Erobern E-Bikes künftig auch Chemnitz?
Für die Sportgerätetechniker der TU sind Elektrofahrräder nicht nur ein Forschungsgegenstand - beim "Dies academicus" luden sie zur Testfahrt ein und warben für E-Bikes als Alternative im Nahverkehr
Elektrofahrräder - oder neudeutsch "E-Bikes" - sind das derzeit beherrschende Thema in der Fahrradbranche. Diese Sparte wächst entgegen dem Trend um jährlich etwa 25 Prozent. Experten rechnen damit, dass im Jahr 2010 in Deutschland rund 200.000 E-Bikes verkauft werden, was einem Marktanteil von fünf Prozent entspricht. Doch was ist überhaupt ein E-Bike? "Im Unterschied zu herkömmlichen Fahrrädern verfügen E-Bikes über einen Elektromotor, der meist in der vorderen oder hinteren Radnabe oder am Tretlager eingebaut ist. Zusätzlich zur Ausstattung gehört ein Akku und eine Kontrolleinheit zur Steuerung des Antriebs. Das zurzeit am weitesten verbreitete Elektrofahrrad ist das Pedelec. Es zeichnet sich durch die Begrenzung der Motorunterstützung auf 25 Kilometer pro Stunde aus. Zudem erfolgt die Aktivierung von bis zu 250 Watt Nenndauerleistung nur dann, wenn der Fahrer gleichzeitig in die Pedale tritt. Der Grad der Unterstützung ist in der Regel vom Benutzer einstellbar. Daneben existieren zulassungs- und führerscheinpflichtige Elektrofahrräder, die mit Motorunterstützung 45 Kilometer pro Stunde erreichen können. Derzeit ist eine starke Differenzierung des E-Bike-Sektors zu beobachten. Nachdem anfänglich ausschließlich City- bzw. Tourenfahrräder elektrifiziert wurden, greift dieser Trend auch auf andere Gattungen wie Rennräder oder Mountainbikes über.
"Aus Sicht der Fahrradbranche stellen Elektrofahrräder das derzeit einzige funktionierende und etablierte E-Individualverkehrsmittel dar. Das macht diesen Bereich auch für die Forschung interessant", sagt Dr. Stephan Odenwald vom Fachgebiet Sportgerätetechnik der Technischen Universität Chemnitz. An der Schnittstelle von Mensch und Maschine sind hier zwei Forschungsgebiete vereint: die Wissenschaft der menschlichen Bewegung und die Ingenieurswissenschaften. Die Professur Sportgerätetechnik bearbeitet derzeit zwei Forschungsbereiche mit Bezug zu Elektrofahrrädern. "Zum einen liegt der Fokus auf der Entwicklung eines realitätsnahen Verfahrens zur Simulation der elektrischen und mechanischen Betriebslasten. Zum anderen wird in Kooperation mit einem renommierten Hersteller und der Professur Schaltkreis- und Systementwurf der TU Chemnitz ein schnelles Pedelec entwickelt, das sich durch ein hohes Maß an Systemintegration, die belastungs- und fertigungsgerechte Verwendung von Leichtbaumaterialien, ein intelligentes Energiemanagement und ein zielgruppenorientiertes Design auf dem Markt von Konkurrenzprodukten abheben soll", berichtet Jacob Müller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Sportgerätetechnik.
Die Chemnitzer Forscher blicken dabei schon weit über den Tellerrand ihrer Forschung hinaus und möchten auch vor ihrer Haustür die Werbetrommel schlagen für Elektrofahrräder als eine interessante Alternative zum verbrennungsmotorisierten Individualverkehr. "Obwohl das Traditionsunternehmen Diamant in Hartmannsdorf bei Chemnitz Elektrofahrräder in großen Stückzahlen produziert, gehören diese Fahrzeuge noch lange nicht zum Verkehrsalltag der so genannten Stadt der Moderne", stellt Odenwald fest und fügt hinzu: "Überhaupt wird in Chemnitz im bundesweiten Vergleich ausgesprochen selten Fahrrad und umso öfter Auto gefahren. Da hier die Durchschnittsgeschwindigkeit des innerstädtischen Verkehrs bei lediglich 23 Kilometer pro Stunde liegt, sollten Elektrofahrräder als Nahverkehrsmittel stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken."
Gesagt, getan: Beim diesjährigen "Dies academicus", der ganz im Zeichen der Elektromobilität stand, luden die Sportgerätetechniker ins Hörsaalgebäude auf eine E-Bikes-Teststrecke ein, auf der die Gäste aktuelle Modelle von Elektrofahrrädern selbst einmal fahren konnten und stellten ihr Konzept zur Etablierung von Elektromobilität in Chemnitz auf Basis von Elektrofahrrädern vor. Fazit: Es bedarf noch viel Überzeugungsarbeit, aber auch Forschungsaktivitäten sowie eine ganzheitliche Betrachtung der Energiethematik. Denn wer mit einem Elektrofahrrad oder -auto unterwegs ist, hinterfragt auch immer häufiger, ob der Strom aus der Steckdose auch "ökö" ist. Das unterstrichen auch alle Vorträge im benachbarten Hörsaal, wo Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft die Elektromobilität aus Sicht eines Automobilherstellers, eines Produktionstechnikers, eines Psychologen und eines Studenten vom "Fortis Saxonia"-Team der TU Chemnitz beleuchteten. Der Weg, um zur Begrenzung der Erderwärmung den Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2050 um 95 Prozent zu reduzieren, ist ein langer und von vielen Rahmenbedingungen abhängig - vielleicht auch ein wenig von der Bereitschaft möglichst vieler Chemnitzer vom "Benziner" auf ein E-Bike umzusteigen.
Mario Steinebach
12.11.2010