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Tag4: São João da Madeira

Tag4: São João da Madeira, 24. März

Nicht weit von Porto entfernt, etwa zwischen Aveiro und der Metropole, liegt São João da Madeira, welches wir früh morgens mit dem Bus ansteuerten. Diese Kleinstadt ist geprägt von ihren vielen Fabriken und Produktionsstätten. Sicherlich hat sie ihre Blütezeit schon etwas hinter sich. 


Abfahrt nach São João da Madeira
Hier nahmen wir an einem recht neuen Projekt teil, welches sich dem Industrietourismus widmet. Wir besuchten zuerst eine Bleistiftfabrik, wobei wir auch wieder auf die Germanistikstunden aus Aveiro und ihren Lektor Sebastian Knoth trafen. 

Ausgestattet mit Arbeitskitteln auf dem Weg zur Bleistiftfabrik
In der Fabrik werden Bleistifte noch auf sehr traditionelle Art und Weise produziert. Die meisten Maschinen werden noch bzw. wieder per Hand betrieben und sichern so Arbeitsplätze für ein paar dutzend ArbeiterInnen, vor allem Frauen. International ist diese Art der Produktion allerdings nicht konkurrenzfähig. Selbst eine hochmoderne Fabrik könnte nicht mit den günstigen Produktionskosten in Osteuropa und Ostasien mithalten. Hier manifestiert sich das größte Problem der portugiesischen Wirtschaft: Als Land, welches sich schon seit Jahrhunderten auf die Herstellung von Produkten mit geringem Wert spezialisiert hat, wirkt sich die Globalisierung besonders stark aus. Die Produkte sind auf Grund der hohen Löhne im Vergleich zu Asien oder Osteuropa zu teuer in der Produktion, gleichzeitig fehlt es an Know-How um sich in der Hochtechnologie ein neues Standbein aufzubauen – des Weiteren ist in diesem Bereich die Konkurrenz in Gestalt Deutschlands zu groß. Die portugiesischen Regierungen versuchten hier zwar immer wieder neue Anreize zu setzen, doch ist hier aber nur eingeschränkter Erfolg zu verzeichnen. Dies führt zu hoher Arbeitslosigkeit, die nur begrenzt und saisonal mit dem Tourismus oder mit schlecht bezahlten Arbeiten in Callcentern aufgefangen werden kann.

Die Bleistiftfabrik hat ihre Nische in der Produktion von handgemachten Bleistiften und hochqualitativem Zeichenmaterial gefunden. Doch eine Lösung für alle ist dies nicht, sondern lediglich eine lokale Lösung für einen kleinen Betrieb. Der Besuch der Bleistiftfabrik „Viarco“ sollte somit eine kleine Reise in die Vergangenheit werden und uns noch in eine Debatte über Arbeitsschutz führen. Zu Beginn empfing uns der Geschäftsführer der Fabrik, um uns eigentlich die Bleistiftproduktion in der Fabrik näherzubringen. Da wir ihm bei der Begrüßung mitgeteilt haben, dass wir in Portugal auf Spurensuche sind, um die Finanzkrise besser zu verstehen, redete er sich während seines Vortrages immer mehr in Rage und setzte zu einer arg polemischen Standpauke gegen alles und jeden an. Er hatte eine impulsive Art an sich, verurteilte die Briten wegen des Brexit, erwähnte, dass halb Europa ständig Krieg führte (vor allem die Deutschen, aber auch alle anderen) und klagte auch die jüngere Generation an, sich lieber mit dem Smartphone zu beschäftigen, anstatt die Welt zu verbessern. Seine Appelle waren sicherlich nicht komplett falsch, jedoch erweckte er den Eindruck, dass wir uns über die angesprochenen Probleme keine Gedanken machen würden und trug seine Ansichten in einem unsympathischen und latent aggressiven Unterton vor.

Der Geschäftsführer der Bleistiftfabrik

Nach circa einer halben Stunde führte er uns durch die Produktion von Bleistiften. Im Laufe der Führung kam es dann zu einem kleinen Eklat. Während er weiterhin von Weltverbesserung redete und immer wieder auch den deutschen Marktführer Faber Castel angriff, gingen wir nun durch die Produktionshallen der Bleistiftfabrik, schon vor der Tür klebte am Boden und an den Wänden der Graphit. Drinnen schufteten einige wenige Männer an umfunktionierten Maschinen, um erst einmal eine Bleistiftmine herzustellen.


Es war sehr laut, staubig und an den Decken dicker Schimmel. Keine Gesichtsmasken, kein Hörschutz, keine Schutzanzüge. Im nächsten Werkraum sprühten Mitarbeiterinnen Kleber auf halbe Stifte, setzten die Graphitminen ein und pressten die andere halbe Holzstiftplatte darauf. Auch hier dasselbe: Keine Gesichtsmasken, kein Hörschutz, keine Schutzanzüge. 



