„Jeder will helfen!“
Pädagogik-Studentin Jessica Uhlmann berichtet, wie sie ihr Studium mit körperlicher Beeinträchtigung meistert
Seit dem Wintersemester 2012/13 studiert Jessica Uhlmann den Bachelorstudiengang Pädagogik an der Technischen Universität Chemnitz. Neben den typischen Studienaufgaben, wie Stundenplanerstellung, Prüfungsstress und der Suche nach einem Praktikumsplatz, wird die junge Frau noch vor eine andere Herausforderung gestellt: Jessica Uhlmann leidet an der Glasknochenkrankheit und sitzt im Rollstuhl. Trotz der Beeinträchtigung absolviert sie, mit Unterstützung ihrer persönlichen Assistenz, ihr Studium und weiß mit der Erkrankung und den damit einhergehenden Hürden des Alltags umzugehen. Die 23-Jährige ist auf die Unterstützung ihrer Assistenz bei allen Studienangelegenheiten angewiesen. Sie wird aufgrund ihrer Einschränkung an Studientagen mit dem Taxi von ihrem Elternhaus in der Nähe von Zschopau zur Universität gefahren. In einem Interview mit Juliane Wenzel, Mitarbeiterin der Zentralen Studienberatung und hier auch Ansprechpartnerin für Studierende mit Behinderung, erzählt Jessica Uhlmann, wie sie ihr Studium gestaltet, auf welche Probleme sie dabei stößt und wie die TU Chemnitz sie unterstützt.
Frau Uhlmann, wie gestalten Sie Ihren Studienalltag mit der körperlichen Beeinträchtigung?
Ganz normal, wie jeder Student auch – ich kenne es ja nicht anders. Ich erstelle mir jedes Semester meinen Stundenplan und besuche die Veranstaltungen. Zusätzlich muss ich jedoch darauf achten, in welchen Räumen und an welchem Universitätsteil die Veranstaltungen stattfinden. Gerade am Anfang des Studiums war der organisatorische Aufwand sehr hoch. Mir war nicht bekannt, welche Räume barrierefrei sind, also wo ich ohne Probleme mit meinem Rollstuhl hineinfahren und schließlich sitzen kann. Ich brauche für das Studium eine persönliche Assistenz, die mich unterstützt. Sie hilft mir bei allen Angelegenheiten und begleitet mich zu jeder Veranstaltung.
Welche Unterstützung benötigen Sie im Studium?
Da ich im Rollstuhl sitze, bin ich darauf angewiesen, die Räume entweder durch Fahrstühle zu erreichen oder dass diese ebenerdig sind. In den Räumen selbst benötige ich verstellbare Tische oder auch Rolltische für Räume mit fester Bestuhlung. Gerade in der Prüfungszeit ist die spezielle Bestuhlung meist nicht gegeben und es muss kurzfristig eine Alternative organisiert werden. Da ich nicht stehen kann, benötige ich behindertengerechte sanitäre Anlagen mit ausreichend Platz für meinen Rollstuhl und mich.
Wie finanzieren Sie das Studium und Ihre Assistenz?
Ich erhalte Bafög, wie viele Studierende auch. Meine persönliche Assistenz wird über den Kommunalen Sozialverband Leipzig finanziert. Die Suche nach einer Betreuungsperson musste ich jedoch selbst übernehmen. Über e-Bay-Kleinanzeigen habe ich Denise Breitfeld schließlich gefunden – erst eine Woche vor Beginn des Studiums konnte sie eingestellt werden. Ohne Assistenz hätte ich das Studium nicht beginnen können. Jetzt ist die Finanzierung der Assistenz für das gesamte Bachelorstudium sichergestellt.
Auf welche Probleme stoßen Sie im Studium?
