Turnend pauken
Kunstturner Andreas Bretschneider will bei den Olympischen Spielen 2016 richtig abräumen – und gleichzeitig die Prüfungen an der TU Chemnitz bestehen
Ihm kann so gut wie keiner etwas vorturnen: Kunstturner Andreas Bretschneider, der seit drei Jahren fest in der deutschen Nationalmannschaft ist, wurde nicht nur Junioreuropameister 2006, sondern gewann darüber hinaus bereits vier Weltcups und schwang sich bei der Weltmeisterschaft 2015 in Glasgow am Reck auf den fünften Platz – und das ein halbes Jahr nach seinem Achillessehnenriss. Darüber hinaus hat Bretschneider im Dezember 2014 sein eigenes Turnelement entwickelt: „Dabei handelt es sich um einen Doppelsalto mit integrierter Doppeldrehung über die Reckstange zum Wiedererfassen“, erklärt der 26-Jährige das nach ihm benannte Element. „Turnelemente werden im internationalen Regelwerk nach Schwierigkeit von A bis G bewertet. Mein eigen entwickeltes Element wurde als einziges H-Element im Regelwerk aufgenommen und ist dementsprechend ein Alleinstellungsmerkmal, zumal es niemand sonst auf dieser Welt kann.“ Doch der TU-Student will noch höher hinaus: „2016 wird das interessanteste Jahr überhaupt“, berichtet Bretschneider. „Da finden nämlich die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro statt. Meine Reckübung ist gut genug, um eine Medaille mit nach Hause zu bringen. Dabei ist es wichtig, dass ich die Nerven nicht verliere, beim Turnen muss nämlich alles stimmen – eine Millisekunde Unaufmerksamkeit kann bereits das Aus bedeuten.“
Um in Rio zu punkten, trainiert der gebürtige Berliner täglich – und das ganze sieben Stunden lang. „Dazu zählen sowohl Beweglichkeitstraining, Krafttraining, Ausdauertraining und Techniktraining“, erklärt Bretschneider. „Beim Geräteturnen werden sechs Geräte trainiert. In Deutschland kann man sich beim Turnen nicht auf eine Disziplin beschränken, man muss den Mehrkampf anbieten, um in die Nationalmannschaft zu kommen. Bis man täglich alle sechs Disziplinen trainiert hat, vergeht die Zeit wie im Flug.“
Bei diesem immensen Trainingsaufwand kann man kaum glauben, dass Bretschneider außerdem Student ist: An der TU Chemnitz ist der Profi-Turner seit 2010 für das Fach Wirtschaftswissenschaften eingeschrieben. Sich dieser Doppelbelastung auszusetzen, ist Bretschneider sehr wichtig: „Ich habe 2008 Abitur gemacht und das Ziel ist es, dass ich noch bis 2020, also bis zu den Olympischen Spielen in Tokio, turne. Ich habe mich für Wirtschaftswissenschaften entschieden, damit ich einen Plan B zur Hand habe, vorausgesetzt, ich kann mich nach meiner Karriere vom Sport trennen. Sich von 2008 bis 2020 nur auf das Turnen zu beschränken und den akademischen Fortschritt stagnieren zu lassen, kam für mich nicht in Frage.“
Doch das Leistungsturnen und das Studium miteinander zu vereinbaren, ist nicht leicht für Bretschneider: Im vergangenen Semester war er nur drei Wochen in Chemnitz vor Ort. „Und selbst, wenn ich da bin, bin ich oft in der Turnhalle“, berichtet er. „Zum Zeitmangel kommt außerdem noch eine immense körperliche Belastung hinzu, die es schwierig macht, sich nebenher noch auf etwas anderes zu konzentrieren. Deshalb zentriert sich bei mir für gewöhnlich alles in der Prüfungsphase.“ Zur Unterstützung bei den Prüfungen und um den Überblick während des Semesters nicht zu verlieren, hat Bretschneider über das Programm „Partnerhochschule des Spitzensports“ von der TU eine Tutorin zur Seite gestellt bekommen, die ihm in Sachen Studium unter die Arme greift. „Die Tutorin ist wirklich sehr hilfreich für mich“, so Bretschneider. „Während meiner neun Semester plus zwei Urlaubssemester an der TU Chemnitz habe ich selten eine Univeranstaltung besuchen können, deshalb fehlen mir die Kontakte. Die Tutorin bietet mir den Anschluss, sie besucht für mich einige Veranstaltungen und lässt mir Aufzeichnungen zukommen, die mir für die Prüfungsvorbereitung weiterhelfen. Das erleichtert es für mich, den Stoff in der wenigen Zeit, die mir zu Verfügung steht, zu lernen. Mit der Unterstützung, die mir geboten wird, schaffe ich dann sicher, wenn auch in kleinen Schritten, meinen Uniabschluss – und mir stehen nach meiner sportlichen Karriere hoffentlich alle Türen offen.“
(Autorin: Sabrina Schäfer)
Katharina Thehos
02.03.2016