Neue Wahlkreise sind "unbefriedigend, aber unvermeidlich"
Chemnitz verliert einen Wahlkreis für die Wahl zum Sächsischen Landtag - Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Strohmeier bewertet Neuregelung als unbefriedigenden, aber notwendigen Schritt
Das Bundesverfassungsgericht legt fest, dass für den Grundsatz der Gleichheit der Wahl die Stimme jedes Wahlberechtigten dieselbe Erfolgschance haben muss. Um das zu sichern, müssen die Wahlkreise möglichst gleich groß geschnitten sein. Aufgrund sich ändernder Einwohnerzahlen war die Einteilung der Kreise für die Wahl zum Sächsischen Landtag rechtlich nicht mehr zulässig. Die Staatsregierung hat deshalb dem Sächsischen Landtag einen Gesetzentwurf zur Neuabgrenzung der Wahlkreise vorgelegt, der am 15. Mai 2013 beschlossen wurde. Im Vorfeld der Entscheidung waren mehrere Sachverständige gehört worden, darunter Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Inhaber der Professur Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der Technischen Universität Chemnitz. Er stellte seine Einschätzung bei einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Sächsischen Landtages am 21. März 2013 vor.
Das neue Gesetz legt fest, dass die Stadt Chemnitz und der Landkreis Görlitz jeweils einen Wahlkreis und damit auch einen Abgeordneten im Landtag verlieren. Die Stadt Dresden und der Landkreis Nordsachsen gewinnen einen Kreis und damit einen Abgeordneten. "Diese Neuverteilung der Wahlkreise ist aufgrund der aktuellen Bevölkerungszahlen sowie mit Blick auf die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung unvermeidlich", sagt Prof. Strohmeier. "Dennoch ist die Reduzierung der Zahl der Wahlkreise der kreisfreien Stadt Chemnitz von vier auf drei unbefriedigend, zumal jeder der verbleibenden drei Wahlkreise deutlich größer ist als der durchschnittliche Wahlkreis", so der Politikwissenschaftler weiter. Nach Sächsischem Wahlgesetz soll die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises nicht um mehr als 15 Prozent vom Durchschnitt der sächsischen Wahlkreise abweichen; bis zu 25 Prozent sind jedoch rechtlich erlaubt. Sachliche Gründe, die bei der Wahlkreiseinteilung berücksichtigt werden sollen und Abweichungen von der durchschnittlichen Wahlkreisgröße (bis zu 25 Prozent) rechtfertigen können, werden im Sächsischen Wahlgesetz explizit aufgeführt: So soll ein Wahlkreis "ein zusammenhängendes Gebiet bilden" und sollen die Grenzen der Gemeinden, Verwaltungsverbände und -gemeinschaften sowie Landkreise "nach Möglichkeit eingehalten werden". Zudem können weitere Kriterien, wie die Wahlkreiskontinuität, die territoriale Verankerung oder die Wahrung regionaler Besonderheiten für die Wahlkreiseinteilung herangezogen werden. Entscheidend ist jedoch zunächst die Wahlkreisgröße.
"Zwei Chemnitzer Wahlkreise liegen über und einer knapp unter der 15-Prozent-Grenze. Auch wenn ein weiterer Bevölkerungsrückgang in Chemnitz vom Gesetzgeber erwartet wird, lässt sich nicht absehen, wie sich dieser auf die Wahlkreise verteilen wird. Es ist also nicht davon auszugehen, dass die beiden Wahlkreise, die oberhalb der positiven 15-Prozent-Grenze liegen, im Laufe der Zeit automatisch darunter fallen", hält Strohmeier fest. Außerdem unterscheide sich die Situation in Chemnitz dadurch erheblich von der der beiden anderen kreisfreien Städte ab: In Leipzig weichen die Wahlkreise im Schnitt 7,7 Prozent, in Dresden 8 Prozent von der durchschnittlichen Wahlkreisgröße ab. Dennoch: "Die Neueinteilung im Allgemeinen sowie die Reduzierung der Wahlkreiszahl in Chemnitz im Speziellen ist rechtlich geboten", so Strohmeier. Sein Fazit: "Eine perfekte Wahlkreiseinteilung gibt es ebenso wenig wie ein perfektes Wahlsystem. Schließlich muss die Wahlkreiseinteilung ebenso wie das Wahlsystem insgesamt innerhalb des rechtlich möglichen Rahmens verschiedene Ziele berücksichtigen und zum Ausgleich bringen."
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Telefon 0371 531-37612, E-Mail gerd.strohmeier@phil.tu-chemnitz.de.
Katharina Thehos
15.05.2013