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TUCaktuell Historie

Vom "Mündlichen Verweis" über die "Carcerstrafe" bis zur "Wegweisung aus der Anstalt"

Julius Ambrosius Hülße war von 1841 bis 1850 Direktor der Chemnitzer Gewerbschule - seine strengen disziplinarischen Vorschriften sollten die Schüler zu hohen Leistungen führen

Das Studium an den Vorläufereinrichtungen der Technischen Universität Chemnitz war in den vergangenen 175 Jahren nicht immer ein Zuckerschlecken. Auch die Schüler und Studenten mussten von Beginn an ihren Beitrag leisten, um die Weiterentwicklung von der Königlichen Gewerbschule seit 1836 bis zur heutigen TU zu ermöglichen. Einer, der sich besonders engagiert dafür einsetzte, das Bildungsniveau an der Chemnitzer Einrichtung zu heben, war Julius Ambrosius Hülße. 1841 wurde er zum Direktor und gleichzeitig zum Professor berufen. Der damals 28-Jährige stellte nicht nur die erforderlichen Lehrfächer zusammen, sondern auch eine Reihe "Disziplinarischer Vorschriften" auf. Prof. Dr. Friedrich Naumann, emeritierter Professor für Wissenschafts-, Technik-, Hochschulgeschichte an der TU Chemnitz, entdeckte diese im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden, und zwar in den die Gewerbschule betreffenden Akten. Besonders beeindruckte ihn die Auffassung, die zu jener Zeit zu Disziplin und Ordnung herrschte und hohe Studienmoral zur Grundtugend erhob. So heißt es beispielsweise im § 8 zur Kategorie Unaufmerksamkeit, dass sich diese "schon dadurch bestraft, daß das Gehörte nicht verstanden und gefaßt wurde". Gute Leistungen wurden auch dadurch garantiert, dass sich die Kontrolle der Lehrer sogar bis in die Wohnungen der Schüler hinein erstreckte, diese also regelmäßig inspiziert werden konnten.

Die nachfolgende Zusammenstellung der "Disziplinarische Vorschriften für die Gewerbschule zu Chemnitz, ausgearbeitet von Julius Ambrosius Hülße" widerspiegelt die vor 175 Jahren herrschende Auffassung - und vielleicht sei dies oder jenes zur Nachahmung empfohlen...

I. Begriff der Disziplin und Gegenstände desselben

§ 1 Begriff der Disziplin
Die Disziplin oder Zucht einer Schule hat es zu thun mit der Gewöhnung an sittliche und religiöse Bildung.

§ 2 Gegenstände der Disziplin
Bei einer steten Hinweisung auf die Erfüllung sittlicher und religiöser Vorschriften, wie sie durch den fortgehenden Religionsunterricht geboten werden, muß es die Aufgabe jeder Schulanstalt sein, noch durch besondere Bestimmungen dem Schüler zu einer solchen Gewöhnung, wie sie mit §1 genannt wurde, behülflich zu werden. Hierher gehören die Vorschrift zur Aufrechterhaltung des Gehorsams, der Ordnung, der Aufmerksamkeit und der Erhöhung des Fleißes. Jemehr der Schüler diesen Vorschriften entspricht, desto mehr entspricht er den sittlichen Anforderungen und dem Zwecke der Anstalt.

§ 3 Ordnung
Zur Ordnung gehört alles, was der Schüler nach Ort und Zeit als seine Obliegenheiten anzuerkennen hat. Wer diesen Obliegenheiten nicht nachkommt, wird durch die in den folgenden §§ genannten Strafmittel so dazu angehalten, daß die Anwendung derselben in aufsteigender Form stattfindet.

§ 4 Ordnungswidrigkeiten
Zu spätes Erscheinen in der Anstalt, unregelmäßiger Besuch, Verlängerung der gesetzlich bestimmten Ferien ohne besondere dringende Gründe, zu späte Einlieferung oder Unterlaßung der Eingabe aufgegebener Arbeiten, wie überhaupt jede Störung des ordnungsmäßigen Schulganges, ist als Ordnungswidrigkeit zu betrachten.

