Springe zum Hauptinhalt
Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
TUCaktuell
Pressestelle und Crossmedia-Redaktion 
TUCaktuell Menschen

„Ich bin viel leidenschaftlicher bei dem, was ich mache“

Polnische Studentin Natalia Przybysz berichtet im Interview über ihr Studium und Leben in Chemnitz

Im Jahr 2017 verzeichnete die Technische Universität Chemnitz über 11.000 Studierende, davon mehr als 3.000 ausländische Studierende. Doch wieso entscheiden sich Studierende aus anderen Ländern überhaupt für Chemnitz? Und haben sie ihre Entscheidung jemals bereut? Diese und viele weitere Fragen hat die Zeitung „BLICK CHEMNITZ“ unter der Rubrik "Chemnitz - ein beliebter internationaler Studienort?" ausländischen Studierenden verschiedener Herkunft gestellt.

Nach dem ersten Interview mit Rabia Bacaksiz aus der Türkei stellt sich nun Natalia Przybysz den Fragen der BLICK-Reporterin Kim Hofmann. Die 24-jährige Polin studiert Anglistik/Amerikanistik an der TU Chemnitz.

Warum und wann hast du dich für Chemnitz entschieden?

Ich kam zunächst als Studentin des Erasmus-Programms im Jahr 2015 nach Chemnitz. Ich war gerade dabei, Anglistik in Polen zu studieren. Dort waren sowohl englische Sprachwissenschaft als auch Deutsch Teile meines Studiums. Als es darum ging, ein Auslandssemester zu absolvieren, war mein erster Gedanke Deutschland, denn das lag aufgrund meines Studienschwerpunktes sehr nah. Ich wollte meine deutschen Sprachkenntnisse verbessern. Da war auch Chemnitz auf der Liste. Dass ich dann tatsächlich hierher kam, war auch ein bisschen Zufall. Seitdem ich hier bin, gefällt es mir wahnsinnig gut. Der Campus und die Uni an sich sind wunderschön. Und auch die Art, wie hier unterrichtet wird, ist so ganz anders und damit besser als in Polen. Dort ging es mehr um Inhalte aus der Vergangenheit, die man wiederzugeben hat, statt auch aktuelle Punkte mit einzubeziehen und darüber diskutieren zu können. Wie hier kritisch über Themen gesprochen wird und wie leidenschaftlich die Dozenten sind, gefällt mir sehr gut. Es sind auch kleinere Gruppen als in Polen, die das Lernen hier einfacher machen. Das ist auch ein wichtiger Grund, weshalb ich mich dazu entschieden habe, wieder hierher zurückzukehren. Da kommt auch noch dazu, dass ich mich nicht nur in die Stadt, sondern auch in meinen jetzigen Freund hier verliebt habe. Da musste ich einfach zurückkommen.

Was halten deine Familie und Freunde davon, dass du hier lebst?

Natürlich vermissen sie mich sehr, sehr stark. Gerade meine Mutter wollte mich deswegen überreden, in Polen zu bleiben (lacht). Aber heute versteht jeder, dass es eine gute Entscheidung war. Sie sehen, wie viel Spaß es mir macht, hier zu leben und auch zu studieren. Ich bin mittlerweile sehr viel leidenschaftlicher bei dem, was ich mache. All das hilft mir auch für mein späteres Leben weiter.

Wofür ist Chemnitz in deiner Heimat bekannt?

Eigentlich kennen sie Chemnitz als "Karl-Marx-Stadt". Außerdem sehen sie in Chemnitz viele Gemeinsamkeiten mit Lodz, meiner Heimatstadt. So zum Beispiel viele große ehemalige Industriegebäude, die heute nicht mehr genutzt werden. Sie zeigen Mitgefühl, denn sie wissen, wie es ist, viele leere Gebäude und Plätze zu haben. Eigentlich könnte man diese Gebäude ja noch nutzen. 

Was magst du am meisten an Chemnitz?

Im Gegensatz zu anderen Städten hat Chemnitz eine so schöne Universität - und besonders der Campus gefällt mir sehr gut. Es ist wie eine kleine Stadt mitten in der Stadt. Man hat hier alles was man braucht - sogar ein Kino. In Chemnitz mag ich besonders die älteren Gebäude, wie viele der Häuser auf dem Kaßberg. Das sind keine neuen Plattenbauten, sondern wunderschöne ältere Häuser, die renoviert wurden. Aber auch, was alles auf dem Sonnenberg, wo ich wohne, gemacht wird, finde ich toll. Es heißt immer, es sei der schlimmste Ortsteil von Chemnitz, aber ich kann gar nicht verstehen wieso. Gerade im letzten Jahr hat sich so viel getan. Jede Woche ist etwas anderes los.

