Der wandelnde Duden
Sprachberatung an der TU Chemnitz: Dr. Ruth Geier bietet den international gefragten Service ab April 2006 auch im Internet an
Die Sprachberatung von Ruth Geier ist mittlerweile international gefragt. Fotomontage: TU Chemnitz/Wolfgang Schmidt |
In den vergangenen zehn Jahren wurde wohl kaum ein amtliches Regelwerk so oft reformiert wie die deutsche Rechtschreibung. Es gab eine Reform der Reform der Reform, dutzende Schulbücher wurden neu gedruckt und Diskussionen in der Bevölkerung entfacht. Aber wer weiß eigentlich noch, ob das "Du" in Briefen nun doch wieder groß, das "s" und "t" zusammen oder getrennt geschrieben werden muss und warum es "querlesen" aber "quer liegen" heißen muss? Antworten auf diese Fragen gibt Dr. Ruth Geier von der TU Chemnitz. Seit Juni 2002 steht sie jeden Donnerstag von 14 bis 16.30 Uhr mit ihrem "Sprachberatungstelefon" Rede und Antwort. Die Kosten belaufen sich auf die normalen Telefongebühren - ein Vorteil gegenüber den kostenpflichtigen offiziellen Beratungsstellen der Duden-Redaktion und der Gesellschaft der deutschen Sprache (GfdS) in Wiesbaden. Erreichbar ist Ruth Geier über die Telefonnummer (03 71) 5 31 - 329 12.
Ab April 2006 erweitert die Sprachexpertin ihren Service auch auf das Internet. "Ein Grund dafür ist die große Resonanz auf die Chemnitzer Telefonberatung, unter anderem auch aus den Niederlanden und der Schweiz", erklärt Geier. Ab sofort können Anfragen auch per E-Mail an sprachberatungen@tu-chemnitz.de geschickt werden.
"Wir beraten zu Rechtschreib- und Grammatikfragen, gehen sprachlichen Phänomenen auf den Grund, warum man gerade sagt ‚Du grüne Neune’ oder analysieren verwendete Ausdrücke in der Jugendsprache", erklärt die Germanistin. Wenn Ruth Geier von "wir" spricht, meint sie eine kleine Gruppe von Studierenden der Medienkommunikation, die sich seit dem Sommersemester 2005 intensiv mit dem Aufbau der Internetpräsenz und den Inhalten auseinandersetzt. So auch Nicole Leithold, Studentin der Medienkommunikation im dritten Semester. Sie beschäftigt sich mit dem Ressort Jugendsprache und zeigt am Beispiel ‚beamen’, dass meist mehr als ein Wörterbuch benötigt wird: "Beamen bezieht sich in der Jugendsprache nicht auf die englische Übersetzung ‚leuchten’ oder ‚strahlen’", erklärt die 21-Jährige. "Die eigentliche Bedeutung wurde aus der Science-Fiction-Serie "Raumschiff Enterprise" übernommen, in welcher es eine schnelle Transportmöglichkeit beschreibt." Zur Bearbeitung der verschiedenen Anfragen müssen also mehrere medientheoretische Grundlagen betrachtet werden.
Ruth Geier und ihre fleißigen Helfer geben aber auch Auskünfte zu sprachlichen Fragen, die weit über orthographische Probleme hinausgehen: "Es kam schon vor, dass ich als Schiedsrichter fungiert habe, wenn Anrufer ‚Scrabble’ spielen oder eine Wette abgeschlossen haben." Aber auch Sekretärinnen, das Ordnungsamt oder verunsicherte Eltern, die die korrigierten Diktate ihrer Kinder anzweifeln, gehören zum Alltag. Dann gibt es noch die Wissbegierigen, die alles hinterfragen. "Hier wird es schon kniffliger für mich", so Ruth Geier. "Redewendungen wie ‚in trockenen Tüchern sein’ oder veraltete Worte wie zum Beispiel ‚Ortonom’, stellen auch mich immer wieder vor neue Herausforderungen." Aber genau das liebt die Sprachexpertin an ihrer Arbeit, die sie übrigens ehrenamtlich ausübt. So fand sie heraus, dass ein "Ortonom" eine verstümmelte Form von "Hortus", dem Garten, sei. Dass die Sprachberaterin und Dozentin an der Professur Medienkommunikation der Chemnitzer Universität auch manchmal Psychologin sein muss, zeigt sich in ihrer Funktion als "Kummerkasten". "In diesem Fall beklagen sich Anrufer zum Beispiel über die Häufung von Fremdwörtern im Deutschen oder die weichen Regeln der Rechtschreibung", so Geier.