Der Wechsel der Universitätsteile stellt eine große Hürde für mich dar. Zwar sind die meisten Busse barrierefrei, aber gerade zu den Stoßzeiten, wenn die Busse überfüllt sind, muss ich häufig auf den nächsten warten. Wenn im Bus keine Rampe vorhanden ist, kann ich diesen ebenfalls nicht nutzen. Der Einstieg in Straßenbahnen ist für mich überhaupt nicht möglich, da der Abstand zwischen Rampe und Gehweg zu groß ist. Der Rollstuhl kann auch nicht ständig angehoben werden – er wiegt 140 Kilogramm und meine Assistenz kann dieses Gewicht unmöglich stemmen. An Universitätsteilen mit Fahrstuhl könnten Probleme entstehen, wenn es brennt und die Fahrstühle ausfallen. In der Regel ist keine Rampe vorhanden und im schlimmsten Fall sitzt ein Rollstuhlfahrer im Gebäude fest und kann sich im Brandfall nicht in Sicherheit bringen.
Da Sie Probleme der Barrierefreiheit ansprechen: Ist die TU Chemnitz Ihrer Meinung nach ausreichend barrierefrei?
Vieles wurde schon getan und ich kann sagen, dass ich den Großteil aller Veranstaltungen besuchen kann. Im Uni-Teil Straße der Nationen hatte ich bisher wenige Veranstaltungen. Es ist wichtig zu wissen, wo der Fahrstuhl ist. Mir fehlte dazu ein Plan zur Orientierung. Es gibt zwar Schilder, die auf die Räume verweisen, nicht aber, wo sich Aufzüge befinden und wie diese erreicht werden können. Vielleicht ist es künftig möglich, diese mit Rollstuhlsymbolen zu kennzeichnen. Das Hörsaalgebäude, der Weinhold-Bau, der Uni-Teil Wilhelm-Raabe-Straße und die Mensa auf dem Campus sind am besten ausgestattet: Fahrstühle sind gut gekennzeichnet und leicht zu erreichen, die Toiletten sind ausreichend groß und mit Ablageflächen ausgestattet. Am schwierigsten gestaltet sich der Besuch von Veranstaltungen im Universitätsteil Erfenschlager Straße. Ich kann nur einen Hintereingang nutzen bzw. gelange über den Keller ins Gebäude. Bereits mein Anreiseweg ist damit deutlich aufwändiger und zeitintensiver. Zudem sind die Toiletten nicht zentral gelegen. Als Rollstuhlfahrer muss man mindestens zehn Minuten Zeit einplanen, um von einer Veranstaltung zur Toilette zu gelangen.
Wer konnte Ihnen bei der Studienorganisation helfen und wie sah diese Hilfe aus?
Zunächst war es wichtig, Kontakt zum Dezernat Bauwesen und Technik aufzunehmen, um die Erreichbarkeit der Veranstaltungen zu klären. Ich bekam zusätzlich einen Transponder, um direkt auf das Unigelände des Hörsaalgebäudes zu gelangen. Ich nehme Kontakt zur Raum- bzw. Stundenplanung auf, wo Änderungen vorgenommen werden können, wenn ich eine Veranstaltung nicht besuchen kann. Ebenfalls hilfreich war der Kontakt zur Sozialberatungsstelle und zu meinem Fachstudienberater. Er half bei der Organisation des Studiums und klärte inhaltliche Fragen. Vor Beginn des Studiums fand ein erstes Gespräch mit dem Leiter des Studentenservices statt. Er fragte, welche Unterstützung ich noch benötigte und stellte mich direkt allen verantwortlichen Ansprechpartnern für Studierende mit Behinderung vor. Ich erhielt viel Unterstützung, realisierte aber auch, dass ich mir alles wesentlich unproblematischer vorgestellt habe, als es tatsächlich war.
Sie haben bereits viele Erfahrungen in der Studienorganisation gesammelt und sind dadurch sehr selbstständig geworden. Welche Tipps haben Sie für andere Studienanfänger mit körperlicher Beeinträchtigung?
