Berufstätige Frauen sind psychisch stärker vom Lockdown betroffen – vor allem im Homeoffice
Forschungsteam der TU Chemnitz veröffentlicht Studie zu psychologischen Auswirkungen des ersten Corona-Lockdowns 2020 – Besonders empfohlen werden maßgeschneiderte Lösungen zur Unterstützung von Frauen, um psychische Folgen aufzufangen
Vor etwas mehr als einem Jahr erreichte das Coronavirus „SARS-CoV-2“ offiziell die Bundesrepublik Deutschland. Am 22. März 2020 trat der erste sogenannte „Lockdown“ in Kraft. Der Lockdown brachte und bringt weitreichende Einschränkungen des beruflichen und privaten Lebens mit sich.
Ein Forschungsteam unter Prof. Dr. Bertolt Meyer, Inhaber der Professur Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz, hat die psychischen Effekte des Lockdowns untersucht. Dafür befragten sie im Zeitraum April bis Juni 2020 in drei Befragungswellen insgesamt 3.862 Personen zu psychischen Belastungen infolge des Lockdowns. Dabei fragte das Team gezielt persönliche Faktoren wie Geschlecht, Familien- und Paarsituation sowie Arbeit im Homeoffice ab. Das Forschungsteam wollte sehen, ob es zwischen diesen persönlichen Faktoren Zusammenhänge mit der „Emotionalen Erschöpfung“ – der Kernfacette des Burnouts – gibt und wie sich diese im Verlauf der Pandemie entwickeln.
Die nun veröffentlichte Studie basiert auf den Daten der 2.900 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Stichprobe: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Frauen deutlich stärker vom Lockdown und dessen psychischen Folgen betroffen waren als Männer – vor allem, wenn sie im Homeoffice arbeiten“, fasst Meyer zusammen. „Darüber hinaus konnten wir zeigen, dass Autonomie im Beruf und eine Unterstützung durch die Partnerin oder den Partner die psychischen Auswirkungen der Pandemie abfedern konnten.“ Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern daraus, dass es maßgeschneiderter Ansätze für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie berufstätige Frauen bedarf, um die psychosozialen Folgen der Pandemie zu lindern.
Die im Peer-Review-Verfahren begutachtete Studie mit dem Titel „Employee psychological well‐being during the COVID‐19 pandemic in Germany: A longitudinal study of demands, resources, and exhaustion“ ist in einem Sonderheft zu den psychologischen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie des „International Journal of Psychology“ am 21. Februar 2021 als Open Access erschienen.
Persönliche Ressourcen und berufliche Anforderungen analysieren
Für ihre Untersuchung stützte sich das Team vor allem auf zwei Theorien – dem „Job-Demand-Resources-Modell“ (Bakker et al., 2014) und der „Conservation of Resources Theorie“ (Hobfoll, 2001). Die Job-Demand-Resources-Modell besagt – sehr vereinfacht –, dass berufliche Anforderungen Einfluss auf Motivation und Arbeitsleistung von Berufstätigen haben. Dieses Modell ermöglicht es auch, über die Analyse der Anforderungen und verfügbaren Ressourcen die Erschöpfung der Arbeiternehmerinnen und -nehmer vorherzusagen (Bakker & Demerouti, 2017; Hatch et al., 2019). Leerstellen weist das Modell beispielsweise noch da auf, wo Faktoren außerhalb der Berufstätigkeit liegen. Hier setzen die Forscherinnen und Forscher der TU Chemnitz an. Das zweite Modell, die „Conservation of Resources Theorie“, erklärt – ebenfalls vereinfacht gesagt – wie sich die Bedrohung von individuellen „Ressourcen“, wie die finanzielle Situation oder die soziale Einbindung, auf psychische Belastungen auswirken.
