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Diplomaten auf Zeit

Einblicke in das Reise-Tagebuch der Chemnitzer Studierenden, die an der Harvard World Model United Nations-Konferenz in Den Haag teilgenommen haben

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Bild 1: Anna Duleczus, Márta Varga und Johannes Kunath (v.l.) wurde die Ehre zuteil, aktiv an der Eröffnungszeremonie mitzuwirken und beim feierlichen Einzug Flaggen der Mitgliedsstaaten zu tragen. Bild 2: Die Chemnitzer Delegierten von Bosnien und Herzegowina sind mit dem bisherigen Verlauf durchweg zufrieden. Bild 3: Simulationspausen nutzt das Team, um Den Haag zu erkunden. Bild 4: Die Delegierten von Bosnien und Herzegowina bestimmen mit vielen Redebeiträgen die Diskussionen in der Ausschussarbeit maßgeblich mit. Bild 5: Eine Sightseeing-Tour nach Amsterdam durfte auf dem Programm nicht fehlen und brachte Ausgleich zur konzentrierten Arbeit im Simulationsalltag. Bild 6: Nach einer intensiven und erfolgreichen Konferenz verließen die Chemnitzer das internationale Parkett mit vielen Erinnerungen und neuen Erfahrungen. Fotos: privat

Zehn Studenten der TU Chemnitz haben vom 22. bis zum 27. März 2009 in Den Haag an der WorldMUN (Harvard World Model United Nations)-Konferenz teilgenommen. Bei der einwöchigen Simulation der Vereinten Nationen vertritt jede Delegation die Interessen eines Landes - die Chemnitzer sind in diesem Jahr Bosnien und Herzegowina. Die Teilnehmer gewähren den Lesern von "Uni aktuell" Einblicke in ihr Reise-Tagebuch:

Von Chemnitz an die windige Nordseeküste - vielfältiges Teilnehmerfeld bei der Eröffnungszeremonie (Sonntag, 22. März 2009)

Entgegen aller studentischen Gewohnheiten hieß es heute am frühen Sonntagmorgen aufzubrechen, um die Reise nach Den Haag anzutreten, wo die Harvard WorldMUN 2009 auf uns wartet. Per Bahn benötigten wir gute neun Stunden, um vom wolkenverhangenen Chemnitz an die windige Nordseeküste zu gelangen. Kaum angekommen fielen uns an jedem Winkel der Innenstadt junge Akademiker mit Oranje-WorldMun-Taschen auf, welche die Organisatoren, Harvard-Eleven und eine Delegation der Radboud University Nijmegen, bei der Anmeldung an die Teilnehmer ausgaben.

Erster Anlaufpunkt war unser Hotel "Nordzee" direkt am Strand. Wir können das Salzwasser förmlich in der Luft riechen. Nach Begutachtung der Doppelzimmer, von denen manche ihrem Namen leider nicht wirklich gerecht werden, mussten wir auch schon weiter ins World Forum, wo die Eröffnungszeremonie am Abend stattfand. Auf dem Weg machten wir uns mit der exquisiten niederländischen Küche bekannt, die nach dem Motto "Alles frittieren was nicht bei drei auf den Bäumen ist" verfährt. Die Patat (frittierte Fritten), Kipsaté (frittiertes Hühnchenschaschlik) und Krokettes (frittierte Tierinnereien) waren aber in der Tat nicht zu verachten.

Als wir im World Forum ankamen, wurde schnell deutlich, dass das Teilnehmerfeld um einiges vielfältiger als bei der letztjährigen NMUN in New York war, welche zahlenmäßig vor allem von US-Amerikanern dominiert wurde. Insgesamt nehmen bei der diesjährigen WorldMUN 2.500 Menschen aus 53 Staaten teil. José Dominguez Alvarez, Präsident der gastgebenden Delegation aus Nijmegen fand warme einleitende Worte für die Konferenz. Der Bürgermeister Den Haags, Jozias Johannes Van Aartsen, stellte die Rolle seiner Stadt als Zentrum für Frieden und Gerechtigkeit hervor und freute sich, Studenten aus der ganzen Welt zu Gast zu haben. Im Mittelpunkt der Eröffnungsfeier stand die Rede des ehemaligen niederländischen Premierministers Ruud Lubbers, der aus seinem reichen außenpolitischen Erfahrungsschatz berichtete und eine verantwortungsvolle Menschenrechts- und Umweltpolitik einforderte. Gegen 23 Uhr fand die Veranstaltung dann ihr Ende. Zurück im Hotel trafen wir uns noch einmal, um die kommende Woche zu planen und gegen 1 Uhr nachts sehr müde ins Bett zu fallen. Ein strapaziöser Tag geht zu Ende. Morgen geht`s dann um 9 Uhr mit den ersten Committee-Sitzungen los. Man darf gespannt sein.

