UN-Behindertenrechtskonvention als Handlungsgrundlage
Im März 2009 hat Deutschland das völkerrechtliche Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, kurz UN-BRK) unterzeichnet. Mit der Ratifizierung verbunden ist die gesellschaftspolitische Zielstellung der Inklusion, das heißt der chancengleichen Teilhabe durch den Abbau einstellungs- und umweltbedingter Barrieren. In der UN-Behindertenrechtskonvention zentral verankert ist das Recht von Menschen mit Beeinträchtigungen (Art. 1) auf vollen Zugang zur Hochschulbildung und das Treffen angemessener Vorkehrungen im Hochschulbereich (Art. 24) und am Arbeitsplatz (Art. 27) sowie die Feststellung und Beseitigung von Zugangshindernissen und Barrieren (Art. 9).
Der menschenrechtliche Blickwinkel auf Behinderung ist nicht per se negativ angelegt, sondern Behinderung wird als normaler Bestandteil menschlichen Lebens begriffen und wertgeschätzt. Hierzu formuliert die UN-BRK den allgemeinen Grundsatz:
[…] die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit. (Art. 3, Buchstabe d UN-BRK)
Die UN-Behindertenrechtskonvention beruht auf der im Dezember 1948 verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie weiteren Menschenrechtsverträgen der Vereinten Nationen und konkretisiert einzelne Bestimmungen dieser Dokumente für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen.
Wortlaut der UN-Behindertenrechtskonvention (Angebot des Deutschen Instituts für Menschenrechte)
Entstehung des universitären Aktionsplanes
Im Herbst 2016 informierte das SMWK darüber, dass bis Ende 2017 ein hochschuleigener Aktions- und Maßnahmenplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorzulegen ist.
In Anlehnung an das Deutsche Institut für Menschenrechte umfasst ein Aktionsplan eine „Beschreibung der Probleme, die durch den Plan behoben werden sollen, legt konkrete Ziele sowie Maßnahmen fest, mit denen diese Ziele erreicht werden können. Darüber hinaus regelt er die koordinierte Ausführung, Evaluation und Fortentwicklung dieser Maßnahmen. Ein Aktionsplan ist das Ergebnis eines transparenten und partizipativen Arbeitsprozesses und ist öffentlich zugänglich“ (Palleit 2010, S. 1).
Die Erarbeitung des Aktionsplanes der TU Chemnitz oblag seit Ende Februar 2017 der eingesetzten Koordinatorin für Inklusion.
Grundsätzlich konnte die Perspektive der Studierenden mit Beeinträchtigungen an der TU Chemnitz in Form der 2016 durchgeführten Studierendenumfrage involviert werden. Alle Fakultäten und Zentralen Einrichtungen wurden über die Arbeitsgruppe Inklusion und die benannten Beauftragten für die Mitwirkung am Aktionsplan einbezogen. Hierzu erfolgten leitfadengestützte Zuarbeiten zur Bestandsaufnahme sowie eine Informationsweitergabe im Rahmen von Gesprächen. Schließlich lagen unterschiedliche Sachberichte und Dokumentationen vor.
Letztlich erfolgte nach einer Einarbeitungsphase die Ausformulierung des Aktionsplanes von Juni bis November 2017, in welche die Schulsommerferien, die Prüfungsperiode sowie vorlesungsfreie Zeit fiel und hier terminierte Veranstaltungen zur Partizipation nicht zielführend gewesen wären. Um dennoch zum einen der Hochschulöffentlichkeit und zum anderen den beeinträchtigten Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich direkt einzubringen, wurde in sogenannten Themenwochen Inklusion ein Online-Beteiligungsportal geöffnet und zwei Inklusionswerkstätten konzipiert und angeboten. Es gab jedoch kaum Beteiligung.
Auch nach Fertigstellung des Aktionsplanes sind Anregungen und Information zu wahrgenommenen Barrieren jederzeit willkommen.
Wichtige Begriffe
Mit der UN-BRK wurde eine Definition von Behinderung vorgelegt, die die Einstellung und den Umgang mit Menschen mit einer Behinderung neu justiert hat.
Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. (Art. 1 Abs. 2 UN-BRK)
Hiernach wird der Behindertenbegriff durch zwei Aspekte näher bestimmt, indem auf die Langfristigkeit und die Beeinträchtigungsform verwiesen wird. Von Langfristigkeit kann bei einer bereits oder wahrscheinlich länger als sechs Monate andauernden Beeinträchtigung ausgegangen werden.