Sechs Hypothesen, um die Gründe für Erschöpfung festzustellen
Um herauszufinden, wie die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zur Eindämmung insbesondere in der ersten Phase die „Emotionale Erschöpfung“ beeinflusst, stellte das Team um Meyer sechs Hypothesen auf. Genau hinschauen wollten die Forscherinnen und Forscher, in welcher Intensität und unter welchen Voraussetzungen es bei welchen Personengruppen zu Erschöpfung kommt. Dafür befragten sie in allen drei Befragungswellen insgesamt 3.862 Personen, davon 2.900 Berufstätige. Der Großteil der Befragten waren Frauen (69,20 Prozent) und reguläre Angestellte (83,40 Prozent), gefolgt von Beamtinnen und Beamten (7,22 Prozent), berufstätigen Studierenden (3,93 Prozent) und freiberuflich tätigen (3,68 Prozent). Darüber hinaus lebte der Großteil der Befragten (75,03 Prozent) in einer festen Partnerschaft und ohne Kinder (40,30 Prozent). 57,67 Prozent der Befragten gaben an, keine Vorschulkinder zu haben, 10,27 Prozent hatten ein Kind, 7,22 Prozent zwei Kinder und 0,89 Prozent mehr als zwei Kinder.
Für die Auswertung der Daten prüften die Forscherinnen und Forscher den Einfluss von sechs Faktoren auf die Emotionale Erschöpfung während der ersten Corona-Welle:
- Zeitverlauf der Pandemie
- Autonomie (in der Gestaltung der eigenen Arbeit)
- Arbeitsplatzunsicherheit
- Wahrgenommene soziale Unterstützung (am Arbeitsplatz und zu Hause)
- Arbeit-Privatsphäre/Privatheit-Arbeits-Konflikt
- Pandemie-spezifische Selbstwirksamkeit (Betrifft die Wahrnehmung, etwas Positives zur Pandemie-Bekämpfung beitragen zu können.)
Frauen besonders stark betroffen
Während alle Einflussfaktoren sich auf die durchschnittliche Erschöpfung auswirkten, hatten Autonomie und soziale Unterstützung zu Hause auch einen Einfluss auf den Verlauf der Erschöpfung über die Zeit. Das heißt, dass der Anstieg der Erschöpfung im Verlauf der Pandemie bei denjenigen Frauen, die viel Autonomie und Unterstützung zu Hause erlebten, weniger steil ausfiel, als bei denjenigen, bei denen es nicht so war.
Ein wesentliches Ergebnis war darüber hinaus, dass insbesondere die psychische Gesundheit von Frauen stärker von der COVID-19-Pandemie betroffen war als die von Männern. Wesentliche Faktoren hier waren das Vorhandensein von Vorschul- und Schulkindern im Haushalt in Kombination mit geschlossenen Schulen und Kitas und Tätigkeit im Homeoffice. In diesem Fall stellten die Forschenden einen Anstieg der Erschöpfung besonders bei Frauen fest.
Das Team schlussfolgert daraus, dass die Pandemie insbesondere für Frauen mit stärkeren psychischen Belastungen verbunden ist und dazu beitragen kann, traditionelle Geschlechterrollen zu verstärken. Sie empfehlen daher Regierungen und politische Entscheidungsträgerinnen und -trägern, bei Maßnahmen zur Milderung der psychischen Folgen der Pandemie speziell Frauen in den Blick zu nehmen. Der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, eine Arbeitsgestaltung mit mehr Autonomie und egalitäre Ansätze zur Aufteilung der Lasten im Haushalt können solche Modelle sein.
Veröffentlichung: Meyer, B., Zill, A., Dilba, D., Gerlach, R., & Schumann, S. (2021). Employee psychological well-being during the COVID-19 pandemic in Germany: A longitudinal study of demands, resources, and exhaustion. International Journal of Psychology. Advance online publication. http://doi.org/10.1002/ijop.12743
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Bertolt Meyer, Professur Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der TU Chemnitz, E-Mail bertolt.meyer@psychologie.tu-chemnitz.de
Matthias Fejes
24.02.2021