Woher sie allerdings ihr Wissen nimmt, behandelt sie wie ein gutes Rezept - geheimnisvoll. "Man muss nicht alles wissen, man muss nur wissen, wo es steht", schmunzelt Geier. Nur soviel: Neben ihrer zehnjährigen Erfahrung als Sprachberaterin zieht sie viele Parallelen aus dem Lateinischen und Griechischen. Beides hat sie gelernt und teilweise auch unterrichtet. Eine weitere Fundgrube ist neben einschlägigen Lexika das Grimmsche Wörterbuch, das bekannteste deutsche Wörterbuch.
Keine Angst hingegen hat die gebürtige Eisenacherin vor neuen Herausforderungen. Immer wieder wird sie als Expertin zu Themenbeiträgen hinzugezogen: Im Sommer vergangenen Jahres gab sie beim Kultur-Radio "MDR Figaro" an fünf Tagen Tipps zur neuen Rechtschreibung. Zudem sendete Deutschlandradio einen Beitrag mit Ruth Geier zum Thema Wahlkampf, einem weiteren Steckenpferd der Sprachexpertin. Außerdem erstellt sie Gerichtsgutachten. So konnte sie ein gefälschtes Dokument nur anhand des Sprachstils aufdecken. "Interessant war auch die Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt, wo ich einen Werksvertrag zur Analyse von Erpresserbriefen hatte", erklärt Geier.
Zu Rate gezogen wird die Germanistin auch von verschiedenen Autoren. Zum Beispiel gibt sie sprachwissenschaftlich gestützte Antworten in dem Buch "Warum gräbt der Maulwurf? 111 Fragen, die die Welt bewegen". "Alle, die schon immer einmal wissen wollten, warum der Schaum auf dem Bier weiß ist, wieso Männer Brustwarzen haben oder wo eigentlich der Unterschied zwischen den drei Fragewörtern wieso, weshalb, warum liegt, ist mit dem Buch gut beraten", so die Expertin. Ähnlich angelegt ist die wöchentliche Themenseite "Onkel Max" in der Chemnitzer "Freien Presse", mit deren Redaktion die Sprachberaterin seit drei Jahren eng zusammenarbeitet.
Wenn Ruth Geier nicht auf den Spuren der deutschen Sprache ist, widmet sie sich mit Herz und Seele ihren studentischen Projekten. Zum Beispiel finden am 31. März und 1. April 2006 die "2. Studentischen Medientage Chemnitz" statt, die sie 2005 initiiert hat. Vorträge, Präsentationen bisheriger studentischer Medienprojekte und eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aus der Medienlandschaft stehen auf dem Programm. Organisiert wird die Konferenz eigenständig von Studenten der Medienkommunikation. Um die Inhalte der Vorträge keinem vorzuenthalten, werden sie zusätzlich in einer Schriftenreihe zusammengefasst, die Ruth Geier gemeinsam mit Anett Kretzer, ebenfalls Studentin der Medienkommunikation, herausgibt.
Anfang dieses Jahres lief ein weiteres Projekt in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Germanistik der TU an. Unter dem Namen "Sprache-Medien-Praxis" werden in regelmäßigen Abständen Medienvertreter eingeladen, um Studierenden Einblicke in die Praxis zu geben.
Auch wenn Ruth Geier in die ferne Zukunft blickt, schmiedet sie dabei Pläne rund um ihre Sprachberatung. Zum einen möchte sie diese wissenschaftlich auswerten und in einem Buch veröffentlichen, das anderen Bestsellern auf diesem Gebiet vielleicht sogar den Rang abläuft. Zum anderen möchte sie sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen: "Ich wollte schon immer einmal zum Kölner Karneval", gesteht die Germanistin. Zumindest konnte sie in den vergangenen zehn Jahren genügend Stoff für eine Büttenrede über die neue Rechtschreibung sammeln.
(Autorin: Antje Brabandt)
Mario Steinebach
30.03.2006