Lebendiger Gedenkort
Studierende und Alumni der TU Chemnitz organisierten die „Tage des offenen Tors“ im Kaßberg-Gefängnis
Für fünf Tage öffnete eine Projektgruppe aus Studierenden und Alumni der TU Chemnitz das Kaßberg-Gefängnis und machte die ehemalige Haftanstalt mit verschiedenen Veranstaltungen zum lebendigen Gedenkort. Mit ihrem Projekt „Tage des offenen Tors“ arbeiteten die Studierenden die Repressionsgeschichte in Chemnitz während des Nationalsozialismus, der Sowjetischen Besatzungszeit sowie der DDR-Zeit auf. Sowohl Gestapo als auch der sowjetische Geheimdienst nutzten das Gefängnis zur Inhaftierung politischer Häftlinge. Ab 1965 wurde die Stasi-Untersuchungshaftanstalt zur zentralen Drehscheibe für den Häftlingsfreikauf aus der DDR in die Bundesrepublik. Die Projekttage vom 11. bis 15. April 2015 erinnerten nicht nur an die zu Unrecht Inhaftieren, sondern boten den Raum zur Diskussion über die Bedeutung und Nachnutzung des seit 2010 leerstehenden Gebäudekomplexes.
Das Interesse an dem vielfältigen Programm mit Zeitzeugengesprächen, Führungen und einer abschließenden Podiumsdiskussion zur Zukunft des Kaßberg-Gefängnisses war groß: Insgesamt nahmen über 1.000 Besucher an den unterschiedlichen Programmpunkten teil. Die Studierenden vermittelten den Interessierten die Geschichte des Ortes auf eindrückliche Weise. Veronica Scholz, Amelie Stelzner und Christian Lieberwirth informierten über die Geschichte des Gefängnisses von 1945 bis 1990. Im Rahmen eines Geschichtsseminars hatten sie zur Repressionsgeschichte in Chemnitz/Karl-Marx-Stadt geforscht. Sie stellten ihre Forschungsergebnisse der daraus resultierten Abschlussarbeiten vor. Zeitzeugen berichteten von ihren persönlichen Erfahrungen als politische Häftlinge. In den Zellen hatten verschiedene Opferverbände Ausstellungen gestaltet, die unter anderem über die Zwangsadoption in der DDR informierten.
Einen besonderen Zugang zur Vergangenheit des Kaßberg-Gefängnisses ermöglichten die abendlichen Gefängnisbegehungen. Nach einer musikalischen Begrüßung des Universitätschors belebte die Theatergruppe „Turmbau 62“ den Gefängnistrakt. „Es war eine atmosphärisch dichte Vermittlung der Geschichte dieses trostlosen Schicksalsortes“, lobte eine Besucherin das Konzept.
Die Erinnerungsarbeit ging dabei über die Chemnitzer Stadtgrenzen hinaus. In einer gesamtdeutschen Friedensandacht erinnerten Pfarrer Stephan Brenner aus Chemnitz und Pfarrer Reiner Wagner aus dem Landkreis Gießen an die politischen Häftlinge, die aus der DDR von der Bundesrepublik freigekauft wurden. Vom Kaßberg-Gefängnis aus gelangten 30.000 freigekaufte Häftlinge in das Notaufnahmelager in Gießen. Geheim aufgenommene Fotos der Häftlingsübergaben zeigte eine Ausstellung vom Gießener Fotografen Karl-Heinz Brunk, bereitgestellt vom Stadtarchiv Gießen. Darüber hinaus informierte die Professorin Dr. Jeanette van Laak von der Justus-Liebig-Universität Gießen in einem Vortrag über das Notaufnahmeverfahren der Bundesrepublik.
Die weitere Nutzung des Gebäudekomplexes wurde in der abschließenden Podiumsdiskussion „Verklärt, vergessen, abgerissen“ zum Gedenkort Kaßberg-Gefängnis diskutiert. Inwieweit die Einrichtung einer Gedenkstätte möglich ist, steht noch nicht fest. Als Erinnerungsort hat das Kaßberg-Gefängnis eine große Bedeutung im Chemnitzer Stadtleben, wie das große Besucherinteresse und die positive Resonanz auf das Projekt zeigten.
Die „Tage des offenen Tors“ wurden in Kooperation mit dem Verein Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis und dem Sächsischen Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen organisiert. Ermöglicht wurde das Projekt durch die Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der TU Chemnitz e.V., des Studentenwerks Chemnitz-Zwickau, des StuRa und der Initiative Europastudien e.V. Es zeigt, wie sich Studierende der TU in das Geschehen in Chemnitz einbringen und damit den kürzlich erneuerten Kooperationsvertrag zwischen Universität und Stadt mit Leben füllen.
Weitere Informationen unter: http://projekt.gedenkort-kassberg.de
(Autorin: Leona Söhnholz)
Katharina Thehos
23.04.2015