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Pressemitteilung vom 02.05.2002

Physiker - die seltene Spezies

Physiker - die seltene Spezies
Chemnitzer Professor über Gefahren durch den Mangel an Physikernachwuchs

(Autor: Prof. Dr. Dietrich R.T. Zahn, Professur Halbleiterphysik der TU Chemnitz)

Im Wintersemester 2000/2001 stiegen im Fach Physik deutschlandweit die Studienanfängerzahlen um 4,2 Prozent auf 4.960 Studenten. Wenn man allerdings zehn Jahre zurückblickt, waren die Zahlen fast doppelt so hoch. Dieser dramatische Einbruch der Anfängerzahlen in den 90er Jahren wurde wesentlich durch ein knappes Stellenangebot für die damaligen Absolventen verursacht, was viele potenzielle Physiker von diesem Studium abhielt. Damals hieß es aus der Industrie: "Wir brauchen keine Physiker mehr!" Dies war, wie sich seit einigen Jahren herausgestellt hat, eine fatale Fehleinschätzung. Inzwischen hat sich die Situation tatsächlich völlig verändert. Wirtschaft aber auch Forschung und Hochschulen haben den Bedarf an den als Generalisten bekannten Physikern längst erkannt. Nach einer Erhebung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft benötigt die deutsche Wirtschaft jährlich 3.000 Physiker, in der Forschung liegt der Bedarf zusätzlich bei etwa 2.000 bis 3.000 Wissenschaftlern. Klar ist, dass bei Absolventenzahlen von rund 1.700 pro Jahr mit fallender Tendenz dieser Bedarf auf viele Jahre hinaus nicht gedeckt werden kann. Vielfach sind bereits Stimmen zu hören, die von einer drohenden Katastrophe sprechen. Die Aussichten für Physiker am Arbeitsmarkt könnten also kaum besser sein.

Die derzeit leicht ansteigende Tendenz in den Anfängerzahlen darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sich das Physikstudium generell keiner großen Beliebtheit erfreut. Es gilt als schwierig und jedem Absolventen ist es schon passiert, dass sich seine Mitmenschen mit Be- oder Verwunderung äußern, wenn er oder sie sich als Physiker zu erkennen gibt. Häufig wird sogar mit der Unwissenheit im Fach Physik kokettiert: "Oh, Physik habe ich so früh wie möglich abgewählt!" Solche oder ähnliche Aussagen sind strenggenommen ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Physik prägt unser Leben und Physik verstehen, heißt daher auch das Leben verstehen. Jedem sollte klar sein, warum man besser die kochende Suppe mit einem Holzlöffel als einem Metalllöffel umrührt. Offensichtlich gelingt es aber in der Schule nicht genügend, Spaß an dem Verständnis physikalischer Zusammenhänge zu vermitteln. Vielfach werden Vorbehalte gegenüber der Physik auch über Generationen weitergegeben nach dem Motto: "Physik war in der Schule auch meine schwache Seite, mein Kind!" Dies gilt besonders auch für Mädchen, deren Interesse für Physik so meist im Keim erstickt wird. Dies spiegelt sich in dem niedrigen Anteil weiblicher Studenten wider, der bei etwa zehn Prozent liegt. Dies muss nicht so sein wie die Beispiele Italien oder Ungarn mit rund 50 Prozent zeigen. Dringender Handlungsbedarf ist gegeben, nicht erst seit den jüngsten internationalen Vergleichsstudien zu den Schulleistungen. Es wird allerdings wiederum Generationen dauern, die Situation der schlechten Physikakzeptanz nachhaltig zu verbessern und somit auch mehr Physikabsolventen hervorzubringen, die in ferner Zukunft den Bedarf in Wirtschaft und Forschung lindern können.

Trotz aller beginnenden Bemühungen, mehr Schüler für ein Physikstudium zu motivieren, lässt auch die demographische Entwicklung insgesamt eine sinkende Studentenzahl erwarten. Daher sollten weitere Wege gefunden werden, die zwischen Angebot und Bedarf klaffende Lücke zu schließen. Wie dies funktionieren kann, zeigen uns beispielsweise die USA, die viele Studenten speziell im Graduiertenbereich aus anderen Ländern einwerben und diese dann auch in Wirtschaft oder Forschung weiterbeschäftigen. Bisher waren die deutschen Ausländergesetze ein wesentlicher Hinderungsgrund für die Beschäftigung ausländischer Wissenschaftler über das Studium hinaus. So erhalten zum Beispiel Ausländer aus nicht EU-Staaten bisher ein Visum für drei Jahre, um in Deutschland zu promovieren. Nach dieser sehr teuren Ausbildung müssen die hochqualifizierten, promovierten Wissenschaftler Deutschland wieder verlassen. Dies ist ein Know-how-Verlust, den wir uns in der jetzigen Situation überhaupt nicht leisten können. Aber immerhin werden diese Wissenschaftler sehr gerne unter anderem in den USA aufgenommen, wo man sich freut, gut ausgebildete Mitarbeiter zu bekommen. Das deutsche Zuwanderungsgesetz verspricht Besserung und tatsächlich wird in der Begründung zur Gesetzesnovelle tiefgehend auf die Defizite an hochqualifizierten Arbeitskräften eingegangen. Allerdings lässt der Text des Gesetzentwurfes Zweifel offen, ob die Neuregelungen wirklich den Mangel beseitigen können. Zweifelsohne brauchen wir eine große Menge hochqualifizierter ausländischer Wissenschaftler, um die Wettbewerbsfähigkeit in Wirtschaft und Forschung zu erhalten.

Deutschland war einst eine Hochburg der Physik. Dafür stehen Namen wie Planck, Einstein und Heisenberg. Auch in jüngster Zeit gab es kluge deutsche Köpfe, die den Nobelpreis in Physik erhielten wie Horst Störmer oder Wolfgang Ketterle. Beide arbeiten und lehren allerdings in den USA. Ein Alarmzeichen, das uns aufrütteln sollte, in jeder Beziehung die Attraktivität für die Beschäftigung mit Physik in Deutschland zu erhöhen. Der Technologiestandort Deutschland und die Technologien des 21. Jahrhunderts wie Nanotechnologie, Informationstechnik und auch Biotechnologie brauchen dringend Physiker.

Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Institut für Physik, Reichenhainer Straße 70, 09107 Chemnitz, Prof. Dietrich R. T. Zahn, Tel. (03 71) 5 31-30 36, Fax (03 71) 5 31-30 60, E-Mail: zahn@physik.tu-chemnitz.de

Hinweis für die Medien: Ein geeignetes Foto zum Text erhalten Sie über Zentralbild GmbH, Tel. (030) 28 52 - 15 11 (Fotograf: dpa/Wolfgang Thieme, Funkbild-Nummer CHE40-06/09/01). Motiv: Prof. Dr. Dietrich Zahn (r.) von der Professur Halbleiterphysik der TU Chemnitz erläutert im Labor Sandrine Heutz, Marie-Curie-Stipendiatin aus Belgien, der Studentin Marisara Satrulee aus Thailand und Arindam Das, Humboldt-Stipendiat aus Indien, (v.l.) eine Versuchsreihe. Am Raman-Spektrometer werden Strukturuntersuchungen organischer dünner Schichten, die als Halbleiter für elektronische und optoelektronische Bauelemente zur Anwendung kommen, durchgeführt.