"Deutschland bewegt sich am Rand der Regierbarkeit"
Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Strohmeier befürchtet eine schwierige Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl, die zu einer steigenden Politikverdrossenheit führen kann
Prof. Dr. Gerd Strohmeier Foto: TU Chemnitz/Wolfgang Thieme |
27 Parteien treten am 27. September 2009 zur Wahl zum 17. Deutschen Bundestag an. 62,2 Millionen Bürger sind dann aufgefordert zu bestimmen, welche Abgeordneten auf den rund 600 Sitzen des Bundestages Platz nehmen dürfen. Keine leichte Entscheidung, findet Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Inhaber der Professur Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der TU Chemnitz. Auch die Regierungsbildung nach der Wahl könnte sich schwierig gestalten, schätzt der Politikwissenschaftler ein.
"Die Bundestagswahl 2009 könnte dazu führen, dass sich Deutschland am Rand der Regierbarkeit bewegt", so Strohmeier. Möglicherweise bliebe nur eine Große Koalition, eine Drei-Parteien-Koalition oder eine Minderheitsregierung zur Regierungsbildung übrig - alles Konstellationen, denen von verschiedenen Seiten mittlerweile eine Absage erteilt wurde. "Alle Alternativen - sollten sie überhaupt zustande kommen - haben gehörige Nachteile, insbesondere mit Blick auf die Regierungsfähigkeit, die durch die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zusätzlich eingeschränkt wird", sagt Strohmeier. So hat aktuell selbst die Große Koalition im Bund keine Mehrheit mehr im Bundesrat.
"Wähler geben in völliger Unsicherheit ihre Stimme ab"
Der Einfluss der Wähler auf die Koalitionsbildung ist laut Strohmeier für sie selbst schwer abzuschätzen: "Bei der Bundestagswahl 2009 geben die Wähler ihre Stimme in völliger Unsicherheit ab." Schließlich könne nicht vorhergesagt werden, welche Parteien nach der Wahl eine Mehrheit haben werden und wer sich zu einer Koalition zusammenfände. "Unter Umständen befördern die Wähler mit ihrer Stimme eine Koalition ins Amt, die sie eigentlich verhindern wollen", sagt der TU-Wissenschaftler und ergänzt: "Sollten viele Wähler im Kern für Schwarz-Gelb oder Rot-Grün votieren und dann wieder Schwarz-Rot bekommen, könnte dies die Politikverdrossenheit im Land massiv fördern."
"Wahlversprechen sind unseriös"
Auch sich nach den Versprechen der Parteien im Wahlkampf zu richten, gibt den Wählern nicht mehr Sicherheit. "Es ist letztlich unseriös, in deutschen Bundestagswahlkämpfen Wahlversprechen abzugeben", so Strohmeier. Grund dafür sei primär das Fünf-Parteien-System. Seit die Partei Die Linke neben CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen als fünfte Kraft in den Bundestag eingezogen ist, habe sich die Regierungsbildung erschwert. Die Parteien seien unter Umständen zu Koalitionen gezwungen, die nicht gewünscht sind oder nicht absehbar waren. "Außerdem sorgen die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat häufig dafür, dass Regierungskoalitionen ihre Politik in zentralen Bereichen nicht wie gewünscht umsetzen können", sagt der Chemnitzer Politikwissenschaftler. Vor diesem Hintergrund sei die Aussage von Franz Müntefering, derzeitiger Bundesvorsitzender der SPD, aus dem Jahr 2006 völlig richtig. Er sagte damals, es sei nicht gerecht, Regierungsparteien an dem zu messen, was sie im Wahlkampf gesagt haben.
Kontakt: Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Telefon 0371 531-27770, E-Mail gerd.strohmeier@phil.tu-chemnitz.de
Katharina Thehos
16.09.2009