Ein Leben für die Wissenschaft
Prof. Dr. Richard Lenk lässt auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst die Leidenschaft zur Physik nicht los - Das Resultat: eine wissenschaftliche Veröffentlichung im Alter von 80 Jahren
"Zeit ist das, was von Uhren angezeigt wird", soll Albert Einstein einmal gesagt haben. Dieser Satz kann als Banalität gelesen werden; für die Physik bedeutet er aber, dass "Zeit" als quantitative Größe ohne Uhren gar nicht erklärt werden kann. Die Relativitätstheorie hat gezeigt, dass diese Größe vom Bewegungszustand des Beobachters, vom Bezugssystem abhängen kann und so die "Relativität der Zeit" etabliert, bekannt als Zwillingsparadoxon.
Die Synchronisierung der in einem gegebenen Bezugssystem ruhenden Uhren erfordert den Vergleich der Periodendauern und die widerspruchsfreie Erklärung der Gleichzeitigkeit entfernter Ereignisse. Für Inertialsysteme sind diese Aufgaben aufgrund der räumlichen Homogenität und Isotropie lösbar. Insbesondere können verschieden positionierte Uhren als gleichlaufend betrachtet werden, wenn sie gleich gebaut, also "Zwillinge" sind. Das Relativitätsprinzip formuliert den Sachverhalt, dass ein mit konstanter Geschwindigkeit translatorisch gegen ein Inertialsystem bewegter Bezugskörper ebenfalls ein Inertialsystem definiert. Auch diese Gleichwertigkeit ist Ausdruck einer grundlegenden Symmetrie; aus ihr folgen die Relativitäten von Längen, Zeitintervallen und Gleichzeitigkeit.
Die inertialen Symmetrien werden gebrochen, wenn anstelle der Translation eine Rotation des Bezugskörpers tritt. Insbesondere ist bei hinreichend präzisen Messungen die Rotation der Erde zu berücksichtigen, so beim GPS, beim Ringlaser oder der Realisierung der atomaren Weltzeit TAI. Die Synchronisation rotierender Uhren ist also auch ein aktuelles Problem, dessen theoretische Behandlung neue Überlegungen erfordert. Das ist die Thematik, der sich Richard Lenk, Professor für Theoretische Physik und langjähriger Dekan der Fakultät für Naturwissenschaften der TU Chemnitz, nach seinem Ausscheiden aus der universitären Lehre und Forschung im Jahre 1998 zugewandt hat. Dazu war es zunächst notwendig, das physikalische Problem der Uhrensynchronisation vollständig von dem formalen mathematischen Apparat der Relativitätstheorie zu lösen. Das Ergebnis ist die Publikation "Synchronized Clocks and Time on a Rotating Disc" im International Journal of Physics.
Um den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem rotierenden und dem inertialen System herzustellen, muss das für die Translation fundamentale Relativitätsprinzip durch eine für die Rotation spezifische Aussage ersetzt werden. Dies gelingt durch eine verblüffend einfache Feststellung: Die im Drehzentrum positionierte Zentraluhr gehört beiden Bezugssystemen an und übernimmt daher die Rolle eines "Vermittlers" zwischen den rotierenden und den ruhenden Uhren. Auf dieser Grundlage wird bewiesen, dass die system-intern durch (im allgemeinen experimentellen) Vergleich mit der Zentraluhr bestimmte Periodendauer einer beliebigen rotierenden Uhr übereinstimmt mit der extern im Inertialsystem mittels der dort synchronisierten Uhren gemessenen Zeitdifferenz. Wird also jede rotierende Uhr so "gestellt", dass sie die gleiche Zeit anzeigt wie diejenige inertiale Uhr, an der sie gerade vorbeifliegt, so bleibt dieser Sachverhalt im weiteren Zeitablauf erhalten: Beide Uhrensysteme bilden ein einziges Synchron-Ensemble. Sie realisieren eine für beide Bezugssysteme einheitliche Zeit. Das ist eine unerwartete, auf andere Probleme nicht übertragbare Wiederbelebung einer "absoluten Zeit".
"Ohne die Unterstützung von Prof. Dr. Michael Schreiber, der sich sehr um die Publikation bemühte, seiner Sekretärin Karin Kretschmar und Prof. Dr. Heinrich Solbrig, der mir bei der Recherche geholfen hat, wäre das nicht möglich gewesen. Zumal es sehr schwierig ist, etwas zu publizieren, was gegen bestehende Konventionen verstößt. Doch dann, noch passend zu meinem 80. Geburtstag, überreichte mir Herr Schreiber zu meiner großen Freude die Publikation, eingerollt in einer goldenen Schleife", erzählt Lenk.
Die Veröffentlichung online: http://pubs.sciepub.com/ijp/1/5/4/
(Autoren: Prof. Dr. Richard Lenk, Antonin Fischer)
Katharina Thehos
03.03.2014