Was würdest du an Chemnitz ändern, wenn du könntest?

Da wären wir wieder bei dem Thema der leeren Gebäude. Im Gegensatz zu Chemnitz werden in Lodz solche alten Betriebsgebäude renoviert und neu aufgebaut, damit man sie wieder nutzen kann, zum Beispiel als Geschäftsräume oder als Zentren für Jugendliche, mit Bibliotheken und Treffpunkten. Das ist viel besser als neue Gebäude zu bauen. Besonders, weil die alten Häuser auch so schön sind. Außerdem denke ich, dass wir uns mehr auf junge Leute konzentrieren sollten, besonders weil es hier viele Studenten gibt. Es braucht mehr an Plätzen außerhalb des Campus, wo sich junge Leute treffen können, zum Beispiel einfache Cafés, was in Lodz gang und gebe ist. Das ist vor allem wichtig, um die Jüngeren dazu zu bringen, auch hier zu bleiben! Viele gehen nach Leipzig, Dresden oder in den Westen. Neben Cafés könnten auch mehr Konzerte, Ausstellungen, Festivals oder andere kulturelle Events überzeugend sein, weiterhin in Chemnitz zu bleiben.

Hast du deine Entscheidung, hierher zu kommen, jemals bereut?

Ich denke, dass ich damals die beste Entscheidung getroffen habe, die ich hätte treffen können. Und ich würde es auch jetzt noch mal so machen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nach den letzten Ereignissen in Chemnitz mir es zweimal überlegen würde, hierher zu gehen. Leute haben mir nicht direkt gesagt, dass ich hier nichts zu suchen habe, aber wenn ich beispielsweise erzähle, dass ich Englisch studiere, heißt es: "Aber wir haben hier doch genug Englischlehrer, wäre es da nicht besser, in Polen weiter zu studieren?". Mir fällt es schwer, das in Worte zu fassen. Aber manchmal bemerke ich so eine Stimmung, dass es manchen Chemnitzern besser gefallen würde, wenn ich wieder zurück nach Polen gehen würde. Allerdings sind das nur wenige Leute außerhalb der Universität; hier ist jeder nett und heißt mich willkommen.

Würdest du Freunden aus Polen empfehlen, hier zu studieren?

Natürlich, aber nicht nur auf Chemnitz bezogen. Ich finde, es ist generell sehr wichtig, mal seine Komfort-Zone zu verlassen und Neues zu entdecken, neue und andere Kulturen und deren Systeme kennenzulernen. Die Vielfalt an der Uni hat mich dahingehend sehr geprägt. Ich denke, wir könnten so viel erreichen, wenn wir auch mehr miteinander reden würden, egal, welcher Meinung man ist. Da geht es nicht um richtig oder falsch. So habe ich zum Beispiel bei dem Gespräch mit einem chinesischen Mädchen erfahren, dass Chemnitz viel barrierefreier ist, als sie es sonst gewohnt ist. Das ist beispielsweise eine Sache, die mir bisher nie aufgefallen ist, aber es macht Sinn. Und das erfährt man nur, wenn man mit anderen redet.

Wie du vielleicht weißt, hat sich Chemnitz als "Europäische Kulturhauptstadt 2025" beworben. Woran denkst du, wenn du "Chemnitzer Kultur" hörst?

Aus der Perspektive der Studenten ist es natürlich großartig, so viele Museen kostenlos besuchen zu können. Aber auch das Filmfestival Schlingel, bei dem ich mitgewirkt habe, war sehr international – und das schätze ich sehr. Trotzdem finde ich, dass in Chemnitz noch viel Potential steckt und noch mehr möglich ist. Ich meine, ich komme aus einer Stadt, die zwar genau so groß ist wie Chemnitz, aber drei Mal mehr Einwohner hat, und auch viel mehr in die Kulturarbeit steckt.

Denkst du, dass Chemnitz eine Chance haben könnte, den Titel zu gewinnen?

Ich denke schon, dass sehr viel Aufwand betrieben wird, und dahingehend hat Chemnitz gute Chancen. Allerdings muss meiner Meinung nach noch Einiges getan werden.

(Hinweis: Unter der Rubrik "Chemnitz - ein beliebter internationaler Studienort?" veröffentlichte der "BLICK CHEMNITZ" am 19. Oktober 2018 dieses Interview, das wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion auf "Uni aktuell" veröffentlichen können.)

Mario Steinebach
08.11.2018

Alle „TUCaktuell“-Meldungen
Hinweis: Die TU Chemnitz ist in vielen Medien präsent. Einen Eindruck, wie diese über die Universität berichten, gibt der Medienspiegel.