Fakultät ihre disziplinären Themen zu Fluch und Segen der Digitalisierung zusammengetragen. Diese wurden sowohl in einer Collage künstlerisch abgebildet als auch in einem Video festgehalten.
Die Eröffnung des Festaktes erfolgte durch den Rektor der TU Chemnitz, Prof. Dr. Gerd Strohmeier. In seinem Grußwort an die Fakultät vergegenwärtigte er noch einmal die Gründungszeit der Fakultät, um danach deren Entwicklung zu skizzieren. In diesem Zusammenhang stellte er die Bedeutung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften für die TU Chemnitz heraus und wünschte ihr abschließend ein weiteres erfolgreiches Vierteljahrhundert. Der Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Dr. Michel Hinz, widmete sich in seinen Grußworten zunächst den vergangenen 25 Jahren der Fakultät, um sich dann einigen zukunftsbezogenen Aspekten der Forschung und Lehre der Fakultät zuzuwenden und abschließend in das Thema der Festveranstaltung einzuführen.
Mit Blick auf gesamtwirtschaftliche Fragen zur Transformation des Kapitalismus vertrat Prof. Dr. Fritz Helmedag die These, dass technische Umwälzungen allein, so gravierend sie erscheinen mögen, die zentralen Funktionsprinzipien des modernen Wirtschaftens nicht außer Kraft setzen. Auch die vielfach betonten negativen arbeitsmarktpolitischen Effekte durch Digitalisierung könnten durch geeignete Wachstums-, Verteilungs- und Arbeitszeitpolitik gemindert werden, wenn die Produktivitätsfortschritte und das Arbeitsvolumen auf mehr Personen verteilt würden.
Aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive arbeitete Prof. Dr. Uwe Götze zunächst Chancen und Herausforderungen heraus, die die Digitalisierung für Unternehmen mit sich bringen kann. Er widmete sich dann der Frage, wie die Wirtschaftlichkeit von IT-Systemen, cyber-physischen Systemen, Digitalisierungsprojekten und auf Digitalisierung basierenden Geschäftsmodellen zum einen bewertet und zum anderen gezielt „gestaltet“ werden kann. Es wurde deutlich, dass hierfür auf ein umfassendes betriebswirtschaftliches Basisinstrumentarium zurückgegriffen werden kann, das aber auf das jeweilige Bewertungs- bzw. Steuerungsobjekt zuzuschneiden ist.
Prof. Dr. Cornelia Zanger fokussierte die Digitalisierung aus Marketingperspektive. Lassen sich positive Effekte der „emotionalen Ansteckung“ im Rahmen von virtuellen Alternativen, wie Automaten und Online-Angeboten trotz der fehlenden persönlichen Interaktion nutzen? Die vorgestellte experimentelle Untersuchung zeigte, dass der Einsatz von Smileys in diesen Serviceinteraktionen zu einer Übertragung von Emotionen vom Computer zum Menschen führt und diesen Interaktionen einen "menschlichen Touch" verleiht.
Prof. Dr. Friedrich Thießen führte das Auditorium mit sieben Meilenstiefeln durch die Geschichte von Banken seit Ende des 19. Jahrhunderts: Von der Verwendung von Buchungs- und Rechenmaschinen, über EDV-Systeme zur Erfassung und Verarbeitung der Geschäfte bis zu den Geldausgabeautomaten, die die Vorgänge am Schalter ersetzen. Die sich entwickelnde Finanzmathematik ermöglichte in den 90er Jahren eine Explosion neuer Produkte und Strategien. Mittlerweile buhlen internetbezogene Plattformen um den Zugang zum Kunden. Es entstehen, so seine Beobachtungen, in der Folge sogenannte White-Label-Banken, die im Hintergrund hochspezialisierte Finanzdienstleistungen erbringen, während traditionelle Filialbanken immer weniger Leistungen selbst produzieren.
Der Vortrag "Regulierung von Algorithmen" von Prof. Dr. Stefan Korte nahm eine öffentlich-rechtliche Perspektive ein. Er kam zu der Erkenntnis, dass die Programmierung von und der Umgang mit Algorithmen spezifische Gefahren insbesondere in Form der Meinungslenkung und der Datenmonopolisierung bergen. Da das geltende Wettbewerbs- bzw. Rundfunkrecht keine Regelungsmechanismen zum Schutz der Meinungsvielfalt und der Möglichkeit des Datenzugriffs für unbeteiligte Dritte enthält, setzte sich der Vortrag für die Schaffung eines Online-Beirats ein, dessen Aufgabe die Beobachtung von Algorithmen sein soll. Zudem sollte ein Datenregulierungsrecht geschaffen werden, dass Zugangsrechte für Dritte zu den bei Plattformbetreibern kumulierten Daten begründet und Aussagen zur Preisgestaltung für die Einräumung dieser Befugnis trifft.
