Pressemitteilung vom 30.10.1997
OSCAR aus Chemnitz gewinnt Wettkampf gegen Großrechner
OSCAR aus Chemnitz gewinnt Wettkampf gegen Großrechner
Computer-Bauer tüfteln am Hochleistungsrechner für den kleinen Mann
Ob eine langfristige Wettervorhersage oder das Knacken hochgeheimer
Verschlüsselungsverfahren - noch immer gibt es Aufgaben, mit denen
normale Personal-Computer, so leistungsfähig sie auch inzwischen
geworden sind, nicht fertig werden. Das liegt an den ungeheuren
Mengen von Daten, die in solchen Fällen verarbeitet werden müssen;
selbst herkömmliche Großrechner stoßen da nicht selten an ihre
Grenzen.
Schon seit einigen Jahren ist jedoch eine neue Rechnergeneration auf
dem Markt, die für solche Probleme wie geschaffen ist - die
Parallelrechner. Solchen Rechnern, so die einhellige Meinung der
Informatiker-Zunft, gehört die Zukunft. Statt eines einzelnen
Mikroprozessors, wie er im PC enthalten ist, besitzen sie gleich eine
Vielzahl davon. Die Probleme, die sie lösen sollen, werden in
zahlreiche Einzelschritte aufgeteilt, die nicht nacheinander, sondern
gleichzeitig abgearbeitet werden. Ein solcher Parallelrechner ist etwa
der Parsytec GC 128 PowerPlus des Chemnitzer Unirechenzentrums, einer
der stärksten Hochschulrechner Deutschlands, ausgerüstet mit 128
Hochleistungsprozessoren. Die Wissenschaftler des hier ansässigen
Sonderforschungsbereichs 393 "Numerische Simulation auf massiv
parallelen Rechnern" benutzen ihn zur Lösung vielfältiger Probleme.
Jetzt hat der millionenteure Rechner - gerade einmal drei Jahre ist er
alt - einen empfindlichen Dämpfer bekommen: Er verlor ein Wettrechnen
gegen einen wesentlich billigeren sogenannten Personal Cluster
Computer Server (PC/CS, etwa: Anhäufung von Personal Computern). Den
PC/CS hatte eine Gruppe von Chemnitzer Informatikern um Prof. Dr.
Wolfgang Rehm zusammengebaut. Was ihn so preiswert macht: Er besteht
aus ganz normalen PC-Bausteinen und ist mit insgesamt acht
Pentium-Pro-Prozessoren ausgestattet. Um bei dem Wettkampf gleiche
Bedingungen zu schaffen, wurden deshalb von den 128 PowerPlus-
Prozessoren 120 abgeschaltet, so daß nur acht übrig blieben, die gegen
die acht gekoppelten Pentium-Pros antraten.
Der Personal Cluster Computer Server muß freilich auf eine besonders
intelligente Weise miteinander verkoppelt sein, um solche Leistungen
zu vollbringen. Dazu stimmten die Chemnitzer Wissenschaftler die
Verbindungen der Prozessoren untereinander, die Software, die diese
Verbindungen steuert, und die jeweiligen Anwendungsgebiete optimal
aufeinander ab. Dennoch schafften sie es, das Gesamtsystem für
Weiterentwicklungen offen zu halten. Dieser besondere Aufbau, für den
Rehm den Namen OSCAR (Offen skalierbare Cluster-Architektur) prägte,
ist der eigentliche Grund für die Schnelligkeit. Allerdings hat man
auch bisher schon Personal-Computer zu größeren Einheiten
zusammengeschaltet, etwa nach dem ATM- (Asynchronous Transfer Mode,
eine Art Breitband-ISDN) oder dem Ethernet-Standard, der häufig im
Internet verwendet wird. Doch derartige Rechner sind wesentlich
langsamer: Sie können nur zwischen 155 Millionen und 622 Millionen
Zeichen in der Sekunde übertragen. Ein OSCAR-Rechner-Komplex dagegen
nutzt den neueren SCI- (Scalable Coherent Interface, etwa:
erweiterbare zusammenhängende Verbindung) Standard und kommt damit
spielend auf das drei- bis zehnfache - fast zwei Milliarden Zeichen.
