Der zerplatzte Traum vom Campus mit Turm und Stadion
Zum 125. Geburtstag: Erinnerung an den ehemaligen Akademieprofessor für Architektur und Hochbau Kurt Hermann Wittlinger – Nicht alle seiner Planungen wurden realisiert
Wenn seine Planungen umgesetzt worden wären, würde heute der Campus der Technischen Universität Chemnitz an der Reichenhainer Straße völlig anders aussehen. Der ehemalige Akademieprofessor für Architektur und Hochbau Kurt Hermann Wittlinger (1892 – 1980) legte am 22. November 1954 einen Planungsentwurf für einen völlig neuen Campus vor, nachdem Anfang 1954 der Rat der Stadt Karl-Marx-Stadt der Einordnung des Geländes zwischen Reichenhainer Straße und den Gleisen der Reichsbahn in den Flächennutzungsplan für die Erweiterung der damaligen Hochschule für Maschinenbau zugestimmt hatte. Dieser Entwurf sah im Zentrum einen zwölfgeschossigen Turm mit Sitz des Rektors und der Bibliothek vor, davor ein eindrucksvoller Platz,westlich begrenzt von der Reichenhainer Straße durch einen Baukörper mit zwei Querflügeln für die Grundwissenschaften und östlich durch die Mensa. Nach Westen hinter dem mächtigen Flügelbau gelegen plante er ein Stadion mit Tribüne und dahinter drei Institutsgebäude mit jeweils rechtwinklig an die Gebäudemitte angesetzten Werkhallen. Östlich der Reichenhainer Straße, hinter und neben der Mensa, waren Internate angedacht. Diese großzügigen Planungen stützten sich auf optimistischen Prognosen des Anstiegs der Studierendenzahl. Da in den Folgejahren dieser Optimismus bei den Entscheidungsträgern in der DDR schwand, wurden Wittingers Visionen nicht umgesetzt. In seinen ersten Planungen sollte übrigens noch die gesamte Hochschule an die Reichenhainer Straße unter Aufgabe des Standortes am Schillerplatz verlegt werden.
Mit einem Gebäude konnte sich Wittlinger jedoch an der Hochschule ein "Denkmal" setzen: Gemeint ist die Ausführung des Lückenschlusses am Hauptgebäude am Schillerplatz mit der Errichtung des damals sogenannten „Physikneubaus“. Mit diesem Bau an der heutigen Ecke Georgstraße/ Straße der Nationen und seiner markanten Spindeltreppe hat er sich neben den Erbauer des Hauptbebäudes Emil Alwin Gottschaldt gestellt. Dieser war ebenso wie Wittlinger Professor der Architekturabteilung und erinnert damit an eine erfolgreiche, heute aber nicht mehr bestehende Architektentradition an der Vorläufereinrichtung der Technischen Universität Chemnitz. Übrigens: Mehrere Planzeichnungen von Wittlinger kann man heute noch im Universitätsarchiv der TU Chemnitz begutachten.
Zur Person: Kurt Hermann Wittlinger
Am 2. Februar 1892 wurde Kurt Hermann Wittlinger in Dresden geboren. Bedeutung für Chemnitz erlangte er von 1924 bis 1945. In dieser Zeit war er als Lehrer für architektonische Fächer und Bauwissenschaften an der Staatlichen Akademie für Technik in Chemnitz – einer Vorläufereinrichtung der heutigen Universität - angestellt.
Wittlinger besuchte in Dresden das Annenrealgymnsaium und studierte von 1911 bis 1919 an der Technischen Hochschule in Dresden Hochbau. Sein Studium wurde jedoch durch den Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 unterbrochen. Die zweite Staatsprüfung legte er im Mai 1920 ab und war danach mit der Erledigung privater Aufträge und Wettbewerbsarbeiten in Dresden beschäftigt. Vom 1. Dezember 1920 bis März 1924 arbeitete er in staatlichen Anstellungen, davon fünfzehn Monate als Regierungsbauführer und zwei Jahre als stellvertretender Bauleiter bei der Errichtung der Verwaltungs-, Fabrik- und Wohnhausbauten des Braunkohlenforschungs-institutes in Freiberg. Von April bis September 1925 wirkte er auch im Stadterweiterungsamt Chemnitz; als Stadtarchitekt hatte er die Neubearbeitung der Bebauungspläne für die Gebiete Altendorf, Kappel und für die Heimstättensiedlung an der Hüttenstraße zu verantworten.
Wittlinger wurde am 1. Oktober 1924 an der Akademie für Technik in Chemnitz als Lehrer für architektonische Fächer und Bauwissenschaften angestellt. Zuvor war er bereits im Winterhalbjahr 1924/1925 als Aushilfslehrer an den Technischen Lehranstalten tätig und hatte erfolgreich an den Wettbewerben "Hygienemuseum Dresden" und "Börsenhof Königsberg" teilgenommen. Er beteiligte sich an weiteren Ausschreibungen und Wettbewerben, z. B. für das Palasthotel »Wettiner Hof« in Bad Elster, das Hotel "Chemnitzer Hof" in Chemnitz und das "Hygiene-Museum" in Dresden. Von April bis September 1925 wirkte er im Stadterweiterungsamt Chemnitz. Im Jahre 1927 wurde er zum Professor ernannt. Im November 1945 musste er aus politischen Gründen die Staatliche Akademie verlassen.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Hermann Heuß beteiligte er sich in der Folge an Architekturwettbewerben für den Wiederaufbau der Stadt Chemnitz. Aus seiner Feder stammt zum Beispiel der erste Entwurf für die Gestaltung des Hochschulcampus in Chemnitz an der Reichenhainer Straße.
Wittlinger starb hochbetagt am 9. Januar 1980 in Karl-Marx-Stadt.
(Autoren: Stephan Luther und Mario Steinebach / Quelle: Personalakte Wittlinger Universitätsarchiv Chemnitz 100/339)
Mario Steinebach
02.02.2017