(Friedemann Brause und Martin Jahns)

Back in formal Session - zurück im diplomatischen Simulationsalltag (Montag, 23. März 2009)

"Doch nicht alles frittiert", stellten wir heute beim Frühstück fest, nachdem wir am Sonntag von ausschließlich fetttriefendem Essen gelebt hatten. Gestärkt mit typisch holländischem Weißbrot und Schokostreuseln ging es heute gequetscht in der Tram mit 100 anderen Delegierten aus aller Welt zu unserer ersten Session. Die Den Haager lieben uns jetzt schon, sprechen uns an und machen Photos. Ein älteres Ehepaar stürmte auf uns zu und erzählte, dass sie aus Bosnien und Herzegowina seien und wie sehr sie sich freuen, dass wir dieses Land repräsentieren.

"Viel entspannter und trotzdem sehr engagiert" vergleicht Franziska die WorldMUN mit der New Yorker NMUN. Ägypten trägt Sonnenbrille und Libyen zerreißt wütend US-Dollar, um die Ablehnung amerikanischer Außenpolitik zu verdeutlichen. Und trotzdem sind alle strikt in ihrer Rolle. Anstrengend war es am Montag, aber es war auch schön wieder "back in formal session" zu sein. Jedes Committee konnte sich durch Gastredner optimal auf sein Thema einstimmen. Botschafter, Referenten, und Politiker hielten Reden und waren für alle Fragen der Delegierten offen. Highlight war der Australier Richard Butler, der jahrelang als Botschafter und Vorsitzender in der United Nations Special Commission (UNSCOM) tätig war, die sich ausschließlich mit der Frage potenzieller Massenvernichtungswaffen im Irak auseinandersetze und seit 2003 im Licht der Öffentlichkeit stand.

Wir Delegierten von Bosnien und Herzegowina sind jedenfalls mit dem montäglichen Ergebnis durchweg zufrieden. Vor allem Janka Engbertz ist komplett in die Diplomatensprache verfallen, die beim Berichten als schönstes Denglisch wiedergegeben wird: "Ich überlege eine Note an den Dias zu schicken, um ihn zu urgen die Motion für den Informal Caucus zu entertainen." Übersetzt: Ich überlege den Komitee-Vorsitzenden zu bitten, häufiger informelle Treffen zur Diskussion der Arbeitspapiere zuzulassen.

Nach einem kalten und windigen Standspaziergang am Abend stärkten wir uns mit asiatischem Essen und stießen im Hotelzimmer auf den positiven Auftakt der WorldMUN an, weshalb unser Tagebuchbeitrag hier zu einem Ende kommt - obwohl wir so gar nicht aufhören können die politischen Debatten fortzuführen.

(Anna Duleczus und Vera Keuper)

Lange Tage, noch längere Nächte und viel Arbeit (Dienstag, 24. März 2009)

Nach dem gemütlichen und ruhigen gestrigen Abend konnten wir heute im Committee nur wenig ausgeschlafene Delegierte sehen. Montagnacht war dementsprechend wohl etwas arbeitsreicher, für einige auch ausgelassener, als erwartet. Die WorldMUN unterscheidet sich sehr von unseren bisherigen Simulationen. Die Havard Universität hat eine ganz eigene Auslegung der diplomatischen Regeln. Höflichkeit und Disziplin fällt manchmal unter den Tisch, vor allem wenn es um umstrittene Themen wie Abrüstung geht, sich Israel und Syrien gegenüber stehen oder die USA einen "kreativen" Vorschlag bezüglich eines Themas unterbreiten. Das ist teilweise frustrierend, besonders für erfahrene MUN-Simultanen wie uns.

Dafür ist das Rahmenprogramm großartig. Täglich kommen andere Gastredner in unsere Committees und berichten von ihrer Arbeit. Am Dienstag zum Beispiel ein Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs für Jugoslawien. Wir als Länderdelegierte von Bosnien und Herzegowina waren natürlich besonders interessiert und begeistert, mit wie viel Engagement und Herzblut dort gearbeitet wird. Besonders unterhaltsam war weiterhin, dass uns eine Studentin der Oxford Universität, die Frankreich vertritt, mitteilte, dass sie von Bosnien und Herzegowina noch nie gehört habe. Sie fragte, ob es denn in Europa läge. Schließlich meinte sie, unsere Interessen würden sich wohl voll und ganz überschneiden. Wir mussten sehr grinsen und sind über die Vorbereitung der "Elite" sehr überrascht.

