Wie ein Känguru unseren Kindern hilft …
TUC-Absolventin Wenke Poster glaubt an den Schmetterlingseffekt und geht gern eine Extrameile, denn „erst retrospektiv sieht man den Sinn in manchen Begegnungen und Wegen, die man intuitiv eingeschlagen hat“
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Wenke Poster studierte an der TU Chemnitz Medienkommunikation und ist heute selbstständig. Zudem gründete sie Blicki e. V. Der Vereinsname steht für ein Känguru, das Grundschulkindern hilft, sicher und selbständig durch den Straßenverkehr zu kommen. Foto: privat
Frau Poster, können Sie sich kurz vorstellen?
Na gerne. Ich bin Wenke, Mama eines bezaubernden siebenjährigen Welten-Entdeckers, Hundenärrin, Lippenstiftnaschkatze und passionierte Gesichtsleserin. Ich glaube, jetzt ist schon Vieles gesagt.
Sie haben an der TU Chemnitz den Bachelor-Studiengang Medienkommunikation studiert. Was verbinden Sie mit Chemnitz und der TU?
Chemnitz, oder damals Karl-Marx-Stadt, ist der Ort, an dem ich geboren bin und die ersten 15 Jahre meines Lebens verbracht habe. Hier hatte ich eine sehr unbeschwerte Kindheit, habe meiner damaligen Leidenschaft – dem Eistanzen als Leistungssport – nachgehen können. Übrigens, wie ich finde, ein bombastisch gutes Sportsystem, was es damals gab. Dann kam die Wiedervereinigung und für mich ging es ins Allgäu ins Internat. Anschließend nach Berlin zum Abitur, ein paar Monate nach Australien und schließlich zum ersten Studium nach Chemnitz zurück. Mit der TU Chemnitz verbinde ich vor allem einen neuen Lebensabschnitt. Denn nach sechs Jahren als „Zugvogel“ und insgesamt 15 Jahren Hochleistungssport gab es da wieder das Gefühl von Erdung und Neuanfang gleichermaßen und ich brauchte ein wenig, um mich neu zu orientieren. In Australien konnte ich durch ein Praktikum bei ABC ein kleinwenig in die Medienwelt eintauchen und dachte: ‚Kannste ja eigentlich mal probieren, das mit den Medien.‘ Und in Chemnitz gab es den neuen Bachelorstudiengang Medienkommunikation, zwar mit anfänglich ein wenig Chaos, aber auch ganz viel Experimentierfreude. Das war schon eine besondere Zeit.
Was ist Ihre schönste Erinnerung, wenn Sie an Ihre Studienzeit in Chemnitz zurückdenken?
Was mir sehr gut in Erinnerung geblieben ist und optimal mit meiner Persönlichkeit korrespondierte, ist diese Aufbruchstimmung, die es damals gab. Medienkommunikation war im Jahre 2000 der erste Bachelorstudiengang an der TU. Somit gab es keine starren Strukturen. Ich hatte das Gefühl, vieles funktionierte nach dem Prinzip ‚Trial & Error‘, was für mich absolut fein war. Zusätzlich war für mich völlig unklar, was ich eigentlich mit diesem Studium anfangen sollte. Bei mir herrschte vielmehr diese Freude, in etwas einzutauchen, etwas zu lernen, verstehen zu können, von dem ich so gut wie keinen Schimmer hatte. Rückblickend finde ich es extrem spannend, wie sich die Art der Kommunikation und auch das gesamte Mediensystem innerhalb einer doch überschaubaren Zeit verändert hat: Man stelle sich mal vor, dass es damals kein Social Media gab und türkisfarbene Handys mit Antenne zum Rausziehen, mit denen man – festhalten – größtenteils telefonierte. Crazy, oder? Das Studium hat mir jedenfalls extrem wichtige Grundlagen des Weges zu Erkenntnis und des Hinterfragens gegeben. Das sind Skills, die mich gerade in wirren Zeiten wie heute, in denen es einen Informations-Überfluss gibt, sehr helfen, mir einen Standpunkt zu erarbeiten. Man sieht: Ich habe damals fürs Leben gelernt.
Würden Sie mit heutigem Rückblick das gleiche Studium erneut wählen und warum?
