Zwischen Hörsaal und Rennstrecke
Chemnitzer Student Jörg Rockstroh legt jedes Jahr 25.000 Kilometer auf dem Rad zurück - Am Wochenende startet er auf dem Sachsenring
Jörg Rockstroh ist fast täglich vom Campus der TU Chemnitz aus mit seinem Rennrad unterwegs. Foto: Mario Steinebach |
Wenn es am kommenden Samstag, den 28. August 2004, auf dem Sachsenring darum geht, die ereignisvolle Radsport-Geschichte auf der traditionsreichen Strecke ein Stück weit wiederzubeleben, geht auch der Chemnitzer Student Jörg Rockstroh an den Start. Er gehört sicher nicht zu den bekanntesten deutschen Straßenradfahrern. Aber dass der 2,02 Meter große Hüne seinem Sport mit ähnlicher Begeisterung nachgeht wie ein Jan Ullrich oder Erik Zabel, davon ist man nach einem Treffen schnell überzeugt. 25.000 Kilometer legt der 24-jährige Rockstroh, der für den Chemnitzer Radsportverein RSV fährt, jedes Jahr auf dem Fahrrad zurück. An Trainingstagen absolviert er fünf bis sechs Stunden auf dem Rad, und selbst an “Ruhetagen” sitzt er ein oder zwei Stunden auf dem Sattel. Im vergangenen Jahr brachte er es auf 43 Renntage. Das heißt, in der Saison von April bis Oktober nahm er jedes Wochenende an ein oder zwei Radrennen teil, hinzu kommen längere Rundfahrten. Es handelt sich dabei oft um Rennen, die an der Schwelle zwischen Profi- und Amateurbereich liegen. Und so begegnet er durchaus gelegentlich den Größen, die man aus dem Fernsehen kennt: Der deutsche Olympiastarter Jens Voigt gehörte schon zu seinen Gegnern, mit dem Leipziger Bahnradfahrer Jens Lehmann teilte er kürzlich sogar das Zimmer. Da fuhren Lehmann und Rockstroh im gleichen Team, für die bayerische Profiline-Mannschaft. “Solche Rennen sind natürlich ein Highlight”, erklärt Rockstroh.
Dabei ist er selbst kein unbeschriebenes Blatt. In der sächsischen Radsport-Szene hat sich Rockstroh 2002 als sächsischer Landesmeister im U23-Bereich einen Namen gemacht, in diesem Jahr wurde er Fünfter bei den Sächsischen Meisterschaften in seiner Heimatstadt Plauen. Er gewann in seiner sportlichen Laufbahn schon Bergzeitfahren, nahm an Landesrundfahrten teil. Zuletzt war er in Serbien, eine Rundfahrt über sechs Tage und 1.100 Kilometer stand im Rennkalender: “Ich dachte vor dem Start, das wird bestimmt abenteuerlich. Aber dann war alles bestens organisiert. Es war sozusagen die serbische Tour de France, mit Besuch des Staatspräsidenten und allem drum und dran”, erzählt Rockstroh von seinem Balkan-Aufenthalt im Juni dieses Jahres. Und er versuchte dort für Furore zu sorgen: Auf der Königsetappe belegte er immerhin den 20. Platz. Und am folgenden Tag initiierte er die lange Fahrt einer Ausreißergruppe. “Wir wurden leider vom Hauptfeld wieder eingefangen, aber das ist nicht entscheidend für mich”, erklärt Rockstroh. Wichtiger sei, zu attackieren und am Abend zu sich selbst sagen zu können: “Ich hab alles gegeben!”
Die nächste Saison noch will sich Jörg Rockstroh seiner Leidenschaft hingeben. Denn eigentlich absolviert er ja ein Studium der Informationstechnik an der TU Chemnitz: “Ohne das BaföG könnte ich mir den Sport gar nicht leisten”, macht Rockstroh klar. Denn er ist Amateursportler, auch wenn es bei einigen Rennen ein paar Prämien zu gewinnen gibt. Und außerdem kommt die wenig starre Studienorganisation seiner Trainings- und Rennplanung durchaus entgegen: “Meine Dozenten wissen von meinem Hobby. Und meine Kommilitonen unterstützen mich regelmäßig mit Vorlesungsmitschriften”. Manchmal helfen Studieninhalte sogar beim Radrennen: “Ich habe an der Uni drei Jahre italienisch gelernt. So kann ich während des Rennens schon mal Taktiken mit den Italienern aushandeln, wie zuletzt beim Giro di Cosenza im Mai dieses Jahres.” Und wenn es regelmäßig zu Trainingslagern in die Toskana geht, so erfährt man von Rockstroh, treffe er auch gelegentlich auf italienische Fahrer, mit denen er dann zusammen durch die Hügellandschaft fahre. Aber dennoch: Wenn das Studium im nächsten Jahr beendet sein wird, wird es auch den aktiven Sportler Jörg Rockstroh nicht mehr geben. “Ich glaube, in der bisherigen Form sind Radsport und dann Berufsleben wohl nicht mehr miteinander vereinbar. Da wähle ich dann wohl eher das Ende mit Schrecken.”
Doch nun steht erst einmal das Rennen auf dem Sachsenring an, an dem auch die Wiesenhof-Mannschaft antreten wird, ein Profi-Team aus der zweithöchsten Kategorie, wohl nach T-Mobile und Gerolsteiner die Nummer drei unter den deutschen Radrennställen. Was erwartet sich Rockstroh von diesem Rennen? Eigentlich fühle er sich ganz gut in Form, meint er. “Ich hatte Anfang der Saison einen Sturz, aber jetzt geht es wieder aufwärts.” So würde er sich über eine Platzierung unter den ersten Zehn riesig freuen. Aber zu weit aus dem Fenster lehnen möchte er sich nicht: “Das Problem bei Radrennen ist immer, dass man vorher nicht weiß, wie es läuft. Kommt eine Ausreißergruppe durch oder gibt es einen Massensprint? Wie ist das eigene Gefühl und was sagt die Mannschaftstaktik? Da kann beinahe alles passieren”. Diese mal glücklichen, mal weniger zufriedenstellenden Erfahrungen mit der Unwägbarkeit von Radrennen sind denn wohl auch ein Punkt, über den sich Jörg Rockstroh mit den berühmteren Fahrern Ullrich oder Zabel stundenlang unterhalten könnte, wenn es irgendwann einmal zu einem Treffen kommen würde.
(Autor: Volker Tzschucke)
Mario Steinebach
25.08.2004