Am Nachmittag hatten wir eine Simulationspause und nutzten die Zeit, um das Mauritshaus zu besuchen. Es beherbergt eine der wichtigsten Sammlungen niederländischer Genre-Malerei und wurde dem niederländischen Volk von König Willem I gestiftet. Das bekannteste Bild ist Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring", vor dem wir einige Zeit verharrten. Den Abend genossen wir beim Committee-Dinner, unter anderem in einem kolumbianischen und einem chinesischen Restaurant.

(Johannes Kunath und Susanne Günther)

"Hilfe, die Dänen haben unseren Satz wieder herausgestrichen!" (Mittwoch, 25. März 2009)

Unser mittwöchiger Simulationstag war ganz der Ausschussarbeit gewidmet. Während der gestrige Tag eher durch das Rahmenprogramm mit seinen wirklich interessanten Workshops und Panels gekennzeichnet war, ging es heute ausschließlich um unsere Arbeitspapiere und Antragsentwürfe in den Ausschüssen. Nach den unzähligen und mitunter hitzig-chaotischen Diskussionen der ersten beiden Simulationstage beruhigten sich auch langsam wieder die Gemüter und alle Delegationen arbeiteten nun im Geist einer jeden UNO-Simulation daran, die vielen Ideen und Papiere zu kanalisieren und miteinander zu verbinden. Dies ist immer ein kritischer, weil schwer überschaubarer Punkt in Ausschüssen, bei denen, wie im Rechtsausschuss hier bei der Harvard WorldMUN, 158 Mitgliedstaaten (also ungefähr 300 Delegierte) miteinander an einem Thema arbeiten. So mussten auch wir sehr aufpassen, dass unsere Ideen und Verhandlungsfortschritte nicht durch Zufall oder Absicht unter den Tisch fielen und auch noch in neuen oder neu zusammengeschlossenen Papieren auftauchten. Der Erfolg war zwischenzeitlich noch schwer zu erkämpfen, und so hörten wir auch immer wieder aufgeregte Delegierte durch die Hallen des World Forums rufen: "Hilfe, die Dänen haben unseren Satz wieder herausgestrichen!"

Erfreulich war neben unseren inhaltlichen Forschritten heute vor allem die Verbesserung im Ablauf der formalen Debatten. Vielleicht war es auch ein Wenig Jankas "note an den dias" von Dienstag (siehe Tagebucheintrag), die dazu beigetragen hat, dass wir heute in vielen Redebeiträgen, die Diskussion maßgeblich mitbestimmen konnten.

Den einzigen, aber nicht weniger traurigen, Wermutstropfen verursachte die Entscheidung des Haager Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien, die heutige Anhörung des wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagten Serben Vlastimir Djordjević, von der Öffentlichkeit auszuschließen. Dies hat unsere frühzeitig angemeldeten Pläne für die Mittagspause natürlich durchkreuzt. Der Besuch des Tribunals und die Möglichkeit in dem Gerichtsverfahren bei einer so wichtigen Einrichtung hautnah Mäuschen spielen zu können, wäre für uns sicher ein Höhepunkt gewesen, zumal ein solch exklusiver Einblick in den ganz konkrete und praktische Arbeit der Vereinten Nation schwer zu simulieren ist. Aber es ist eben doch wie bei der richtigen UNO: Auf Veränderung heißt es, adäquat zu reagieren und so konnten wir die zusätzliche Freizeit dafür nutzen, auch ein bisschen von den teils hochtheoretischen Diskussionen abzuschalten und uns mit den anderen Studierenden aus den vielen Teilnahmeländern über Kultur, Studium und Uni unterhalten.

Morgen geht es dann in die heiße Phase, und die letzten offenen Punkte werden in den Anträgen festgezurrt. Die Woche, so merkten wir schon heute, nähert sich ihrem Finale. Hoffen wir nur, dass unsere Sätze am Ende auch drin bleiben!

