Dank schlauer Materialien den Naturgesetzen trotzen und Gefahren frühzeitig erkennen
Bundesexzellenzcluster MERGE präsentiert vom 27. Februar bis 1. März 2018 auf der Messe embedded world 2018 das Nutzungspotential von intelligenten Metamaterialien für den Leichtbau
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Bundesexzellenzclusters MERGE und des Zentrums für Mikrotechnologien der Technischen Universität Chemnitz sowie des Fraunhofer-Instituts für Elektronische Nanosysteme ENAS präsentieren ihre Forschungserkenntnisse zur Detektion von stofflichen Veränderungen in Leichtbaustrukturen mittels sogenannter Metamaterialien auf der embedded world 2018. Vom 27. Februar bis 1. März 2018 können sich Fachbesucher und Interessierte auf der Weltleitmesse für eingebettete Systeme im Messezentrum Nürnberg über die Anwendung, Sicherheit und Entwicklung dieser und weiterer elektronischer Systeme sowie Smart Textiles auf der MERGE-Präsentationsfläche auf dem Gemeinschaftsstand „Forschung für die Zukunft“ (Stand 665) in Halle 4 informieren.
Mikrowellen im Griff
Metamaterialien sind durch das Einbringen von Resonatoren in zwei- oder dreidimensionaler regelmäßiger Anordnung künstlich hergestellte Materialien. Sie sind in der Lage, elektromagnetische Wellen, wie etwa Mikrowellen, in ihrer Ausbreitung zu beeinflussen. Im Fokus der Chemnitzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen der Entwurf und die Herstellung von Metamaterialien mit sensorischer Funktion durch Anwendung elektromagnetischer Resonatoren und deren Integration in Leichtbaustrukturen. „Elektromagentische Resonatoren stellen schwingungsfähige Systeme dar, die sich mittels elektromagnetischer Wellen zur Resonanz anregen lassen“, erklärt Toni D. Großmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesexzellenzcluster MERGE. Im Bereich der Resonanz zeigen Resonatoren ein frequenzabhängiges Verhalten, worüber das Absorptions-, Reflexions- und Transmissionsverhalten elektromagnetischer Wellen gesteuert werden kann. Besteht zudem eine enge Kopplung zwischen benachbarten Resonatoren, so können sich stark lokalisierte elektrische sowie magnetische Felder ausbilden, die für die Realisierung einer passiven Sensorik genutzt werden.
Potenzielle "Eisdetektive" der Windkraftanlagen
Die Forschenden haben bereits erfolgreich sensorische Metamaterialien entwickelt und in ein Rotorblatt integriert. „Aktuell arbeiten wir an Metamaterialien zur Eisdetektion, um zum Beispiel eisbedeckte Rotorblätter von Windkraftanlagen rechtzeitig zu erkennen und damit Eisflug vorzubeugen, sowie den sicheren Betrieb der Anlagen zu garantieren, indem bei Vorliegen von Eisansatz automatisch der Betrieb der Anlage eingestellt wird. Für den Betrieb dieser Anlagen ist das ein wesentlicher Sicherheitsaspekt, denn wenn sich Eisstücke lösen und weggeschleudert werden, können diese zu einer großen Gefahr werden“, so Großmann.
Gitter aus gestickten Kupferfäden oder gedruckter Silbertinte
Die Herstellung derartiger Resonatoren erfolgt am Bundesexzellenzcluster MERGE durch großserienfähige Technologien wie Stick- oder Drucktechniken. Dabei wird entweder ein Kupferfaden aufgestickt oder Silbertinte aufgedruckt, um leitfähige Strukturen auf Textiloberflächen oder Folien zu applizieren. Beim Rotorblatt wurde beispielsweise eine mit Silbertinte bedruckte Folie verwendet. Die Leitfähigkeit der gedruckten Resonatoren wurde durch Sintern erzeugt, ein Verfahren bei dem dank hoher Temperaturen das Lösungsmittel der Tinte entweicht und sich kleinste Nanosilberpartikel miteinander verbinden, um so eine geschlossene sowie leitfähige Fläche auszubilden. Die Resonatoren werden dabei periodisch zu einem zweidimensionalen Gittermuster - einem sogennaten Array - angeordnet, wodurch ein flächiges Auftragen der Metamaterialien auf Leichtbaustrukturen ermöglicht wird. „So wirkt die Struktur wie ein homogenes Material“, erläutert Michael Heinrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesexzellenzcluster. „Metamaterialien eignen sich besonders für den Leichtbau, da sie nicht wie Sensoren verkabelt werden müssen oder nur punktuell eigesetzt werden können, sondern großflächig integriert werden und passiv arbeiten“, so Heinrich weiter.
