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Immer Anschluss unter dieser Nummer

Soziologen der Chemnitzer Universität untersuchen die Strukturen und Arbeitsbedingungen in deutschen Call Centern

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Call Center haben sich als neue Form der effizienten Dienstleistung und der Kundenbindung bereits in vielen Branchen etabliert. Mittlerweile über 3.000 Betriebe mit mehr als einer viertel Million Beschäftigten zeugen von der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung von Call Centern mit ihrer vergleichsweise unübersichtlichen Vielfalt von Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Arbeitsverhältnissen. Ihre Funktionsprinzipien, institutionelle Formen und Beschäftigungsbedingungen sind noch nicht umfassend untersucht, aber sie gelangen immer mehr ins Zentrum sozialwissenschaftlicher Forschungsprojekte. Das Buch “Immer Anschluss unter dieser Nummer” zieht eine Zwischenbilanz dieser Arbeiten. Es bietet eine Bestandsaufnahme zur aktuellen Situation der Call Center in Deutschland und präsentiert eine Vielzahl neuer empirischer Ergebnisse.

Betriebsrat als Ausnahme
So ist grundlegend zu unterscheiden zwischen firmeneigenen bzw. ausgegründeten Call Centern, die primär die Produkte des Mutterunternehmens vermarkten, und freien, externen Call-Center-Dienstleistern, die Aufträge verschiedener Unternehmen entgegennehmen. In Abhängigkeit davon gestalten sich die Arbeitsbeziehungen sehr unterschiedlich: während in firmeneigenen Call Centern der Betriebsrat bereits bei Gründung quasi automatisch vorhanden ist, kann die Gründung eines Betriebsrats bei Ausgründungen bereits stark umkämpft sein, und stellt insbesondere bei kleinen externen Dienstleistern sogar die Ausnahme dar. Insgesamt könnte die betriebliche Interessenvertretung der Arbeitenden, im Rahmen des in Deutschland bislang üblichen korporatistischen Modells, in Frage gestellt werden: Das Management der häufig im Kontext der “New Economy” gegründeten Center hat bislang einseitig auf die kurzfristigen Nachteile dieses Modells fokussiert, deren langfristigen Vorteile aber nicht reflektiert. Die weitere Entwicklung der Arbeitsbeziehungen ist gestaltungsoffen.

Beratung vs. Fließbandarbeit
Nach der Art der angebotenen Dienstleistungen lassen sich Call Center unterscheiden: erstens in qualifizierte Expertendienste, zum Beispiel technische Hotlines oder medizinische Beratungsdienste, zweitens einfache Informationsdienstleistungen wie Bestellannahmen, Direktmarketing oder Verkehrsauskünfte und drittens in qualitativ zwischen diesen Polen zu verortende Banken-Call-Center. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Qualität und das Anspruchsniveau der Tätigkeiten – zwischen hochwertiger telefonischer Beratung und “verbaler Fließbandarbeit” – sowie die beruflichen Hintergründe und Beschäftigungsstrukturen der Angestellten. Beruflich qualifizierten vollzeitbeschäftigten Spezialisten im ersten Fall stehen überwiegend unqualifizierte, meist weibliche, Teilzeitbeschäftigte im zweiten und vorwiegend mit begrenztem Zeithorizont und ebenfalls in Teilzeit tätige Studierende im dritten Fall gegenüber. Außer im ersten Fall handelt es sich also um besonders “flexible” Beschäftigtengruppen. Dies stellt zugleich in Frage, ob Call Center langfristig zu einem Segment werden können, das in größerer Zahl neue Arbeitsplätze schafft, die den Lebensunterhalt von Beschäftigten dauerhaft sichern können.
Insbesondere für den Bereich der Finanzdienstleistungen wird deutlich, dass die Restrukturierung des Beratungsgeschäfts vom Gespräch face to face zur telefonischen Beratung organisationsinterne Schwierigkeiten bewirkt und qualitative Nachteile für die Kunden mit sich bringt. Gleichwohl wird die Entwicklung aus Kostengründen weiter in diese Richtung gehen.
Die Zukunft der Call-Center-Arbeit ist geprägt durch technologische Entwicklungen, die für "einfache" Dienstleistungen zu einer Ersetzung vieler Arbeitsplätze durch technisch basierte "Selbstbedienung" der Kunden – auf der Grundlage des Internet oder telefonischer Spracherkennung bzw. menügeleiteter Tasteneingaben – führen werden. Andererseits wird der Umfang der verbleibenden, komplexen Telefondienstleistungen weiter zunehmen, so dass insgesamt mit einer Erhöhung des Anspruchsniveaus der Call-Center-Arbeit und erweiterten Qualifikationsanforderungen - bei gleichzeitig stagnierender oder leicht sinkender Beschäftigtenzahl - zu rechnen ist.
Der Band zeigt auch auf, dass die Boom-Phase der Call Center in Deutschland vorüber ist und gegenwärtig eine Konsolidierung stattfindet. Die von Seiten der Politik und von Wirtschaftsfördergesellschaften in Call Center gesetzten beschäftigungspolitischen Effekte haben sich nur zum Teil auch eingestellt.

Verteilung regional ungleich
Insbesondere sind regionale Disparitäten festzustellen; und eine vielfach angestrebte Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum hat kaum stattgefunden. Im Gegenteil scheinen Call Center weitgehend an städtische Ballungsräume und Hochschulstandorte gebunden, obwohl das Lohnniveau dort höher ist. Ursache dafür sind die besseren Rekrutierungsmöglichkeiten für eine eloquente, sozial vielseitige und junge Belegschaft. Diese Belegschaft formuliert, wie die Ergebnisse des Sammelbandes verdeutlichen, durchaus eigene Ansprüche an eine befriedigende Arbeitstätigkeit, die das Management insbesondere durch "unternehmenskulturelle" Maßnahmen im eigenen Sinne zu steuern versucht, die aber aufgrund der starken Belastungen der Tätigkeit nur teilweise verwirklicht werden können.

Höhere Ansprüche, steigende Bindungswünsche
Ob Call Center, wie gegenwärtig diagnostizierbar, auch künftig überwiegend neo-tayloristische Arbeitsstrukturen aufweisen werden, ist weitgehend offen und gestaltungsabhängig. Wichtige arbeitspsychologische Gestaltungsfelder zur Verbesserung der Qualität der Call-Center-Arbeit sind neben einem möglichst vielseitigen Aufgabenzuschnitt und der Herstellung hochwertiger Arbeitsplatzbedingungen vor allem die Qualifikation der Agenten und die Ermöglichung von affektiver Bindung der Beschäftigten an das Call Center.

Weitere Informationen gibt Frank Kleemann, Institut für Soziologie der TU Chemnitz, unter Telefon (03 71) 531 39 29 oder per E-Mail frank.kleemann@phil.tu-chemnitz.de

Angaben zum Buch:
Frank Kleemann/ Ingo Matuschek (Hg.): Immer Anschluss unter dieser Nummer – rationalisierte Dienstleistung und subjektivierte Arbeit in Call Centern. Berlin: edition sigma, 2003, 267 S., 18,90 Euro, ISBN 3-89404-503-5.

Mario Steinebach
13.10.2003

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