Spitzenforschung im Ruhestand
Forschungsgruppe „Komplexe Systeme und Nichtlineare Dynamik“ publiziert in den „Physical Review Letters“ neueste Erkenntnisse zur chaotischen Diffusion in Systemen mit Verzögerung
Die Spitzenforschung an der Technischen Universität Chemnitz ist nicht im Ruhestand – im Gegenteil: Manche Wissen Schaffende der TU betreiben weiterhin Spitzenforschung, auch im Ruhestand. Das wohl jüngste Beispiel kommt aus der Forschungsgruppe „Komplexe Systeme und Nichtlineare Dynamik“ des Instituts für Physik unter der Leitung von Prof. Dr. Günter Radons. Seinen Mitarbeitern und ihm, der vor drei Jahren pensioniert wurde, ist es gelungen, ihre neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse im weltweit angesehensten Letter Journal der Physik, den „Physical Review Letters“, zu publizieren. Als besondere Auszeichnung wurde die Publikation mit dem ins Deutsche übersetzten Titel „Chaotische Diffusion in Systemen mit Verzögerung: Gigantische Erhöhung durch Modulation der Verzögerungszeit“ zudem als „Editors‘ Suggestion“ hervorgehoben. Eine neue Erkenntnis dieser Forschung ist, dass eine große Klasse von Systemen mit einer endlichen Verzögerungszeit - das ist die Dauer zwischen Ursache und Wirkung – chaotische Diffusion hervorrufen kann (siehe Hintergrund 1). Besonders überraschend und ein fundamental neuer Effekt ist allerdings, dass schon eine kleine zeitlich periodische Schwankung der Verzögerungszeit eine über tausendfache Erhöhung der Geschwindigkeit der Diffusion bewirken kann. Die Chemnitzer Forscher zeigten, dass diese Erhöhung in komplizierter Weise von der Verzögerungszeit und ihrer Schwankung abhängt (siehe Bild), was durch einen sich selbst verstärkenden Dopplereffekt erklärt werden konnte. Typischerweise ziehen solche fundamentalen Erkenntnisse der Grundlagenforschung früher oder später neuartige Anwendungen nach sich, hier etwa im Gebiet der Laserphysik im Zusammenhang mit Informationsübertragung oder Kryptologie.
Diese Art von Spitzenforschung gelingt meist nur im Team. Im vorliegenden Projekt konnte auf die Kooperation und die komplementäre Kompetenz der beiden Postdoktoranden Dr. Tony Albers und Dr. David Müller-Bender gebaut werden. Sie konnten dank erfolgreich eingeworbener Drittmittel der Forschungsgruppe bisher an der TU Chemnitz gehalten werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert diese Mitarbeiter mit Vollzeitstellen in zwei Projekten (siehe Hintergrund 2). Ein solches Forschungsthema ist natürlich auch ideal für die Ausbildung von Studierenden im Fach Physik: So konnte Lukas Hille im Rahmen seiner Bachelorarbeit zu den Forschungsergebnissen beitragen.
Hintergrund 1: Chaotische Diffusion
Diffusion ist ein Prozess, für den Albert Einstein im Jahr 1905 eine mikroskopische Erklärung durch zufällige Stöße auf molekularer Ebene fand, etwa, wenn sich ein Tropfen Milch in einer Tasse Kaffee – ohne Umrühren – langsam ausbreitet. Chaotische Diffusion ist ein ähnliches Phänomen, das allerdings nicht durch zufällige Stöße hervorgerufen wird, sondern durch nichtlineare Falt- und Streckprozesse in der Systemdynamik. Diese Form von Diffusion kann auch in Systemen mit endlicher Verzögerungszeit auftreten.
Hintergrund 2: Drittmittelforschung im Ruhestand
Die TU Chemnitz ermöglicht ihren Professorinnen und Professoren im Ruhestand die Einwerbung von Drittmitteln, insbesondere unter Bereitstellung von Infrastruktur für die Projektbearbeiterinnen und -bearbeiter. Die für die beschriebene Forschung notwendigen Personalmittel wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt. Details zur Förderung unter https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/438881351 und https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/456546951
Originalveröffentlichung in den „Physical Review Letters“: T. Albers, D. Müller-Bender, L. Hille, and G. Radons, Chaotic diffusion in delay systems: Giant enhancement by time lag modulation, Phys. Rev. Lett. 128, 074101, Editors' Suggestion (2022). https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.128.074101
Weitere Informationen erteilen Dr. Tony Albers, Telefon 0371 531-39353, E-Mail tony.albers@physik.tu-chemnitz.de, Dr. David Müller-Bender, Telefon 0371 531-33832, E-Mail david.mueller-bender@physik.tu-chemnitz.de oder Prof. Dr. Günter Radons, Telefon 0371 531- 33205, E-Mail radons@physik.tu-chemnitz.de
(Autor: Prof. Dr. Günter Radons, Forschungsgruppe „Komplexe Systeme und Nichtlineare Dynamik“)
Mario Steinebach
11.03.2022