Ein Grund dafür ist, daß SCI-Systeme nicht nur blitzschnell Daten
austauschen können, sondern auch den Computerspeicher gemeinsam
nutzen. Deshalb bringen PC/CS-Computer nicht einfach nur mehr
Leistung, auch die Einsatzmöglichkeiten erhöhen sich ganz wesentlich.
Das zeigte sich bereits im vergangenen Juli bei dem schon erwähnten
Vergleichstest. Aufgabe war es, die Ausbreitung eines Brandes
nachzuahmen. Dies gilt gemeinhin als extrem schwierig, da Gleichungen
mit mehreren Millionen Unbekannten nach einer besonderen
Verfahrensweise, der Finite- Elemente-Methode, berechnet werden
müssen. Schon die Software für derartige Simulationen stellt besonders
hohe Anforderungen. Sie war von Mathematikern des
Parallelrechner-Sonderforschungsbereichs um Prof. Dr. Arnd Meyer
entwickelt und von den Chemnitzer Informatikern eigens an symmetrische
Multiprozessor-Clustersysteme angepaßt worden. Eine solche
Brandsimulation ist für Feuerwehren und Versicherungen von großem
wirtschaftlichem Interesse, läßt sich doch so etwa klären, ob eine
Brandstiftung oder ein Unglücksfall vorliegt. Auch besonders
feuerbeständige Baumaterialien lassen sich auf diese Weise
herausfinden, und das könnte später vielleicht sogar einmal
Menschenleben retten. Der OSCAR-PC/CS aus Billigbausteinen des
Massenmarktes war dabei mehr als doppelt so schnell wie der
Großrechner - er schaffte mehr als anderthalb Milliarden
Fließkommarechnungen pro Sekunde. Eine hollywoodreife Leistung, die
wahrlich den Oscar verdient hätte. Kein Wunder, daß derartig
aufgebaute Rechner ein extrem günstiges Preis/Leistungs- Verhältnis
haben.
Um ihren Cluster-Rechner noch weiter zu optimieren, arbeiten die
Wissenschaftler um Prof. Rehm mit einer Reihe weiterer deutscher und
europäischer Forschungszentren und Firmen zusammen. Dazu gehören etwa
die norwegische Firma Dolphin Interconnect Solutions, ein Vordenker
auf dem Gebiet des SCI-Standards, und das Weltruf genießende Paderborn
Parallel Computing Center.
Der weiteren Verbesserung des Chemnitzer Koppel-Computers soll auch
der Wissenschafts-"Workshop Cluster-Computing" dienen, der am 6. und
7. November stattfindet. Zu diesem Kongreß wird die Creme der
deutschen Computerforscher erwartet. Willkommen sind aber auch
Computer-Fachleute aus der Region. Denn gerade hier, in der
aufblühenden Mikroelektronik-Stadt Chemnitz, gibt es besonders viele
kleine, dafür aber umso pfiffigere High-Tech- Schmieden.
(Autor: Hubert J. Gieß)
Weitere Informationen: TU Chemnitz, Fakultät für Informatik, Straße
der Nationen 62, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Wolfgang Rehm, Tel. (03
71)5 31-14 20, Fax (0371)5 31-18 06, E-mail:
rehm@informatik.tu-chemnitz.de,
Internet:http://noah.informatik.tu-chemnitz.de/
Hinweis für die Medien: Zu diesem Beitrag können Sie ein Foto in der
Pressestelle anfordern. Es zeigt den OSCAR-Rechner gemeinsam mit
seinen Entwicklern.
Übrigens: Beim Unitest des Magazins "Focus" in diesem Sommer landeten
die Chemnitzer Informatiker im Gesamturteil unter 39 Unis auf Platz 6
- als beste Uni in Deutschlands Osten. Im Urteil der Studenten - hier
wurden unter anderem Betreuung und technische Ausstattung benotet -
belegten sie sogar mit weitem Vorsprung vor allen anderen Unis den
ersten Platz.