Pressemitteilung vom 30.09.2002
Wie die SED um die Grünen buhlte
Wie die SED um die Grünen buhltePolitologe analysierte Verbindungen aus der DDR zur westdeutschen Friedensbewegung
Seitdem die Grünen im Jahr 1979 das bundespolitische Parkett betraten, befanden sie sich nicht nur im Visier der etablierten westdeutschen Parteien. Auch auf der anderen Seite der Mauer verfolgte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) das Tun der jungen ökologischen Partei mit großem Interesse und nicht ohne Hintergedanken: In der Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss suchten die Einheitssozialisten der DDR auch Verbündete in der Bundesrepublik und glaubten, sie in den Grünen gefunden zu haben. Wie der Chemnitzer Politologe Udo Baron nun in seiner Doktorarbeit herausarbeitete, scheiterte die SED jedoch mit dem Versuch, die junge westdeutsche Partei für ihre bündnispolitischen Interessen im "Kampf um den Frieden" zu instrumentalisieren.
Die Grünen hatten sich Ende der siebziger Jahre im Streit um die Nachrüstung der NATO aus der westdeutschen Friedens- und Umweltschutzbewegung heraus formiert. Die Strategie, mit der die SED im letzten großen innenpolitischen Konflikt der Bundesrepublik, der auf der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West beruhte, von außen Einfluss nehmen wollte, zielte nach Ansicht von Udo Baron auch auf die neue Öko-Partei ab: Deren Grundströmungen und Feindbilder griffen die Einheitssozialisten gezielt auf und forcierten sie in ihrem Sinne. Dass die Rechnung der politischen Führung der DDR allerdings nicht aufging, sei vor allem der Heterogenität und dem Freiheits- und Menschenrechtsverständnis der Grünen geschuldet. Zwar sei es der SED mit Hilfe eines weitverzweigten Netzwerks von getarnten westdeutschen Bündnisorganisationen gelungen, gewissen Einfluss auf die Außen-, Sicherheits-, Deutschland- und Menschenrechtspolitik der Grünen zu nehmen, ohne diese aber entscheidend lenken zu können. Alle Versuche, die Grünen und die Friedensbewegung kommunistisch zu dominieren, seien nicht zuletzt am Widerstand der kleinen innergrünen Strömung der Ost-West-Aktivisten um Petra Kelly, Gert Bastian und Lukas Beckmann gescheitert. Ihre essenziellen Fragen nach der Situation der Menschenrechte in den sozialistischen Ländern, nach einer blockübergreifenden Friedensbewegung und nach Abrüstung in Ost und West blieben von der SED nicht nur unbeantwortet, sondern seien von ihr mit allen Mitteln bekämpft worden.
Um wissenschaftlich einzuordnen, welche Ziele und Methoden die SED gemeinsam mit ihren westdeutschen Verbündeten in der Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss verfolgten und wie sich diese bei der noch jungen Protestpartei im Westen auswirkten, hat Udo Baron Berge von Akten studiert und Zeitzeugen befragt. Sie legen Zeugnis ab, welche heißen Drähte die sowjetische Führungspartei KPdSU und die ostdeutsche SED in die Bundesrepublik hatten, um Massenkampagnen gegen den NATO-Doppelbeschluss vorzubereiten und durchzuführen. Darüber hinaus zeigen die Dokumente, welche Strömungen und Spannungen es innerhalb der grünen Partei gab und inwieweit bestimmte Meinungs- und Willensbildungsprozesse oder konkrete politische Entscheidungen der Grünen durch die orthodoxen Kommunisten angestoßen, beeinflusst oder forciert worden sind. Bei der Auswertung dieser Unterlagen legt der Chemnitzer Politologe einen grundsätzlichen Konflikt innerhalb der westdeutschen und westeuropäischen Friedensbewegung frei: die kontroverse Auseinandersetzung zwischen der Friedens- und der Freiheitsfrage, die auch am Beispiel von Menschenrechtsverletzungen in den Ländern des realen Sozialismus zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten geführt wurde.
Das überwiegend erfolglose Hineinwirken der SED in die Belange der Grünen und der westdeutschen Friedensbewegung habe Anfang der achtziger Jahre in der Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss ihren Höhe- und zugleich ihren Endpunkt erreicht, so Udo Baron. Trotzdem gebe es bis heute spürbare Nachwirkungen der kommunistischen Einflussnahme bei der Friedensbewegung und den Grünen, auch wenn eine Wiederkehr kommunistischer Bündnispolitik nach dem Untergang der DDR nicht mehr zu erwarten sei: "Mit altbekannten antiwestlichen und antiamerikanischen Reflexen reagieren große Teile der grünen Basis und die verbliebenen Reste der Friedensbewegung auf den Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft im Kosovo und in Afghanistan", bewertet der Politologe die heutige politische Situation. "Zugleich ist die Hemmschwelle gegenüber einer Zusammenarbeit mit Kommunisten bei den Grünen eher gering, wie die Bereitschaft von Teilen der Partei zur Kooperation mit der PDS in Sachsen-Anhalt oder in Berlin unterstreicht." Nach seiner Einschätzung werde jedoch nicht nur die grüne Partei allein, sondern die gesamte bundesrepublikanische Gesellschaft noch für längere Zeit unter den Folgen der kommunistischen Einflussnahme zu leiden haben.
Zur Person Udo Baron: Viele Jahre schon erforscht Udo Baron die Vergangenheit der Grünen. Von 1992 bis 1998 arbeitete er für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen als parteiloser wissenschaftlicher Referent in den Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages, die sich mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur beschäftigten. Seine Doktorarbeit "Der Einfluss der SED und ihrer westdeutschen Verbündeten auf die westdeutsche Friedensbewegung am Beispiel der Partei 'Die Grünen'" wurde von Prof. Dr. Eckhard Jesse, Professor für Politikwissenschaft der TU Chemnitz betreut. Voraussichtlich Ende 2002 erscheint die Arbeit als Buch im LIT-Verlag Münster.
(Autor: Alexander Friebel, Wissenschaftsredakteur der TU Chemnitz)
Wichtiger Hinweis für die Medien: Im Bundesarchiv in Koblenz können Sie ein themenbezogenes Foto anfordern. Es zeigt Erich Honecker gemeinsam mit den grünen Spitzenpolitikern Petra Kelly, Gert Bastian und Otto Schily am 31. Oktober 1983 bei einem Treffen im Staatsratsgebäude in Ost-Berlin. Das kostenpflichtige Foto kann im Bundesarchiv Koblenz per Fax (02 61) 50 54 30 unter Angabe der Signatur Bild 183/1983/1031/39 bestellt werden.
Weitere Informationen erteilt Udo Baron unter Telefon (02 28) 37 23 11 oder per E-Mail Udo.Baron@t-online.de