Hm, schwierig zu sagen: Ich glaube an den Schmetterlingseffekt! Deshalb wahrscheinlich schon, denn ich mag meinen Lebenslauf ganz gern. Auf der anderen Seite gibt es heute natürlich Themen, die mich interessieren, für die ich damals noch gar kein Interesse hatte: Philosophie, Psychologie und Geschichte sind da Dinge, von denen ich wünschte, ich hätte sie schon früher für mich entdeckt. Und natürlich nehme ich an, dass sich das Curriculum für Medienkommunikation seit meiner Zeit an der TU auch transformiert hat, so wie die gesamte Medienwelt da draußen.
Wie verlief Ihr weiterer Karriereweg nach dem Studium? Welche Entscheidungen haben Sie vorangebracht und gab es auch Rückschläge?
Nach dem Bachelor ging es für mich nach Potsdam an die Filmuni HFF Konrad Wolf. Dort habe ich meinen Master in Europäischen Medienwissenschaften gemacht. Von da ging es für ein paar Jahre nach Düsseldorf, wo ich inmitten der Finanzkrise die Kommunikation für eine damalige Tochter der WestLB verantwortete. Das war sehr lehrreich- und leider auch nicht wirklich mein Ding. Viele Kontakte aus dieser Zeit sind aber noch heute geschätzte Kunden und Unterstützer. Wie es halt so ist: Erst retrospektiv sieht man den Sinn in manchen Begegnungen und Wegen, die man intuitiv eingeschlagen hat. Und dann war die Zeit reif, zurück nach Berlin zu gehen. 2011 haben mein jetziger Mann und ich gemeinsam beschlossen, unser Know-how zusammenzuwerfen und haben stories unlimited gegründet - eine Manufaktur für visuellen Content. Das war eine sehr spannende Zeit und das große Privileg, das zu tun, was wir tun wollten. Die Möglichkeit, sich immer wieder in neue Themen einzuarbeiten und mit unterschiedlichen Menschen aus Wirtschaft, Politik und Verbänden zusammenzuarbeiten, war quasi ein weiteres Kommunikationsstudium. Inhalt und Ästhetik zusammenzubringen, das ist unsere Stärke.
Und wie ging es weiter?
2017 wurde unser Sohn geboren und alles sortierte sich neu. Die klassische Sinnfrage stellte sich bei uns ein. Wie schaffen wir es, Fußspuren zu hinterlassen und vor allem etwas Schönes und Gutes zurückzugeben? Zu der Zeit gründeten wir dann den Blicki e.V. – ein absolutes Herzensprojekt, dass sich für die Sicherheit von Kindern stark macht. Und dann kam Corona. Eine Zeit, die uns, wie wahrscheinlich viele andere auch, vor immense Herausforderungen gestellt hat. Plötzlich kamen so einige Dinge zusammen: unser Geschäftsmodell war durch die rasante digitale Veränderung und Entwicklung von content auf social media auf die Probe gestellt. Die Unsicherheiten, die bei all unseren Kunden herrschten, bekamen auch wir zu spüren. Doch wie das im Leben so ist: Wenn sich eine Tür schließt, geht eine andere auf.
Und welche Tür ging bei Ihnen auf?
Wir gingen zurück in die alte Heimat. Seit gut zweieinhalb Jahren leben wir nun in der Nähe von Chemnitz. Wir haben das große Glück, in zwei Welten unterwegs sein zu können. In der Großstadt Berlin genauso wie im idyllischen Lichtenau, wo wir nun unseren Lebensmittelpunkt haben. Zurückzukommen hätte ich mir so nie vorstellen können. Doch Chemnitz hat einen riesigen Vorteil: Es ist unaufgeregt, ein Underdog. Hier steckt irre viel Potenzial. Und wenn ich das gerade wieder so neu entdecke, dann wünsche ich mir, dass möglichst viele Chemnitzer und Studierende das genauso wahrnehmen. Dass sie stolz sind auf diesen Rohdiamanten und sich das Potenzial schnappen, das hier in vielerlei Hinsicht liegt, und was draus machen. Anpacken statt jammern!
Vor allem im Hinblick auf den Schritt in die Selbstständigkeit und daraus gewachsener Projekte - woher nehmen Sie Ihre Motivation bzw. Intension und den Mut, neue Wege zu gehen?
