Promillegrenze für die virtuelle Welt?
Studie der TU Chemnitz geht der Frage nach, wie Virtual-Reality-Nutzer unter Alkoholeinfluss die virtuelle Welt wahrnehmen – Ergebnisse sind im Nature research journal „Scientific Reports“ erschienen
Mario Lorenz, Wissenschaftler an der Professur Werkzeugmaschinen und Umformtechnik der Technischen Universität Chemnitz, beschäftigt sich forschungsseitig täglich mit Virtuell-Reality-Technologien. „Ich beobachte seit Jahren, wie Nutzer eine Präsenz verspüren, wenn sie in die virtuelle Welt eintauchen, also ein Gefühl dort zu sein und selbst zu interagieren“, sagt der Wissenschaftler. Doch was passiert bei diesem Prozess im Körper des Nutzers, wenn zuvor bewusstseinsverändernde Substanzen wie Medikamente oder Alkohol zu sich genommen wurden? Dieses gesellschaftlich immer relevanter werdende Thema ließ Lorenz nicht mehr los: „Je besser und realitätsnäher man die virtuelle Realität gestaltet, je mehr Sinne angesprochen werden und je echter sich die Szenen für den Nutzer anfühlen, umso wichtiger wird die Frage, ob VR-Anwendungen in Verbindung mit wahrnehmungsverändernden Substanzen gesundheitliche Schäden verursachen können“, so Lorenz. Die Relevanz dieses Themas zeige sich im Besonderen bei VR-Anwendungen im Bereich Home-Entertainment oder bei medizinischen VR-Therapien, die beispielsweise bei der Behandlung von Ängsten genutzt werden.
Zusammen mit seiner Kollegin Jennifer Brade führte Lorenz daher eine Studie mit 54 Probanden durch, die mit einem Alkoholpegel von unter 0,4 Promille in der 5-Seiten-CAVE der Professur einen virtuellen Geocaching-Spaziergang durch die Chemnitzer Innenstadt unternahmen. Anschließend beschrieben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen anhand von Fragebögen ihr Gefühl der Präsenz und ihre Erfahrungen (User Experience) in der VR-Umgebung. „Die Auswertung der Fragebögen zeigte überraschenderweise keine Unterschiede der 23 Teilnehmer unter Alkoholeinfluss mit denen der 31 Personen umfassenden Kontrollgruppe“, sagt Lorenz.
Die Chemnitzer Studie entstand in einer internationalen Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universitätsklinik Leipzig, der University of Otago in Neuseeland, des Austrian Institute of Technology in Österreich und der University of Gothenburg in Schweden. Die wissenschaftliche Veröffentlichung zum Thema „Presence and User Experience in a Virtual Environment under the Influence of Ethanol: An Explorative Study“ erschien unlängst im Nature research journal „Scientific Reports“ und ist unter folgendem Link nachzulesen: https://www.nature.com/articles/s41598-018-24453-5
Lorenz spricht sich heute für weitere Studien in Zusammenarbeit mit medizinischen Partnern aus, in denen man Untersuchungen mit höheren Alkoholmengen bzw. anderen bewusstseinsverändernden Substanzen, insbesondere Medikamenten und anderen VR-Anwendungen, machen sollte: „Uns ist bewusst, dass wir mit dieser kleinen ersten explorativen Studie wissenschaftliches Neuland betreten haben. Umso wichtiger ist es, weitere Wissenschaftlerteams zu gewinnen, die sich der Forschung an diesem Thema widmen. Dies wäre sowohl im Interesse der Hersteller, als auch der Nutzer, um den Einfluss von VR auf die Wahrnehmung, Kognition und Psyche des Menschen weiter zu untersuchen und mögliche gesundheitliche Schäden auszuschließen.“
(Autoren: Katja Klöden, Mario Steinebach)
Mario Steinebach
29.06.2018