Wichtig ist im Vorfeld die Teilnahme an Informationsveranstaltungen, wie dem Tag der offenen Tür. Ich selbst nahm einige Male an der Veranstaltung teil, um mir die Gegebenheiten anzuschauen, aber auch um Fragen zum Studienablauf zu stellen. Bereits vor Beginn des Studiums sollte man Kontakt zur Zentralen Studienberatung aufnehmen, um Fragen zum Studium ansich zu stellen, aber auch, um eine rechtzeitige Organisation zu gewährleisten. Ich habe etwa einen Monat vor Studienbeginn angefangen, alles in die Wege zu leiten. Gerade die Beantragung finanzieller Mittel ist sehr aufwändig und sollte daher frühzeitig erfolgen.
Wie schätzen Sie das Verhalten von Kommilitonen, Dozenten und Professoren ein?
Meine Kommilitonen sind sehr nett und ich fühle mich sehr wohl in der Gruppe. Die Dozenten und Professoren sind ebenfalls sehr zuvorkommend. Jeder will helfen, um mir den Studienalltag zu erleichtern. Manchmal finden zwischen meinen Kommilitonen Aktivitäten statt, an denen ich mich weniger beteiligen kann, wie beispielsweise die letzte Campus-Party. Da es jedoch viel zu eng für mich wäre und meine Assistenz mich um diese Uhrzeit auch nicht mehr betreuen kann, konnte ich dieses Angebot noch nicht nutzen. Aber auch ohne die Partys sehe ich mich genauso als Teil der Gruppe, wie alle anderen auch.
Welche akademischen Ziele haben Sie?
Momentan belege ich die Schwerpunktrichtung Erwachsenenbildung und Weiterbildung. Im fünften Semester steht das Praktikum an. Ich könnte mir vorstellen, dieses bei der IHK oder in einer Beratungseinrichtung der Weiterbildung zu absolvieren. Anschließend möchte ich noch den Masterstudiengang an der TU Chemnitz belegen.
Wie schätzen Sie insgesamt die Studiensituation für beeinträchtigte Studierende an der TU Chemnitz ein?
Bis auf einige Optimierungsmöglichkeiten im Uni-Teil Erfenschlager Straße besteht bezüglich der Barrierefreiheit meiner Meinung nach momentan kein Verbesserungsbedarf. Teilweise finde ich die Behördenwege an der Universität umständlich. Die Transparenz der Verantwortlichkeiten und eine klare Struktur von Ansprechpartnern für Studierende mit Behinderung fehlen. Ich würde mir wünschen, dass es eine allen bekannte zentrale Ansprechperson gibt, die schnell zu finden ist und die gesamte Organisation, gerade zu Studienbeginn übernimmt – ein Ansprechpartner, dem ich mitteilen kann, was ich benötige und wo ich Probleme sehe und der die Absprachen mit den Einrichtungen der TU übernimmt. Das würde vieles erleichtern und die volle Konzentration auf das Studium ermöglichen. Nicht jeder Studierende mit körperlicher Beeinträchtigung hat eine persönliche Assistenz. Ohne Assistenz sind die Wege noch aufwändiger oder teilweise gar nicht realisierbar. Insgesamt habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass es niemanden an der TU Chemnitz gibt, der mir nicht entgegenkommt. Es wird immer versucht, Wege zu finden. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass meine Situation, genauso wie die jedes anderen Studenten, individuell ist. Jeder Bewerber oder Studienanfänger mit einem Handicap muss differenziert betrachtet werden. Nur er weiß, welchen Unterstützungsbedarf er benötigt und wie die entsprechende Einrichtung helfen kann.
Vielen Dank für das Gespräch.
Hinweis: Juliane Wenzel steht in der Zentralen Studienberatung als Ansprechpartnerin für Studierende mit Behinderung für alle Fragen, Probleme und Anliegen zur Verfügung. Kontakt: Telefon 0371 531-32549, E-Mail juliane.wenzel@verwaltung.tu-chemnitz.de.
Katharina Thehos
14.07.2014