Machen wir uns nix vor: Selbstständigkeit ist nicht jedermanns Sache. Ich kann jeden verstehen, der davor erst einmal zurückschreckt. Und ich kann auch sehr gut nachvollziehen, wenn sich Menschen fragen, wie man 24/7 mit seinem Partner zusammen sein und arbeiten kann. Das ist eine echte Challenge. Selbstständigkeit ist in meinen Augen nur dann sinnvoll, wenn man das machen kann, was man wirklich gerne macht. Heißt, wenn ich meine Persönlichkeit und meine Talente in ein Geschäftsmodell einbringen kann. Denn dann ist es kein Job. Dann ist es Hobby und Passion. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, dann geht jeder von uns gerne die Extrameile und nimmt Unsicherheiten in Kauf. Für mich und mein Umfeld ist es essenziell, offen und unbedarft durch die Welt zu gehen. Die Antennen zu haben, Bedürfnisse und Trends zu spüren, woraus sich dann oft Chancen und Wege ergeben, die spannend sind. Einige Ideen verfangen, andere verblassen wieder. Ich glaube, so einen gewissen Hang zu haben, das Leben als ein buntes großes Spiel zu betrachten, ist eine gute Voraussetzung, um selbstständig zu arbeiten. Es ist wie bei ‚Mensch ärger dich nicht‘: Mal gewinnst du, mal eben nicht. Dann beginnst du halt nochmal.
Sie sind Mutter und nebenbei selbstständig tätig? Was raten Sie karriereorientierten Frauen bei der Familienplanung? Wie bekommen Sie Beruf und Familie unter einen Hut?
Es gibt weder den richtigen Zeitpunkt, noch den falschen. Alles kommt zu seiner Zeit. Ich persönlich habe das große Glück, sehr tolle Eltern und Schwiegereltern zu haben, die uns immer unterstützen, wenn wir unterwegs sind und Kind und Hund liebevoll betreuen. Das ist natürlich unbezahlbar!
Wofür begeistern Sie sich am meisten? Was war Ihr letztes großes Projekt?
Ganz glasklar: Blicki e. V. – Blicki ist ein Känguru und hilft Grundschulkids sicher und selbständig durch den Straßenverkehr zu kommen. Der gemeinnützige Verein, den wir 2017 gegründet haben, hat bereits knapp 80.000 Kinder bundesweit an Grundschulen fit für den Straßenverkehr gemacht. Gefördert werden wir vom Bundesverkehrsministerium und Unterstützern aus der Wirtschaft. Mittlerweile kooperieren wir auch mit verschiedenen Polizeipräsidien der Länder und haben ein tolles Botschafter-Netzwerk. Blicki ins Leben zu rufen und die Welt gemeinsam mit vielen tollen Menschen ein Stückchen bunter und sicherer für Kinder zu machen, das ist eine tolle Aufgabe. Character-Entwicklung, Walking Act, pädagogisches Konzept, Brandentwicklung, Workshops an Schulen, Kooperationsstrategien mit anderen Brands, Maskottchen-Manifest, Produktentwicklung etc. – alles Dinge, die Spaß machen und Sinn stiften. Etwas zu tun, was Freude bringt, Gutes tut und dazu auch noch unseren natürlichen Spieltrieb befriedigt, ist sehr erfüllend. Ganz aktuell sind wir dabei, gemeinsam mit dem DK Verlag das erste Blicki-Wimmelbuch zu veröffentlichen. Das wird es pünktlich zum Schulanfang im Buchhandel geben.
Welche Tipps haben Sie für frische Absolventinnen und Absolventen für den Berufseinstieg?
Follow your heart, but take your brain with you! Ist so ein Teebeutel-Spruch, der aber seine absolute Berechtigung hat. Immer Freude am Ausprobieren haben. Keine Angst haben, den falschen Weg zu wählen und Fehler zu machen. Denn in der Retrospektive ergibt jede Entscheidung einen Sinn. Ein gesundes Maß an Selbstvertrauen mit einem gesunden Maß an Zielstrebigkeit und Demut. Und: Von nüscht kommt nüscht.
(Die Fragen stellte Stephanie Höber, Alumni-Koordinatorin der TU Chemnitz.)
Mario Steinebach
10.02.2025