Kleine Resonatoren, große Wirkung
„Für eine optimale Anwendung bei einer Frequenz von 24 Gigahertz müssen die Resonatoren wesentlich kleiner als zwölf Millimeter sein. Dies garantiert, dass die einzelnen Resonatoren aufgrund der Wellenlänge bei 24 Gigahertz nicht durch die elektromagnetische Welle aufgelöst werden können und somit das Material mit den integrierten Resonatoren als homogen erscheint. Gleichzeitig erreicht man eine höhere Empfindlichkeit und Auflösungsvermögen, die für die Anwendung als passiver Sensor von Vorteil sind. In MERGE werden Resonatoren mit einer Größe im Bereich von einem bis vier Millimetern genutzt. Die Größe der Resonatoren ist stark von der Geometrie und den umgebenden Materialien sowie dem Anwendungsfall abhängig“, fügt Toni Großmann hinzu. Je nach Größe und Anwendung der Resonatoren erfolgt zudem gleichzeitig eine Technologieentwicklung für deren Herstellung im Rahmen von MERGE.
Warn- und Sicherheitssysteme für LKW- und PKW-Reifen
Ziel der Nutzung von elektromagnetischen Resonatoren für sensorische Metamaterialien ist stets eine Detektion von stofflichen oder strukturellen Veränderungen. So können Dehnungen, Stauchungen, Schäden oder Veränderungen am Bauteil sowie das Eindringen von Feuchtigkeit oder Luft durch Materialdefekte, wie Brüche oder Risse, erkannt werden noch bevor es zu einer Funktionsbeeinträchtigung oder einem Komplettausfall des Bauteils kommt. Neben dem Rotorblatt sind auch zahlreiche andere Anwendungen in der Zukunft denkbar. „Jeder hat mit Sicherheit schon einmal zerstörte oder verlassene Reifenteile von LKWs am Autobahnrand liegen sehen. Löst sich aufgrund von Feuchteeintrag, hohen Temperaturen und hohen Fahrgeschwindigkeiten die Reifenlauffläche von der Karkasse, so kommt es zum Verlust der Funktionstüchtigkeit der Autoreifen. Eine gefährliche Angelegenheit, die LKWs und PKWs ins Schleudern bringen kann“, erklärt Toni Großmann. Damit eine solche auftretende Delamination möglichst frühzeitig erkannt werden kann, könnten zukünftig die Chemnitzer Metamaterialien als Metall-Resonatoren-Kombination in das Gummi der Reifen eingebettet werden. „Sozusagen als eigenes Warn- und Sicherheitssystem für LKW- und PKW-Reifen,“ so der Wissenschaftler. Ein weiteres Anwendungsszenario für sensorische Metamaterialien könnte der Einsatz zur Detektion des Osmose-Prozesses bei glasfaserverstärkten Schiffsrümpfen sein, um Feuchtigkeitseinlagerungen im Glasfaserverbundmaterial oder Fouling anzuzeigen, so dass frühzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.
Weitere Informationen erteilen Toni D. Großmann, Telefon 0371 531-33483, E-Mail toni-dirk.grossmann@zfm.tu-chemnitz.de, und Michael Heinrich, Telefon 0371 531- 32318, E-Mail michael.heinrich@mb.tu-chemnitz.de.
(Autorinnen: Melissa Martinelli und Diana Ruder )
Mario Steinebach
27.02.2018