Dieser Blickwinkel auf eine konkrete individuelle Beeinträchtigung ist jedoch zu einseitig, sondern Behinderung ist in Anlehnung an die Interpretationshilfe im Buchstabe e der Präambel der UN-BRK immer auch das Ergebnis von Wechselwirkungen mit einstellungs- und/oder umweltbedingten Barrieren, also gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Diskriminierungserfahrungen.
Eine weitere Legaldefinition findet sich im Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016, BTHG):
Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist. (§ 2 Abs. 1 BTHG)
Unterdessen wird im Hochschulkontext häufig der Ausdruck „Studium mit Beeinträchtigung“ synonym für „Studium mit Behinderung oder chronischer Krankheit“ verwendet, was vor allem auf die 2012 veröffentlichte Studie des Deutschen Studentenwerkes „BEST - beeinträchtigt studieren: Sondererhebung zur Situation von Studierenden mit Behinderung und chronischer Krankheit“ zurückgeführt wird. Insofern setzt sich die Bezeichnung „Beeinträchtigung“ mehr und mehr durch.
Zum personellen Geltungsbereich zählen damit Personen mit folgenden Beeinträchtigungsarten:
- Mobilitätsbeeinträchtigungen/körperliche Beeinträchtigungen (Beispiele: Wirbelsäulenschäden, Gehbeeinträchtigung, Lähmung, Muskelerkrankungen, Neurologische Erkrankungen, Gelenkerkrankungen, Verlust oder Fehlbildung von Gliedmaßen)
- Sehbeeinträchtigungen (Sehschwäche bzw. Blindheit)
- Hörbeeinträchtigungen (Gehörlosigkeit (angeboren), Taubheit (Verlust nach der Geburt) sowie Schwerhörigkeit)
- Sprachbeeinträchtigungen (wie Störungen des Redeflusses, Stimmstörung, Aphasie, Sprechstörung)
- Chronisch-somatische Erkrankungen (zum Beispiel: Stoffwechselkrankheiten, Magen-Darm-Erkrankungen, Nieren- oder Herzerkrankungen, Stoffwechselkrankheiten, Krebserkrankungen, Epilepsie, Migräne, Allergien)
- Psychische Beeinträchtigungen/Erkrankungen (Depressionen, bipolare Störung, Angststörungen, Zwangsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Suchtmittelabhängigkeit, Essstörungen, psychosomatische Störungen etc.)
- Kognitive Entwicklungsbeeinträchtigungen (Lernbehinderung oder kognitive Beeinträchtigung)
- Teilleistungsstörungen (insbes.AD(H)S, Legasthenie, Dyskalkulie, Dyslexie)
Während exklusive Kulturen, Strukturen und Praktiken ausgrenzen, ist Inklusion das Gegenteil. Integration meint das Anpassen eines einzelnen Individuums in bestehende gesellschaftliche Kulturen, Strukturen und Praktiken etwa durch das Absolvieren einer Trainingsmaßnahme. Inklusion markiert einen Paradigmenwechsel und wird erreicht durch das Verändern von Kulturen, Strukturen und Praktiken und zwar durch den Abbau von umwelt- und einstellungsbedingten Barrieren. „Das heißt, Inklusion erfordert vorrangig Anpassungsleistungen der Gesellschaft an die Individualität von Menschen mit Behinderungen, und nicht die Anpassung von Menschen mit Behinderungen an die Gesellschaft“ (Institut für Arbeit und Gesundheit 2014, S. 3). Es gilt, Rahmenbedingungen von Beginn an so zu gestalten oder nach einer Bestandsanalyse so zu verändern, dass sie an die verschiedenen Zielgruppenbedürfnisse flexibel anpassbar sind und alle Menschen die gleiche Möglichkeit haben, ihre Potentiale zu entfalten und in vollem Umfang teilzuhaben. Handlungsleitend sind die Prinzipien der Gemeinsamkeit und der Zugehörigkeit.
Im Rahmen des Aktionsplanes "Die TU Chemnitz auf dem Weg zur inklusiven Hochschule" wurde folgendes Verständnis von Inklusion herausgearbeitet: Inklusion ist ein ganzheitlicher Maßnahmenkatalog und Zielkomplex zur bestmöglichen Förderung und Unterstützung der Persönlichkeitsentfaltung von Studieninteressent_innen, Studierenden, Teilnehmenden am lebenslangen Lernen bzw. an Weiterbildung, Auszubildenden sowie Beschäftigten in Lehre, Forschung, Verwaltung und Beratung mit einer Beeinträchtigung; zu deren gleichberechtigter und erfolgreicher Teilhabe am universitären Alltag sowie zu einem ungehinderten Zugang und einer barrierefreien Nutzung der Angebote der Hochschule (Aktionsplan 2017, S. 261).
Online-Handbuch Inklusion des Deutschen Instituts für Menschenrechte e. V.