Pressemitteilung vom 07.01.2013
Ein Leichtgewicht im Bahnverkehr
Maschinenbauer der TU Chemnitz entwickelten die weltweit erste Leichtbau-Übergangskupplung in Faserverbundbauweise - Einsatz zum Abschleppen und Rangieren von Zügen
19 Kilogramm wiegt die Übergangskupplung für Schienenfahrzeuge, die in den Labors des Instituts für Strukturleichtbau der Technischen Universität Chemnitz entwickelt wurde. Handelsüblich ist mehr als das doppelte Gewicht: 42 Kilogramm. Der Trick der Chemnitzer Maschinenbauer: Sie setzen kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff ein - statt Stahl. Projektpartner bei der Entwicklung waren die Voith Turbo Scharfenberg GmbH & Co. KG und die East-4D GmbH Lightweight Structures.Die Neuentwicklung beruht auf der Scharfenbergkupplung, einem Produkt des Projektpartnerns Voith. Sie ist seit 1903 im Bahnverkehr im Einsatz. "Die Scharfenbergkupplung ist heute internationaler Marktführer. In Europa sind nahezu alle Staatsbahnen und weltweit viele der Schnellbahn- und Metrobetriebe mit Scharfenberg-Kupplungssystemen ausgestattet", sagt Holger Seidlitz von der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung der TU Chemnitz. Obwohl das Funktionsprinzip der Kupplungen immer dasselbe ist, gibt es unterschiedliche Ausführungen für die verschiedenen Zugarten, die untereinander nicht kompatibel sind. Um ein Kuppeln auch bei unterschiedlichen Kupplungstypen und -höhen zu ermöglichen, werden sogenannte Übergangskupplungen eingesetzt. Sie dienen als Adapter und sind vor allem beim Rangieren und beim Abschleppen nötig. "Im Abschleppfall oder im Rangierbetrieb muss das Betriebspersonal oft nur für kurze Zeit diese Übergangskupplungen am Zug montieren - zwangsläufig manuell. Die Übergangskupplungen sollten daher leicht sein, aber dennoch den beim Abschleppen ganzer Züge auftretenden hohen Belastungen standhalten", erläutert Prof. Dr. Lothar Kroll, Leiter der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung.
In der bisherigen Stahlbauweise sei das Einsparpotenzial in Sachen Gewicht weitgehend ausgereizt - deshalb musste ein neuer Ansatz her: Die Chemnitzer Kupplung wird vorwiegend aus leichtem, kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) gefertigt. Dieser Werkstoff ist zwar teurer als Stahl, aber: "Bislang erforderte der Kuppelvorgang mit der Stahlvariante - aufgrund des Arbeitsschutzes - zwei Personen. Es müssen also zum Beispiel beim Rangieren permanent zwei Arbeiter auf der Lok sein. Demgegenüber ist mit der Leichtbaukupplung nur noch eine Person erforderlich, wodurch Kosten eingespart werden können", erklärt Seidlitz.
In den vergangenen mehr als hundert Jahren, in denen die stählernen Übergangskupplungen eingesetzt wurden, hat sich deren Konstruktion immer weiter verbessert. Ihre Festigkeit ist hoch, gleichzeitig ist sie kompakt; die Vorschriften für den Bauraum, den sie einnehmen dürfen, sind streng. Das legte die Latte für die Leichtbaukupplung hoch. "Auch die hohen Zug- und Druckkräfte erforderten neuartige Lösungsansätze", so Professurmitarbeiter Lars Ulke-Winter. Die Übergangskupplung besteht an einem Ende aus einer Stirnplatte, die an die Kupplung des zu ziehenden Zuges angelegt wird. Der daran anschließende Kupplungskörper endet mit einer Zugschlaufe, die an die abschleppende Zugmaschine gehängt wird. Hinzu kommt ein Sicherungsbügel, der ebenfalls mit dem Kuppelhaken des Abschleppers zu verbinden ist.
Alle diese Bauteile fertigen die Chemnitzer Maschinenbauer aus CFK. Besonderes Augenmerk legten die Wissenschaftler dabei auf die Anordnung der verstärkenden Kohlenstofffasern in der Schlaufe, da dort die Zug- und Druckkräfte am stärksten angreifen. Durch Berechnungen zeigten sie zudem, dass diese Schlaufe einen Mindestdurchmesser nicht unterschreiten darf und ihre Breite wesentlichen Einfluss darauf hat, welchen Belastungen sie standhält. "Um die Kupplung an eine Vielzahl verschiedener Haken einhängen zu können, sind der Schlaufengeometrie allerdings enge Grenzen gesetzt. Deshalb haben wir ein Hakeninsert entwickelt, also ein Bauteil, das unterhalb der Schlaufe sitzt und sie zusätzlich verstärkt, ohne gegen die Bauraumrestriktionen zu verstoßen", erklärt Seidlitz. Dieses Insert ist aus dem vergleichsweise leichten Metall Titan gefertigt. Auch für weitere kleinere Bauteile wie die Anschlüsse für die Pneumatik der Bremsen kommt Titan zum Einsatz. Die bei der Leichtbau-Kupplung angewandte Hybridbauweise mit Faserverbunden und Metallen ist auch Gegenstand des Exzellenzclusters "MERGE - Technologiefusion für multifunktionale Leichtbaustrukturen", der an der TU Chemnitz im Rahmen der Bundesexzellenzinitiative gefördert wird.
Die einzelnen Bauteile und komplette Demonstratoren der neuen CFK-Übergangskupplung wurden Belastungstests unterzogen. Die Feldversuche fanden bei der TÜV SÜD Industrie Service GmbH in Görlitz statt. "In einem Kuppelversuch konnte die Gesamtfunktion ebenso bestätigt werden wie das korrekte Zusammenspiel der Baugruppen und die Festigkeit der lasttragenden Komponenten", berichtet Seidlitz und fasst zusammen: "Die CFK-Übergangskupplung erfüllt die extremen Anforderungen und wird derzeit für die Markteinführung vorbereitet." Für ihre Entwicklung erhielten die Entwickler der TU Chemnitz, der Voith Turbo Scharfenberg GmbH & Co. KG und der East-4D GmbH Lightweight Structures den "Composite Innovations Award 2012".
Weitere Informationen erteilt Holger Seidlitz, Telefon 0371 531-35551, E-Mail holger.seidlitz@....
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Motiv 1: Die weltweit erste Leichtbau-Übergangskupplung in Faserverbundbauweise entstand in den Labors des Instituts für Strukturleichtbau der Technischen Universität Chemnitz. Der Leiter des Instituts, Prof. Dr. Lothar Kroll (r.), bespricht die Konstruktion mit seinen Mitarbeitern Lars Ulke-Winter und Holger Seidlitz (v.l.). Foto: TU Chemnitz/Mario Steinebach.
Motiv 2: Einen Prototypen der Übergangskupplung überreichte TU-Rektor Prof. Dr. Arnold van Zyl (vorne links) bereits an Bahnvorstand Dr. Rüdiger Grube anlässlich dessen Besuchs in Chemnitz im Juni 2012. Mit dieser Kupplung, die sich von einer Person handhaben lässt, können auch ICE-Züge rangiert werden. Die Stadt Chemnitz bemüht sich in Verhandlungen mit der Deutschen Bahn um einen Anschluss an das Schnellbahnnetz. Foto: TU Chemnitz/Sven Gleisberg
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