Mit dem bekannten Goethe-Zitat „Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los“, leitete im Anschluss Prof. Dr. Barbara Dinter ihre Ausführungen zum Umgang mit der Datenflut im Zeitalter der Digitalisierung ein. Sie betonte die Rolle von Big Data und Analytics als Treiber und Befähiger neuer Geschäftsmodelle. Für Unternehmen resultiert daraus nicht nur die Notwendigkeit, das Datenmanagement neu und umfassend zu gestalten. Sie müssen insbesondere auch eine Innovationskultur etablieren, die allen Mitarbeitern erlaubt, interne sowie externe und frei verfügbare, öffentliche Daten in kreativer Art und Weise zu neuen Nutzungsszenarien zusammenzuführen und auszuwerten.
Andre Kaiser, ehemaliger Mitarbeiter und externer Doktorand an der Professur für Systementwicklung und Anwendungssysteme, thematisierte in seinem Vortrag die Auswirkungen der Digitalisierung auf die universitäre Lehre. Sein Vortrag zum Thema „Datenkompetenz als Schlüsselqualifikation der Digitalisierung“ fasste hierzu eine Studie zusammen, die die aktuellen Anforderungen des Arbeitsmarkts an Absolventen in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen zusammenfasst. Es zeigt sich, dass inzwischen deutlich mehr IT-bezogene Kenntnisse und insbesondere datenbezogene Kompetenzen von potenziellen Arbeitgebern nachgefragt werden. Herr Kaiser kommt zu dem Ergebnis, dass die Hochschullehre diesen Entwicklungen noch nicht ausreichend nachgekommen ist. Digitale Entwicklungen müssten sich vermehrt auch in der Lehre traditioneller wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge widerspiegeln, um eine praxisorientierte Ausbildung weiterhin zu gewährleisten.
Nach Vorträgen zum Thema Digitalisierung im Verlauf des Vormittags, wurde im Rahmen des Nachmittagsprogramms ein Workshop unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Pawlowsky mit UnternehmensvertreterIinen und -vertretern der Firma Viessmann und Wissenschaftlern durchgeführt. Um die praktische Umsetzung der Digitalisierung bei einem Pionierunternehmen nachvollziehen zu können, wurden in einer wissenschaftlichen Studie die Schritte zur Digitalisierung bei der Firma Viessmann anhand von drei Gestaltungsfeldern nachgezeichnet: Technologie, Geschäftsmodell sowie Kultur und Führung. Ziel dieses Workshops war es, mit Vertreterinnen und Vertretern des Unternehmens Erkenntnisse aus dem Digitalisierungsprozess des Familienunternehmens abzuleiten und zukünftige Herausforderungen, nicht zuletzt mit Blick auf den sächsischen Mittelstand zu spezifizieren. Es wurde herausgearbeitet, dass Digitalisierung weit über die technische Gestaltung hinausgehend, Aspekte des Geschäftsmodells, der Kultur und Führung sowie der rechtlichen Gestaltung von Datenschutz und -verwendung beinhaltet und das eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie auch nicht von Nachhaltigkeitsfragen abstrahieren kann.
Vertieft wurden diese Fragen in der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitung von Prof. Dr. Marlen Arnold. Um sich dem komplexen und interdisziplinärem Thema der Digitalisierung anzunähern, wurden die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung disziplinenübergreifend diskutiert. In einem sehr lebendigen Dialog adressierten die geladenen Podiumsgäste Prof. Dr. Volker Bank (TU Chemnitz, Wirtschaftspädagogik), Prof. Dr. Peter Gluchowski (TU Chemnitz, Wirtschaftsinformatik), Dr. Stefan Hoffmann (Viessmann, Leitung Akademie), Dr. Yaman Kouli (TU Chemnitz, Wirtschaftsgeschichte), Josephin Letzner (Viessmann, Business Operations/ Organizational Excellence), Prof. Dr. Bertolt Meyer (TU Chemnitz, Wirtschaftspsychologie) und Anett Voigt (CWE, Entwicklung | IT und neue Technologien) Fragen der Auswahl und Einbindung digitaler Endgeräte in verschiedenen Arbeits- und Lernsituationen, inwiefern historische Gelassenheit auch heute wirksam sein kann, ob Veränderungen in den Arbeitswelten nicht auch eine neue Grundversorgung bedingt und vieles mehr. Die vielschichtigen Beiträge haben deutlich gemacht, dass Digitalisierung Fluch und Segen sein kann und wir Menschen Digitalisierung als nützliches und hilfreiches Instrument einsetzen sollten, um selbst nicht zum Knecht der Digitalisierung zu werden – ganz im Sinne des Goethe-Zitats aus Wilhelm Meisters Lehrjahren, mit dem Prof. Dr. Barbara Dinter ihren Vortag vollendet hat: „Des Menschen größtes Verdienst bleibt wohl, wenn er die Umstände soviel als möglich bestimmt und sich so wenig als möglich von ihnen bestimmen lässt“.
Mit einem abendlichen Empfang klang der Festakt anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der TU Chemnitz in angeregter und harmonischer Atmosphäre aus.
(Autor: Prof. Dr. Michael Hinz)
Mario Steinebach
11.12.2018