Kunststoffen unter die Oberfläche gesehen: Canyons im Nanokosmos
Chemnitzer Physiker stellen neue zerstörungsfreie Messmethode für die Oberflächenstruktur weicher Materialien vor - Forschungsergebnisse wurden in der Zeitschrift "ACS Nano" veröffentlicht
Um weiche Oberflächen von Kunststoffen, Flüssigkeiten oder lebenden Zellen abbilden zu können, nutzen Forscher weltweit die Rasterkraftmikroskopie im Tastmodus. Dabei wird die Form der Oberfläche zeilenweise mit einer sehr feinen, vibrierenden Spitze abgetastet, die dabei nur wenige Nanometer tief in die weiche Oberfläche eindringt. Dieses geringe Eindringen der Spitze wurde bisher als ein unerwünschter Nebeneffekt dieser Messmethode angesehen und die Darstellung der Oberfläche war nur als Fläche möglich. Eike-Christian Spitzner, Christian Riesch und Prof. Dr. Robert Magerle von der Professur Chemische Physik der Technischen Universität Chemnitz nutzen jedoch das Eindringen der Spitze zur räumlichen Darstellung oberflächennaher Schichten weicher Kunststoffe. Ihre aktuellen Forschungsergebnisse wurden nun in der Online-Ausgabe der renommierten Zeitschrift "ACS Nano" der American Chemical Society veröffentlicht (http://dx.doi.org/10.1021/nn1027278).
Das von den Physikern entwickelte Messverfahren funktioniert ähnlich wie das Abtasten eines Handrückens: Die vibrierende Spitze berührt die Oberfläche wie ein Finger die Handoberfläche. Bei etwas mehr Druck gibt das weiche Gewebe unter der Haut nach und mit dem Finger können harte und weiche Stellen unter der Oberfläche ertastet werden. Wird der Finger zurückgezogen, nimmt das Gewebe des Handrückens wieder seine ursprüngliche Form an. Auch die Spitze des Rasterkraftmikroskops kann problemlos bis zu einem gewissen Punkt in die Oberfläche des weichen Kunststoffes eindringen, ohne sie dauerhaft zu verformen.
Mit dieser neuen Messmethode haben die Chemnitzer Forscher unter anderem elastomeres Polypropylen (ein synthetisches Gummi) untersucht und unter seiner Oberfläche die Form nur 15 Nanometer breiter kristalliner Lamellen ertastet, die wie eine Canyon-Landschaft im Nanokosmos aussieht. Die Breite der "Höhenzüge" ist etwa 2.000 Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Die Physiker konnten zeigen, dass die Oberfläche des Kunststoffs völlig glatt ist und die harten, kristallinen Lamellen fünf bis 15 Nanometer unter einer weichen Schicht von amorphem Polypropylen liegen. Die Oberkante der Lamellen ist dabei nicht glatt, sondern es konnten Fugen zwischen den etwa 20 Nanometer großen kristallinen Blöcken ertastet werden, die - um beim Vergleich mit dem Handrücken zu bleiben - den Knöcheln entsprechen.
Die neue Messmethode ist zerstörungsfrei und kann vielfältig für die Analyse von Kunststoffoberflächen eingesetzt werden. Sie verspricht neue Einblicke unter die Oberfläche weicher Materialien, die für das Verständnis ihrer Oberflächeneigenschaften wie Haftung und Reibung entscheidend sind.
Weitere Informationen erteilen Eike-Christian Spitzner, Telefon 0371 531-37434, E-Mail eike-christian.spitzner@physik.tu-chemnitz.de, und Prof. Dr. Robert Magerle, Telefon 0371 531-38033, robert.magerle@physik.tu-chemnitz.de.
Mario Steinebach
27.12.2010