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„Tatsächlich hätte ich eher nicht erwartet, dass sich die FDP das Finanzministerium sichern kann“

Prof. Dr. Eric Linhart von der TU Chemnitz ist Experte für Koalitionen und ordnet im Interview das Zustandekommen der „Ampel“-Koalition und die damit verbundenen Herausforderungen für das Regierungsgeschäft ein

Prof. Dr. Eric Linhart ist Inhaber der Professur Politische Systeme an der Technischen Universität Chemnitz und Experte für Wahlsysteme und Koalitionen. Im Interview spricht er über die Motive beim Eingehen einer Koalition, die Herausforderungen des „Ampel“-Bündnisses beim Regieren und warum es ihn überrascht hat, dass die FDP das Finanzressort übernehmen konnte.

Herr Linhart, Sie beschäftigen sich mit Koalitionstheorien. Olaf Scholz ist seit dem 8. Dezember 2021 Bundeskanzler und führt eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen an – die sogenannte "Ampel". Eine Überraschung für Sie als Koalitionsforscher?

Eher nicht. Zahlreiche Faktoren, die wir in Deutschland häufiger beobachten, finden wir auch für die Ampel. Die stärkste Partei im Parlament stellt den Kanzler, die Regierungsparteien verfügen über eine Mehrheit im Parlament, und die Koalition beinhaltet keine Parteien, die für diese Mehrheit nicht benötigt werden. Das mag aus einer deutschen Sichtweise vielleicht selbstverständlich klingen, ist es aber nicht unbedingt, wenn man sich Regierungen in anderen Ländern anschaut.

Dennoch gab es nach der Wahl mehrere Optionen, die diese Eigenschaften auch erfüllen. Was unterscheidet diese von der "Ampel"?

Wenn wir das Zustandekommen von Koalitionen untersuchen, dann konzipieren wir Parteien üblicherweise als vor allem durch zwei Faktoren motiviert: Sie wollen möglichst viele, vor allem für ihre Politikziele wichtige, Kabinettsposten besetzen. Und sie wollen möglichst viel von ihrer Programmatik umsetzen, wozu sie Koalitionspartner suchen, die ihnen inhaltlich möglichst ähnlich sind.

Letzteres war wohl kein leichtes Unterfangen in der aktuellen Situation, oder?

In der Tat nicht! Die Überschneidungen zwischen SPD, Grünen und FDP sind nicht überwältigend groß. Gerade in sozioökonomischen Fragen mussten und müssen die Koalitionäre große Differenzen überwinden. Bei der von Armin Laschet angestrebten Jamaika-Lösung wären diese Differenzen aber kaum geringer gewesen, und zusätzlich wären größere Differenzen und gesellschaftspolitischen Fragen vorhanden gewesen. Dieser Aspekt spricht klar für die Ampel.

Lassen Sie uns nochmal auf die Ämter blicken. Wie werden diese üblicherweise auf die Koalitionspartner verteilt?

Koalitionsparteien teilen die Kabinettsposten üblicherweise weitgehend proportional zu ihrer Sitzstärke auf. Das haben auch die Ampelparteien so gehandhabt. Mehr hätten Grüne und FDP wohl auch nicht in einem Bündnis mit der Union erwarten können.

Wenn wir mal auf die Ministerien im Detail schauen: Gibt es hier Überraschungen für Sie?

Tatsächlich hätte ich eher nicht erwartet, dass sich die FDP das Finanzministerium sichern kann. Sowohl die Grünen als auch die FDP hatten großes Interesse an diesem in der Tat auch wichtigen Ministerium signalisiert. Als größerem Koalitionspartner hätte eigentlich den Grünen das erste Zugriffsrecht zugestanden. Meine Erwartung war, dass sie nur darauf verzichten würden, wenn sie dies anderweitig kompensiert bekommen. Eine solche Kompensation sehe ich aber nicht. Im Gegenteil, auch das klimapolitisch wichtige Verkehrsministerium ist nun unter FDP-Führung.

Wagen wir abschließend einen Blick in die Zukunft: Wird die "Ampel" mit anderen Schwierigkeiten beim Regieren konfrontiert sein als die Vorgängerregierung?

Ich vermute schon. Ich denke vor allem an den Bundesrat, der bei rund der Hälfte der Bundesgesetzgebung zustimmen muss. In nahezu allen Bundesländern regieren Parteien mit, die auf Bundesebene in der Opposition sind. Ich gehe davon aus, dass es schwieriger werden wird, dort Mehrheiten zu organisieren. Und man darf nicht vergessen, dass es nun drei Fraktionen sind, die sich in Konfliktfällen werden einigen müssen. Hier bleibt abzuwarten, wie gut dies den handelnden Akteuren gelingen wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Matthias Fejes
10.12.2021

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