(Kathrin Link und Martin T. Teubner)

Simulation, Satz und Sieg… (Donnerstag, 26. März 2009)

Was letztes Jahr bei der NMUN in New York respektvoll "Meltdown-Thursday" genannt wurde, was sich auf die konzentrierte Arbeit und hitzige Debatten über werdende Resolutionen in allen Ausschüssen mindestens bis 23 Uhr am Donnerstagabend der NMUN Konferenz bezog, damit am nächsten und letzten Tag der Simulation die Anträge zur Abstimmung bereit waren, gestaltete sich am heutigen Donnerstag bei der WorldMUN etwas anders. Von neun bis zwölf Uhr mussten die drei Stunden leider reichen, um letzte inhaltliche Schwerpunkte zu setzen, Antragsentwürfe einzubringen, darüber zu debattieren und schließlich Änderungsanträge einzureichen. Bosnien und Herzegowina konnte trotzdem Erfolge erzielen: letzte Kommentare wurden vor der internationalen Gemeinschaft abgegeben, Standpunkte engagiert vertreten und Allianzen geschmiedet. So fanden am Ende ganze Sätze Eingang in die Resolutionsentwürfe.

Aber man soll ja bekanntlich aufhören wenn es am schönsten ist, schließlich stand für den Nachmittag ein Trip nach Amsterdam auf dem Plan. Für uns ging es per Zug in die orange Hauptstadt, die sich leider regnerisch grau präsentierte. Trotzdem nutzen wir die zur Verfügung stehende Zeit: wir erkundeten die Grachten-durchzogene Stadt mit dem Boot und zu Fuß, fotografierten fleißig, aßen niederländische Spezialitäten - natürlich frittiert - und kauften Tulpen und andere Souvenirs. Franzi und Márta bewunderten niederländische Kunst im Rijksmuseum, in dem auch Rembrandts bekannte Nachtwache ausgestellt ist. Alle zusammen ließen wir dann den Abend typisch niederländisch, nämlich bei Bier und Fußball ausklingen und es ging pünktlich mit den letzen Zügen zurück ins schöne Den Haag.

(Janka Engbertz und Franziska Knur)

"We want to thank all the outstanding and wonderful people who made this amazing WorldMUN possible!" (Freitag, 27. März 2009)

Warme Sonnenstrahlen begrüßten uns an unserem letzten Tag als Delegation Bosnien und Herzegowina. Und: Resolutionsduft lag in der Luft. Es sollte der Tag der Resolutionen werden, doch wie ein wohl geführtes Abstimmungsprozedere in den zur Verfügung stehenden drei Stunden vonstatten gehen sollte, war noch nicht vorhersehbar. Tatsächlich lief dann alles etwas zu schnell, ein bisschen zu kompromissbereit und ein wenig schon in Feierlaune ab, und so schafften es die meisten Komitees eine Resolution zu verabschieden. Ein Ausschuss freute sich darüber so sehr, dass seine Mitglieder laut jodelnd zu den Klängen von "I like to move it move it" - schließlich wollten wir als Jungdiplomaten doch die Welt bewegen - durch alle Komitees tanzten und uns zu einem pünktlichen Abschluss motivierten.

Vor der Abschlussfeier stand für die meisten von uns noch ein Besuch bei der "Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons" (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) an. Zusammen mit hundert anderen, wie sich während der Vorträge herausstellen sollte, völlig übermüdeten Delegierten, gingen wir in Tausendjahresschritten die Geschichte von chemischen Waffen durch und erörterten die Möglichkeiten, die der Organisation zur Bekämpfung und zum Abbau der chemischen Waffen aktuell zur Verfügung stehen.

Doch der wahre Höhepunkt des Tages war die vor Dankbarkeit triefende Abschlusszeremonie. Die Awards gingen zum Großteil an eine mit kräftigsten Stimmorganen ausgestattete, venezuelische Delegation nur einige Sitzreihen hinter uns. Sehr zum Leidwesen unserer Hörorgane. Den runden Abschluss bildeten dann die kurzen Vorstellungen der Arbeit sowie der Ergebnisse in den einzelnen Ausschüssen und um 18 Uhr erklärte unser Secretary General die WorldMUN Konferenz für offiziell beendet.

Unseren letzten gemeinsamen Abend in Den Haag verbrachten wir im wohl bewährten italienischen Stammrestaurant auf der Keizerstraat, um dann die Woche in gemütlichem Kreis ausklingen zu lassen. Es war eine intensive und auch erfolgreiche Konferenz für unsere Delegation. So verlassen wir die Stadt der Gerechtigkeit mit vielen schönen Erinnerungen, jede Menge neuer Erfahrungen und der Vorfreude auf unsere nächste MUN, die ChemMUN 2009 im schönen Sachsen!

(Márta Varga)

Katharina Thehos
23.03.2009

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