§ 5 Gehorsam
Da der Gehorsam die pflichtmäßige Erfüllung alles in der Anstalt Gebotenen ist, so bezieht er sich zunächst auf die Erfüllung der Gesetze im Allgemeinen und insbesondere auf die Personen, welche mit der Aufrechterhaltung deßelben beaufsichtigt sind.

§ 6 Ungehorsam
Als Ungehorsam ist anzusehen jede Verletzung der von der Anstalt vorgeschriebenen Gesetze. Besonders ist hierher zu rechnen gegen den Lehrer von Seiten des Schülers erhobener Widerspruch, ungeziemende Äußerungen oder ein das Verhältnis des Schülers zum Lehrer verletzendes Betragen.

§ 7 Aufmerksamkeit
Unter Aufmerksamkeit versteht man die stete Richtung des Geistes auf gewiße Obliegenheiten.

§ 8 Unaufmerksamkeit
Der Aufmerksamkeit entgegengesetzt ist jede Art der Zerstreuung, sie habe den Nahmen wie sie will, obschon sich Unaufmerksamkeit schon dadurch bestraft, daß das Gehörte nicht verstanden und gefaßt wurde, so soll doch, um dieser vorzubeugen, die Anwendung der in den folgenden §§ angegebenen Strafmittel stattfinden.

§ 9 Fleiß
In der angestrengten Sorgfalt, bei allen von der Anstalt geforderten Arbeiten, wie in der steten Rücksicht auf die Erlangung größerer Kenntniße und Fertigkeiten zeigt sich der Fleiß der Schüler.

§ 10 Unfleiß
Jede Art der Nachläßigkeit sowohl bei Benutzung des Unterrichts als auch bei Verfertigung der aufgegebenen Arbeiten ist als Unfleiß anzusehen, und soll zunächst die Bestrafung darin bestehen, daß die nochmalige Umarbeitung des eingelieferten Pensums erfolgt. Im Wiederholungsfalle tritt die Strafe der Degradation ein.

II. Personen welche mit Aufrechterhaltung der Disciplin beauftragt sind.

§ 11 Handhabung der Disciplin in der Klasse
Jeder Lehrer ist in seiner Klasse für die Aufrechterhaltung der Disziplin verpflichtet.

§ 12 Censoren
Den Lehrer unterstützen in diesem Geschäft zwei der untadelhaftesten und fleißigsten Schüler als Censoren.

§ 13 Oberaufsicht
Über die sorgfältige Vollziehung aller gesetzlichen Bestimmungen von Seiten der Lehrer und Censoren hat der Director der Anstalt zu wachen.

§ 14 Beaufsichtigung der Schüler in ihren Wohnungen
Außer der Schule steht jeder Schüler der Anstalt unter einer speziellen Aufsicht der Lehrer, und es werden daher jedem Lehrer eine Anzahl Schüler vom Director zugetheilt.

§ 15 Diese Inspection soll darin bestehen, daß die Schüler von Zeit zu Zeit in ihren Wohnungen besucht werden, um dadurch ihren Privatfleiß, Umgang, ihre Aufführung etc. zu controlliren.

§ 16 Pflichten der Censoren
Das Amt der Censoren besteht darin, daß die dem Lehrer jeden Tag das in der Klaße wider die Gesetze Vorgekommene in ein besonderes Buch - Censorbuch - mit besonderen näheren Eingaben eintragen und zur Inspection des Lehrers an jedem Tage bringen, doch ist hierbei zu bemerken, daß sich die Censoren blos an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten haben und nie nach eignem Ermeßen Verfügungen treffen dürfen. Geschieht Letzteres, so verlieren sie ihr Censoramt.

§ 17 Claßenjournal
Nach Ablauf jeder Woche wird vom Lehrer aus dem Censorbuche die Eintragung in das Claßenjournal vorgenommen und in der nächsten Lehrerconferenz darüber auf Veranlaßung des Directors Besprechung gehalten.

§ 18 Das Claßenjournal giebt den Anhaltungspunct bei Ausarbeitung der Censuren.

