✝ Nachruf
Zum Tod von Prof. Dr. em. Bernd Leistner
(3. Mai 1939 – 27. Februar 2019)Das Fach Germanistik hat einen großartigen akademischen Lehrer und herausragenden Wissenschaftler, zudem einen Meister des gesprochenen und geschriebenen Wortes verloren, der unter Literaturfreunden weit über die Universität hinaus bekannt gewesen ist: Prof. Dr. em. Bernd Leistner ist am 27. Februar nach kurzer, schwerer Krankheit in Leipzig verstorben.
Bereits 1992 wurde er an die damals sich noch in Gründung befindende Philosophische Fakultät der Technischen Universität auf den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur berufen. Für den 53jährigen Germanisten war dies der Höhepunkt einer bemerkenswerten Laufbahn, die mit einem Lehramtsstudium in den Fächern Deutsch und Geschichte begonnen hatte, dem ein mehrjähriger Schuldienst folgte. 1971 promovierte er an der Universität Leipzig mit einer Arbeit zum Werk von Johannes Bobrowski. Nach einem Auslandsaufenthalt im mazedonischen Skopje ging er 1973 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten nach Weimar, wo er sich den Klassikern zuwandte, insbesondere in einer größeren Studie, seiner Habilitationsarbeit, die Goethe-Rezeption in der DDR-Literatur untersuchte, um schließlich von 1988 an als Dozent am Leipziger Becher-Institut mit Schriftstellern zu arbeiten. Bernd Leistner war somit bestens prädestiniert für den Lehrstuhl der Neueren deutschen Literatur in Chemnitz. Dies erwies sich auch darin, dass er nicht allein den eigenen Bereich erfolgreich aufbaute, sondern zudem tatkräftig an der weiteren Ausgestaltung der Philosophischen Fakultät mitwirkte, z. B. indem er mehrere Berufungsverfahren verantwortungsvoll zum Abschluss brachte. Von 1995 vertrat er die Philosophische Fakultät bis zu seiner Emeritierung auf dem Fakultätentag.
Bernd Leistner avancierte rasch zu einer markanten und zugleich geachteten Person innerhalb der Fakultät und auch außerhalb des Universitätsbetriebs – ein sichtbares Zeichen dafür war 1998 seine Aufnahme in die Sächsische Akademie der Künste. Die Mitarbeiter schätzten seine kollegiale Umgangsform; jedweder professoraler Habitus war ihm fremd. Gemeinsame Kaffeerunden, die die Sekretärin genauso einschlossen wie die wissenschaftliche Hilfskraft, waren Usus; am Ende eines jeden Semesters organisierte er eine Wanderung für die germanistischen Lehrstühle – mit dem Ziel, sich untereinander noch besser kennenzulernen und den neuen Kollegen seine Heimat, das Erzgebirge, zu zeigen.
Leistner überzeugte und faszinierte durch sein breites Fachwissen, das sich auch auf andere Felder wie die Musik erstreckte. Seine Vorlesungen stellten intellektuelle Spaziergänge durch die deutsche Literaturgeschichte dar; sie waren stets gut besucht und nicht selten fand sich im Anschluss ein Kreis von Interessierten, mit dem er das Gespräch fortsetzte. Es gab Studenten, die auch noch lang nach seiner Emeritierung, ja bis zu seinem Tode mit ihm in Kontakt standen.
Er war Literaturhistoriker und Literat zugleich, ein Essayist, der feinsinnig zu formulieren verstand, ausgestattet mit einem veritablen Sinn für Ironie. Diese besondere Art der Annäherung an den Gegenstand und die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte anschaulich-prägnant und zugleich sprachlich originär zu fassen, hatten ihm bereits 1985 den Heinrich-Mann-Preis eingebracht.
Unnachsichtig verfolgte er jedwedes sprachliches Ungenügen; er erzog Studenten und Mitarbeiter gleichermaßen zu einem bewussten Umgang mit dem Kulturgut Sprache; er war ein „Homme de lettres“, wie es nur noch wenige gibt.
Der Emeritus Leistner setzte sich 2004 mitnichten zur Ruhe, er schrieb Aufsätze und Bücher -– 2017 die Autobiographie „Im Lauf der Zeiten. Erinnerungssplitter“ –, hielt zahlreiche Vorträge, saß zeitweise im Vorstand der Goethe-, Kleist- und Schiller-Gesellschaft und für die Freunde der Chemnitzer-Stadtbibliothek organisierte er Autorenlesungen.
Die Kunde von seinem Tode hat seine ehemaligen Arbeitskollegen und Freunde mit großer Trauer erfüllt; in unseren Erinnerungen lebt er weiter, und in den Texten, die er hinterlassen hat, bleibt er uns gegenwärtig.
Uwe Hentschel
im Namen der Professur Neuere Deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft
sowie der Philosophischen Fakultät der TU Chemnitz