Auf Spurensuche im ehemaligen Wohngebiet „Fritz Heckert“
Studierende näherten sich im Sommersemester der Geschichte eines Chemnitzer Stadtgebietes – Ergebnisse wurden im Stil des Stadtteilmagazins FRITZ publiziert
Zehn Studierende der Technischen Universität Chemnitz aus drei verschiedenen Studiengängen begaben sich im Sommersemester 2020 im Forschungsseminar „Doing Memory – Historische Sozialraumerkundungen und Erinnerungsarbeit im ehemaligen Fritz-Heckert-Gebiet“ auf Spurensuche im Chemnitzer Stadtteil Hutholz. Dabei kooperierten sie eng dem FreundInnen- und Förderkreis Arbeits- und Studienaufenthalte in Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. (ASA-FF). Der in Chemnitz ansässige Verein hatte bereits vor dem Seminar das Projekt „Offener Prozess“ initiiert, in dem Formate zur Aufarbeitung der Verbrechen und lokalen Vernetzung des Terrortrios Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) entwickelt werden. Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die für zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und mehrere Raubüberfälle verantwortlich sind, fanden 1998 zuerst in Chemnitz Unterschlupf. Im ehemaligen Wohngebiet „Fritz Heckert“ begingen sie auch Raubüberfälle, um ihre Taten finanzieren zu können. Für eines der jüngsten Vorhaben suchte der Verein ASA-FF die Nähe zur TU Chemnitz, um mit Studierenden ein Seminar zur Erinnerungsarbeit und -kultur durchzuführen. Ziel war es, sich über einen interdisziplinären Ansatz mit den stadträumlichen Entwicklungen und den Bezügen des Terrornetzwerks in diesem Chemnitzer Stadtviertel auseinanderzusetzen. Organisatorisch unterstützt wurde das Forschungsseminar vom Arbeitsbereich Politische Soziologie an der TU Chemnitz.
„Im Rahmen unseres Seminars haben wir uns vor Ort umgeschaut, Interviews geführt, im Stadtarchiv recherchiert und uns mit der Geschichtswerkstatt Chemnitz und dem Stadtsoziologen Dominik Intelmann ausgetauscht“, berichtet Daniela Deierl, die an der TU im Bachelorstudiengang Interkulturelle Kommunikation studiert. Soziologie-Studentin Kirsten Erlebach ergänzt: „Das Forschungsseminar war eine gute Gelegenheit, unsere Studieninhalte praktisch anzuwenden und Einblicke in neue Forschungsthemen zu gewinnen. Wir sind auf eine spannende, teilweise widersprüchliche Geschichte des drittgrößten Neubaugebietes der DDR gestoßen. Für uns war es insbesondere interessant der Frage nachzugehen, wieso sich der NSU in diesem Stadtteil zuhause fühlen konnte.“
Die Erkenntnisse aus dem Seminar sollten in einer geeigneten Form publiziert werden. „Wir sind bei unseren Recherchen auf die Ausgabe des Magazins FRITZ von 1998 gestoßen. Und uns war schnell klar, dass das ein gutes Format ist, um unsere Forschungsergebnisse den Bewohnerinnen und Bewohnern zugänglich zu machen. Immerhin kommt es direkt aus dem Viertel“, merkt die aus Dresden stammende Künstlerin und eine der Projektleitenden Irène Mélix an. Gemeinsam mit Theo Treihse, der in der politischen Bildung tätig ist, und Hannah Zimmermann, Leiterin des Projektes „Offener Prozess“, unterstütze sie die Studierenden bei der Erstellung des Magazins. „Das 16-seitige Heft ist hinsichtlich Format, Gestaltung und inhaltlicher Gliederung stark an die erste und einzige Ausgabe angelehnt, die vor 20 Jahren erschien“, sagt Deierl. Insgesamt entstanden mehrere Beiträge, die u. a. Einblicke geben in den Stadtteil, seine Geschichte, darunter zu Bezügen zum NSU.
Insgesamt wurden 5.000 Exemplare des Magazins gedruckt und im Juli in den Stadtteilen Hutholz, Kappel und Helbersdorf.verteilt. „Mit dem Heft wollten wir den Bewohnerinnen und Bewohnern dieses Gebietes etwas zurückgeben“, so Deierl. Beim Festival „Chemnitzer Begehungen“ in einer ehemaligen Kaufhalle an der Walter-Ranft-Straße und in einem Plattenbau im Stadtteil Hutholz (13. bis 16. August 2020) liegen noch einige Exemplare des Magazins “FRITZ“ aus.
Mario Steinebach
14.08.2020