Die Wurzeln des modernen Staates
Im Rahmen seiner Antrittsvorlesung lud Jun.-Prof. Dr. Marian Nebelin am 27. Juni 2017 zu einer Zeitreise in die Antike
Bereits zur Begrüßung im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz (smac) betonte Prof. Dr. Stefan Garsztecki, Dekan der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz, dass die Erforschung der Antike „nicht nur eine wissenschaftliche Disziplin“ darstelle, sondern in dieser Epoche auch die „Wurzeln Europas“ zu finden seien. „Dieser Umstand unterstreicht die Notwendigkeit und Relevanz der Erforschung der Antike.“ Nach der Vorstellung des Hauptredners dieses Abends, Jun.-Prof. Dr. Marian Nebelins, übergab er das Wort an smac-Direktorin Dr. Sabine Wolfram. Wolfram hob das Forschungsinteresse Nebelins für die Antike und Europa besonders hervor: „Wir haben mit Marian Nebelin nicht nur im Rahmen des Chemnitzer Olympia-Tags zusammengearbeitet. Wir haben sein Engagement in der Vergangenheit auch bei einigen Ringvorlesungen zu schätzen gewusst“, sagte die Museumsdirektorin. Sie freue sich auf die kommende Zusammenarbeit mit ihm und der TU Chemnitz im Allgemeinen.
Moderner Staat als Fernprodukt religiöser Emanzipation
Im Anschluss an die Worte seiner Vorredner sprach Jun.-Prof. Marian Nebelin vor den circa 80 anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörern zum Thema „Gemeinschaft und Gottesstaat – Die religiösen Ursprünge des modernen Staates in der Spätantike“. „Historische Ursprungs-geschichten sind rückblickende Erzählungen. Sie erklären jüngere Phänomene oder helfen, diese zu verstehen“, erklärte der Althistoriker zu Beginn seines Vortrages. Er betonte deutlich, dass „das Thema des heutigen Vortrags nur eine Ursprungsgeschichte des modernen Staates“ sei. Hochgradig umstritten sei außerdem, wie man überhaupt einen Staat und gleichermaßen auch Modernität definiere.
Bevor Nebelin die religiöse Grundlegung des modernen Staates in der Spätantike rekonstruierte, stellte er dem Publikum zwei Möglichkeiten vor, wie ein Althistoriker von „Staat“ sprechen kann. Hierbei erläuterte er die Begriffe transhistorische und historische Staatsvorstellung und gab zu bedenken, dass vorherrschende Kennzeichen des modernen Staates eher unsauber seien und es weniger problematisch erscheine zu klären, was der Staat nicht sei. Im weiteren Verlauf stellte der Historiker klar, dass eine Voraussetzung von Religion und Staat gewesen sei, dass „Religion und Politik überhaupt getrennt gedacht werden konnten“.
In seinen folgenden Ausführungen beschrieb Marian Nebelin nicht nur die Begrifflichkeiten des „Politischen“ und des „Religiösen“ nach Cicero, er gab auch zu verstehen, dass der Philosoph die „Aristokraten als Scharnier zwischen den Welten Haus, Gemeinwesen und Kosmos“ sah. Anschließend sprach der Historiker über die politische Theologie im antiken Judentum und ihren sechs geschichtlichen Erfahrungsstationen, welche die jüdische Orthopraxie geprägt haben. Als Weiterentwicklung jüdischer Staatsauffassung thematisierte er die politische Theologie der christlichen Denker Laktanz und Eusebius. Diese beschäftigten sich in der Zeit um 300 n. Chr. mit der Entwicklung des Christentums von der verfolgten, zu einer erlaubten und schließlich dominierenden Religion. Beide machten sich vor allem das „Primat des Religiösen“ zu Nutze, um Politik religiös zu verankern.
Schließlich schwenkte Marian Nebelin über zu dem ‚Kirchenvater‘, Theologen und Bischof Augustinus, welcher eine Trennung von Religion und Staat anstrebte und darauf aufbauend ein utopisches Bild von einer Welt ohne Politik entwarf – den sogenannten postapokalyptischen Gottesstaat. Mit diesem Denken erreichte er ein Extrem, welches die vollständige Autonomie der Religion zum Ziel hatte.
Am Schluss seiner Vorlesung angelangt, zeigte Nebelin allerdings die Chance für das Politische auf, die sich im absoluten Vorrang des Religiösen nach Augustinus vollzogen hatte: „Drehte man diese Vorstellung um, so konnte man mit ihrer Hilfe auch versuchen, das Politische und die Politik von der Religion abzugrenzen“, erläuterte der Historiker. Besonders deutlich trete dieser Ansatz bei dem Philosophen Thomas Hobbes auf, welcher den Staat als säkulare Ordnungsmacht mittels der Trennung von Politik und Religion erdachte. Doch das ist ein Thema für einen anderen Vortrag.
Abschließend würdigte Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Inhaber der Professur Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und stellvertretender Vorsitzender des Förder-vereins des Instituts für Europäische Geschichte an der TU Chemnitz e.V., Nebelin und hob seine erfolgreich beendete Einwerbung eines sechsstelligen Betrags von Fördermitteln für zwei durch den Europäischen Sozialfonds geförderte Landesinnovationspromotionsprojekte besonders hervor. Die Projekte befassen sich unter geschichts- und tourismus-wirtschaftlichen Gesichtspunkten mit Themen aus dem Forschungsschwerpunktbereich „Sachsen und die Antike“, der ein Alleinstellungsmerkmal der Juniorprofessur darstellt. (Autor: Lars Meese)
Zur Person: Jun.-Prof. Dr. Marian Nebelin
Seit 2015 hat der gebürtige Leverkusener Marian Nebelin die Juniorprofessur für Antike und Europa mit besonderer Berücksichtigung der Antikerezeption am Institut für Europäische Geschichte der Technischen Universität Chemnitz inne.
Von 2002 bis 2009 studierte Nebelin die Fächer Geschichte, Evangelische Theologie und Philosophie/Ethik in Dresden und Paris. Darauf folgten ein Graduiertenstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung und eine Tätigkeit als Lehrbeauftragter im Fach Alte Geschichte an der Universität Münster.
2010 begann Marian Nebelin seine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin. 2014 promovierte der Althistoriker mit einer Arbeit zu „Freiheit und Gewalt. Die Semantik des Politischen bei Cicero“im Fach Alte Geschichte an der Technischen Universität Dresden. Er fungiert außerdem als Vorsitzender des kürzlich gegründeten Fördervereins des Instituts für Europäische Geschichte an der TU Chemnitz e.V.
Matthias Fejes
29.06.2017