III. Strafmittel

§ 19 Strafen
Für diejenigen Schüler, welche den Gesetzen einer Anstalt zuwiderhandeln, bedarf es gewißer Strafmittel, um sie dadurch zur Befolgung derselben zu bewegen. Dieselben werden in der angegebenen Steigerung wie folgt angewendet:
a) mündlicher Verweis
b) schriftlicher Tadel im Censorbuche
c) schriftlicher Tadel im Claßenjournal
d) Degradation
e) Citation vor die Lehrerconferenz
f) Carcerstrafe
g) Citation vor die Schulcomißion und
h) Wegweisung aus der Anstalt

§ 20 Mündlicher Verweis
Der mündliche Verweis findet Anwendung, wenn der Schüler sich eines Vergehens schuldig macht, wobei nicht Absicht zu Grunde liegt.

§ 21 Tadel im Censorbuch
Der Censor vermerkt sofort denjenigen im Censorbuche, welcher die Ruhe während des Unterrichts auf eine Weise stört, wodurch entweder der Lehrer oder Schüler in seiner Aufmerksamkeit unterbrochen wird. Zugleich kommen alle diejenigen ins Censorbuch, welche entweder zu spät in der Anstalt erscheinen, ihre Arbeiten nicht zur bestimmten Zeit oder gar nicht abliefern oder aus der Anstalt unentschuldigt wegbleiben.

§ 22 Tadel im Claßenjournal
Wer dreimal um ein und derselben Sache willen im Censorbuche steht, soll ins Claßenjournal unter Angabe der Pflichtverletzung eingetragen werden.

§ 23 Degradation
Die Degradation wird dem Ermeßen jedes Lehrers für jeden vorliegenden Fall anheimgestellt hinsichtlich ihrer Anwendung.

§ 24 Citation vor die Lehrerconferenz
Wenn die § 20 unter a, b, c, d angegebenen Strafbestimmungen nicht ausreichend scheinen, wird die Citation vor die Lehrerconferenz für nothwendig erachtet unter der Form, daß ihm von Seiten des Directors die für seine Handlungsweise entstehenden größeren nachtheiligen Folgen vor Augen gestellt werden.

§ 25 Carcer
Die Anwendung und Dauer der Carcerstrafe ist dem Ermeßen der Lehrerconferenz anheim gegeben.

§ 26 Citation vor die Schulcommißion und Ausschluß
Mit dem Erscheinen vor der Schulcommißion ist zugleich der Antrag der Lehrerconferenz auf Ausschließung von der Anstalt verbunden.

IV. Belohnungen

§ 27 Höherer Platz
Wer sich durch seinen Fleiß und sein Betragen besonders das Lob des Lehrers erwirbt, erhält einen höheren Platz in der Claße.

§ 28 Censur
Rühmliche und ausdrückliche Erwähnung in der Censur.

§ 29 Medaillen
Wer sich durch seinen Fleiß die Zufriedenheit aller seiner Lehrer zu erwerben gewußt hat, soll zur Erlangung einer Medaille vorgeschlagen werden, jedoch nur unter der Bedingung, daß sein sittliches Betragen ebenfalls untadelig erschienen ist.

§ 30 Öffentliche Belobung
Wer neben dem Lohn vorzüglich erlangter Ausbildung sich auch das Lob eines vorzüglichen und musterhaften Betragens nach dem einstimmigen Urtheile der Lehrer erworben hat, soll in dem Localblatte deshalb öffentlich belobt und zugleich als derjenige bezeichnet werden, auf den die Anstalt stolz zu sein Ursache hat.

