Forschung im Moment des freien Falls
Wissenschaftler des Virtual Reality Centers Production Engineering der TU Chemnitz testen die Bewegungserfassung bei Fallschirmspringern, um auch Anfänger zum optimalen Sprung zu führen
Bild oben: Bewegungen real und virtuell: Jarno Hein, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Werkzeugmaschinenkonstruktion und Umformtechnik, testet den Motion Capture-Anzug. Bild unten: Fallschirmspring-Profi Mike Vetter trug den Anzug bei den Forschungssprüngen. Fotos: Torsten Polzin |
"Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, deshalb müssen auch werdende Fallschirmspringer durch eine harte Schule gehen. Besonders schwer fällt es den meisten zu Beginn der Ausbildung, im freien Fall eine vorgegebene Haltung einzunehmen", erklärt Torsten Polzin, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Chemnitz. Nur im Hohlkreuz und auf dem Bauch schwebend ist eine sichere und sanfte Fallschirmöffnung gewährleistet. Forscher des Virtual Reality Centers Production Engineering der Professur Werkzeugmaschinenkonstruktion und Umformtechnik der Chemnitzer Universität suchen nach Möglichkeiten, um den Fallschirmspringern künftig die Kontrolle ihrer Körperhaltung im freien Fall zu erleichtern.
Einen Augenblick lang fast schwerelos ist ein Fallschirmspringer nach dem Absprung. Schnell bewegen muss er sich in diesem Moment trotzdem; insgesamt herrschen außergewöhnliche Bedingungen. Lässt sich in dieser Situation die Bewegung des Fallschirmspringers technisch verlässlich erfassen? Dieser Frage sind die Wissenschaftler nachgegangen. Auftraggeber war die niederländische Firma Xsens Technologies B.V., die ein so genanntes "Motion Capture-System" entwickelt hat. Dieses besteht aus einem Anzug, der 16 Beschleunigungssensoren an verschiedenen Körperstellen fixiert. Während des Absprunges und des freien Falls wird bis zu 120-mal pro Sekunde die Körperhaltung aufgezeichnet und auf ein virtuelles Menschmodell übertragen. Bisher kamen Motion Capture-Systeme beispielsweise in der Filmindustrie zum Einsatz, wenn für Trickfilme Bewegungsabläufe von Schauspielern auf virtuelle Figuren übertragen werden sollten. Im Skisprung oder beim Schlittschuhlaufen dient es der Optimierung von Bewegungsabläufen. "Die Firma Xsens Technologies sucht nach weiteren Anwendungsgebieten ihres Systems und hat uns deshalb beauftragt, den Einsatz im Fallschirmsprung zu testen", sagt Polzin und ergänzt: "Wir haben untersucht, wie das System im Moment des freien Falls arbeitet."
Dazu haben die Forscher der TU Chemnitz auf dem Flugplatz Gransee nördlich von Berlin bei der GoJump GmbH Daten gesammelt. Als Testspringer hat sich Mike Vetter zur Verfügung gestellt, Inhaber der GoJump GmbH, ehemaliges Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft im Formationsspringen und derzeitiger Nationaltrainer des deutschen Nationalteams im Formationsspringen. Er trug den Motion Capture-Anzug, mit Hilfe der Sensoren wurden seine Bewegungen erfasst und zur Kontrolle des Systems filmten die Wissenschaftler die Sprünge. "Mit Hilfe der Kameraaufzeichnung konnten wir überprüfen, ob die Beschleunigungssensoren exakt arbeiten. Denn diese werden bei heftigen Bewegungen und längerer Einsatzzeit immer ungenauer", erklärt Polzin. Die Überprüfungsergebnisse waren zufriedenstellend, aktuell arbeiten die Wissenschaftler an der Umsetzung der gewonnenen Daten in ein digitales dreidimensionales Modell. Solche Modelle könnten in der Ausbildung von Fallschirmspringern eingesetzt werden. Dem Schüler könnte seine Körperhaltung so in einer dreidimensionalen Darstellung von allen Seiten demonstriert werden. Daraufhin kann er diese in weiteren Sprüngen verbessern.
Ähnliche Anforderungen wie das Fallschirmspringen stellen beispielsweise das Trampolin- und Turmspringen oder der Stabhochsprung an das Bewegungserfassungssystem. Diese Sportarten können durch den erfolgreichen Test jetzt auch als Anwendungsmöglichkeiten betrachtet werden. Außerdem sollen die mit dem Motion Capture-System gewonnenen Daten in der Entwicklung neuer Fallschirmmuster eingesetzt werden. "Da auch während der Fallschirmöffnung Beschleunigungswerte aufgezeichnet werden, könnte das System die Schirmöffnungen bezüglich Belastung auf den Springer analysieren", so Polzin. Dadurch ließe sich der Öffnungsmechanismus optimieren und Weiterentwicklungen könnten getestet werden.
Weitere Informationen erteilt Torsten Polzin, Telefon 0371 531-32260, E-Mail torsten.polzin@mb.tu-chemnitz.de.
Katharina Thehos
25.08.2008