Dies stieß auf das Unverständnis im überwiegenden Teil unserer Exkursionsgruppe und einige stellten den Geschäftsführer deswegen zur Rede. Die Stimmung war gereizt, da die oben erwähnte Standpauke bei den meisten noch nachhallte. Ebenso wurden die Arbeiterinnen und Arbeiter gefragt, warum sie keine Schutzmasken verwenden, was diese damit begründeten, dass sie beim Arbeiten als störend empfunden werden. Trotz des heftigen Protestes der Chemnitzer Gruppe behielt der Geschäftsführer hier erstaunlicherweise die Contenance, verwies darauf, dass er vor kurzem erst das Dach sanieren ließ, dass er den Leuten Arbeit gebe und die Welt nicht an einem Tag ändern könne, indem er älteren Mitarbeitern vorschreibe, wie sie zu arbeiten hätten.

 
Trotz dieses Eklats war die Führung auf ihre Art ernüchternd wie informativ, da die eingesetzten Maschinen sehr alt waren und umfunktioniert worden sind. Teilweise sind sie in den fünfziger Jahren noch in deutschen Bäckereien genutzt worden und manchmal müssen sogar pensionierte Mechaniker aus Deutschland zur Reparatur eingeflogen werden, um diese aufwändige mit vielen Handgriffen versehene Produktion aufrecht zu erhalten. Nach der Besichtigung konnten wir noch die produzierten Waren der Fabrik käuflich erwerben, was jedoch nicht alle taten, um den Geschäftsführer nicht noch in seinen Ansichten zu unterstützen. Über die Qualität der Bleistift konnte man sich jedoch nicht beklagen. Obendrein hatte der Auftritt des Geschäftsführers das Blut der Exkursionsgruppe in Wallung gebracht, sodass auf dem Weg in die Mittagspause heftig über die Thematik des Arbeitsschutzes debattiert wurde und hierbei auch der eine oder andere Vergleich mit eigenen Erfahrungen aus Deutschland angestellt wurde.
Nach der ersten Fabrikbesichtigung folgte eine ausgiebige gemeinsame Mittagspause im Restaurant, bevor es dann weiter ins Hutmuseum von São João da Madeira ging. Dort wurden wir in die einzelnen Schritte der Filzhutproduktion eingeführt. Das Museum selbst befand sich in einer ehemaligen Hutfabrik und da die alten Maschinen erhalten geblieben sind, war die Führung sehr anschaulich. Neben den spannenden Einblick von der früheren Hutproduktion war das Museum natürlich auch ein Einblick in die Geschichte.

  

  

Noch etwas schockiert von den Eindrücken aus der Bleistiftfabrik folgten auch hier gleich Fragen zu den Arbeitsschutzmaßnahmen und zur Kinderarbeit. Deutlich wurde hier, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass auch Kinder in der Hutherstellung arbeiteten und ein gewöhnlicher Arbeiter auf Grund der anstrengenden und gesundheitsschädlichen Arbeit etwa beim Färben der Hüte kein langes Leben zu erwarten hatte.
Durch die ausgedehnte Mittagspause ist der Zeitplan etwas in Verzug geraten, die Wirren des öffentlichen Personennahverkehrs taten ihr Übriges, sodass wir für die Besichtigung der letzten Fabrik nur noch eine knappe Stunde zur Verfügung hatten.

IMG8635: Die Tücken des ÖPNV: Warten an der falschen Haltestelle

Dementsprechend zügig fiel die Führung durch die Produktionsstätten von Helios Textiles aus, in denen hauptsächlich Bänder und Etiketten in allen Variationen hergestellt werden. Auch wenn unser Aufenthalt kurz war, war es doch interessant zu sehen (und zu hören – es war sehr laut), wie die Maschinen am laufenden Band meterlange Etikettenbahnen produzieren, von denen wir einige sogar erkannten, wie beispielsweise das Öko-Tex-Siegel.

  

  
Stoffverarbeitung in der Fabrik Helios Textiles
Hier wurde uns versichert, dass die Krise keine Auswirkungen auf die Firma hatte und dass man expandiere und weiterhin schwarze Zahlen schreibe. Dies kann natürlich damit zusammenhängen, dass man als Firmenvertreter seinen Gästen nur positives präsentieren möchte. Ebenso brachte es uns ein Motiv ins Gedächtnis, was wir gestern bereits in Porto bei der Stadtführung erleben konnten. Inwiefern handelt es sich hierbei nur um eine schöne Fassade, etwa wenn von einem maroden Haus nur die Fassade stehen bleibt und sich dahinter nichts verbirgt? Oder wenn trotz aller sichtbaren Krisenerscheinungen so gut wie alle Wirtschaftsvertreter, die wir getroffen haben, berichten, dass sie von der Krise nicht betroffen sind? Durchaus müde und voller Eindrücke nach einem langen anstrengenden Tag schenkte man uns am Ende des Rundganges noch einen Schlüsselband und es ging mit dem Bus zurück nach Porto, wo der Tag mit einer Reflexionsrunde beschlossen wurde.

Im ÖPNV in São João da Madeira


(Text: Anna-Maria Bertko, Josephine Brandt, Swantje Ehlers, Andrej Prenic, Rob Wessel; Fotos: Paul Fischer, Thomas Weißmann)