Zum Lehrer Julius Ambrosius Hülße

Die Gründung der landwirtschaftliche Abteilung der Gewerbschule geht auf ihn zurück, ebenso die Einführung einer Vorbereitungsklasse sowie der Unterrichtsfächer Geschichte, Geographie, Baukunde, Feldmessen und Kaufmännische Betriebslehre: Julius Ambrosius Hülße, geboren am 2. Mai 1812 in Leipzig. Hier studierte er zunächst Theologie, danach Mathematik und Physik an der Bergakademie in Freiberg. Nach einer Anstellung als Mathematik-Lehrer an der Handelsschule in Leipzig wurde der 28-Jährige 1841 nach Chemnitz zum ersten Direktor berufen - seine beiden Vorgänger waren lediglich "Vorsteher der Anstalt" - und erhielt gleichzeitig den Professorentitel verliehen. Als "durch Talent und gründliche wissenschaftliche Bildung gleich ausgezeichneter Mann" - so die Einschätzung "aller Männer vom Fach" - übernahm er die Fächer mechanische Technologie, Spinnereimechanik und Maschinenlehre. 1848 führte er einen vollkommen neuen zeitgemäßen Lehrplan ein, um den Herausforderungen der prosperierenden Industrie entsprechen zu können. Zum Programm gehörte aber auch die Besorgung von Instrumenten und Gerätschaften für die Durchführung von Untersuchungen, die Besorgung von Lehrbüchern, Zeitschriften und Anschauungsmaterialien, letztendlich auch der Kampf um ein neues, eigenes Schulgebäude, das 1848 an der Dresdener Straße errichtet wurde; denn die Schülerzahl war mittlerweile auf über 200 angestiegen. Auch als Mitbegründer und Redakteur der Zeitschrift "Polytechnisches Centralblatt" sowie als Herausgeber der "Allgemeinen Maschinen-Encyclopädie" - nach Hülßes Meinung "nicht nur ein Werk für Deutschland, sondern ein Werk für Europa" - genoss er einen hervorragenden wissenschaftlichen Ruf.

Als Hülße 1850 nach Dresden berufen wurde, um die Leitung der Technischen Bildungsanstalt zu übernehmen, bilanzierte das Ministerium des Innern, dass "die Chemnitzer Gewerbschule in ihrer glücklichen individuellen Entwicklung ... zu den gelungensten Anstalten dieser Art gehört und daß sie alle Elemente in sich trägt, um bei angemessener Erweiterung der Mittel sich zu einer wahren industriellen Hochschule zu entwickeln" - zweifelsohne das Werk ihres hervorragenden Direktors Hülße, dem man bei seiner Verabschiedung "Anspruchslosigkeit, wahrhaft rührende Bescheidenheit, große Gewissenhaftigkeit und Herzensgüte sowie unermüdliche Opferwilligkeit" attestierte.

Sein Wirken in Dresden - 1851 wurde die Technische Bildungsanstalt in Polytechnische Schule umbenannt - war gleichermaßen fruchtbar und nachhaltig. Neben seiner Direktorialtätigkeit engagierte er sich für die Einführung eines neuen Maß- und Gewichtssystems und war Mitarbeiter und Vorsitzender der Ober-Eichungskommission sowie der technischen Deputation im Königlichen Ministerium des Innern. Hülße war verheiratet; nachdem sein leiblicher Sohn früh starb, adoptierte er drei Kinder - eines von ihnen, Georg Heinrich Judenfeind-Hülße, wurde später ebenfalls Lehrer an den Chemnitzer Technischen Staatslehranstalten. Hülße verstarb am 26. Juni 1876. Im Nachruf im "Dresdner Journal" war zu lesen: "König und Staat verlieren in ihm einen Diener von seltener Treue und aufopfernder Hingebung an die Aufgaben der ihm anvertrauten Ämter … und wer Hülße im Leben näher gestanden, der wird das Bild des edlen, wahren Mannes von seltener Anspruchslosigkeit und Herzensgüte und zuletzt des männlichen Dulders in harter Leidenszeit gewiß in treuem Gedächtnis bewahren." An ihn erinnert auch das Dresdner Julius-Ambrosius-Hülße-Gymnasium, gelegen an der Hülßestraße.

Seit dem 14. November 1988 trägt in Chemnitz der Hörsaal C 104 im Rühlmann-Bau seinen Namen; auch ist er auf einem Relief von Berthold Dietz aus Lichtentanne zu sehen, das seit 1986 im Böttcher-Bau im zentralen Treppenaufgang ins erste Obergeschoss hängt.

(Quellen: 175 - Das etwas andere Jubiläumsbuch, Informationen von Prof. Dr. Friedrich Naumann)

Katharina Thehos
24.08.2011

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