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Perfektoide Räume und die Geometrie der Zahlen

Delegation der Fakultät für Mathematik nahm an „Chow Lectures“ in Leipzig teil und traf dort auf Peter Scholze, der vor wenigen Wochen mit der Fields Medaille ausgezeichnet wurde

Die ganzen Zahlen sind die Zahlen … -3, -2, -1, 0, 1, 2, 3, … Sie faszinieren Mathematiker seit jeher und werden vor allem in der Zahlentheorie studiert. Ein Schlüssel zu ihrem Verständnis sind Primzahlen — also diejenigen positiven ganzen Zahlen, die nur durch eins und sich selbst teilbar sind. Für Mathematiker sind Primzahlen und die damit verbundenen Fragestellungen vornehmlich von unnachahmlicher Schönheit. Aber auch für Nichtmathematiker spielen sie eine große Rolle im Alltag, denn sie sind beispielsweise für viele Anwendungen in der Kryptographie von enormer Bedeutung und ermöglichen damit den sicheren Datenaustausch beim Online-Banking, Einkaufen im Internet, Kommunikation und ähnlichen Bereichen.

Es ist eine allgemeine Philosophie der Algebraischen Geometrie, dass man Zahlbereiche wie die ganzen Zahlen als geometrisches Objekt betrachten sollte. Unsere Vorstellung von Geometrie basiert auf Kurven in der Ebene, Flächen im Raum und ähnlichen manifest geometrischen Objekten. Aber auch die ganzen Zahlen offenbaren nach genauerer algebraischer Analyse eine ihnen innewohnende Geometrie. Diese springt einem nicht unmittelbar ins Auge, es ist vielmehr so, dass man mit Hilfe der Geometrie eine Vorstellung der ganzen Zahlen entwickelt, die unserer anschaulichen Geometrie nachempfunden ist. Man kann somit die gesamte Intuition der Geometrie auf zunächst abstrakte Fragestellungen aus der Zahlentheorie oder Algebra anwenden. Diese moderne Form der Algebraischen Geometrie wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Alexander Grothendieck und seiner Schule entwickelt und ist heute ein wichtiger Bestandteil des mathematischen Theoriegebäudes. Neben vielen Querverbindungen zu anderen mathematischen Disziplinen spielt die Algebraische Geometrie auch einer immer wichtigere Rolle in den Anwendungen wie z. B. in der Optimierung, der mathematischen Physik und Biologie, der Statistik und in interessanten Ansätzen auch bei gewissen numerischen Berechnungen.

Die geometrische Betrachtungsweise der Zahlentheorie hat sich in der Vergangenheit bereits als sehr zielführend erwiesen. Ihr ist es zum Beispiel zu verdanken, dass solch spannende mathematische Fragen wie die Fermatsche Vermutung, formuliert von dem französischen Mathematiker Pierre de Fermat vor mehr als 350 Jahren, im Jahre 1994 von dem britischen Mathematiker Andrew Wiles gelöst werden konnten.

Ein wichtiger und sehr lebhafter Gegenstand der aktuellen Forschung ist die Untersuchung der bereits erwähnten geometrischen Struktur der Zahlentheorie mit Methoden der Analysis, also mit dem Teilgebiet der Mathematik, welches auf der Infinitesimalrechnung von Newton und Leibniz aufbaut. Die Analysis ist von großer Bedeutung z. B. in den Ingenieurswissenschaften und wird es auch immer stärker in der Zahlentheorie, wobei neben der klassischen Analysis aber auch neue Formen von Analysis entwickelt wurden, die eine enge Verbindung zu den Primzahlen haben. Dazu wird der Zahlbereich zu den sogenannten p-adischen Zahlen erweitert. Das p in „p-adisch“ steht hierbei für eine Primzahl wie etwa 2,3,5,7,11… Es gibt heutzutage also unendlich viele verschiedene Formen der Analysis: die klassische Analysis und eine weitere für jede Primzahl. Die Harmonie all dieser erscheint uns der Schlüssel zum Verständnis der Primzahlen.

Die ganzen Zahlen und ihre Geometrie, p-adische Analysis — all das, was man unter dem Titel Arithmetische Geometrie zusammenfasst, gehört zum Forschungsgebiet von Peter Scholze, dem Hauptvortragenden der diesjährigen Chow Lectures, einer Vortragsreihe, die vom Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig ausgerichtet wird und regelmäßig auch unter Chemnitzer Beteiligung stattfindet. Dieses Mal fand sie in der Zeit vom 5. bis 7. November 2018 in Leipzig statt. Scholze, gebürtig aus Dresden, studierte bei Michael Rapoport in Bonn, wo er 2012 promoviert und im selben Jahr zum Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn berufen wurde. Seit Anfang 2018 ist Scholze Direktor des Max-Planck-Instituts für Mathematik in Bonn.

Er gehört zu den renommiertesten Mathematikern unserer Zeit und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter ein Clay Research Fellowship 2011, den SASTRA Ramanujan Prize 2013, den Clay Research Award 2014, den Colepreis 2015 und den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2016. Er war 2014 und 2018 „Invited Speaker“ auf dem Internationalen Mathematikerkongress ICM. Für seine fundamentalen Arbeiten im Bereich der Arithmetischen und Algebraischen Geometrie wurde Scholze im Sommer dieses Jahres auf dem ICM in Rio de Janeiro mit der Fields Medaille ausgezeichnet, der höchsten Ehre, die einem Mathematiker zuteil werden kann.

In seiner Dissertation, die international viel Aufsehen erregt hat, hat Scholze das Konzept der sogenannten Perfektoiden Räume eingeführt. Dies sind sozusagen die Highend-Version der ursprünglichen Grothendieckschen Idee, die Zahlentheorie geometrisch zu verstehen. Im Gegensatz dazu fügt Scholzes Theorie jedoch der algebraisch-geometrischen Idee eine starke analytische Komponente hinzu, hauptsächlich im Kontext der p-adischen Analysis. Damit haben Scholze und in der Folge auch zahlreiche andere Wissenschaftler viele große offene Probleme der Arithmetischen Geometrie lösen und verstehen können.

Die „Chow Lectures“ wurden 2017 ins Leben gerufen und haben es zum Ziel, dass Mathematiker von höchstem internationalen Renommee für ein breites Publikum zugänglich über ihre Forschungsarbeit berichten. Diese Veranstaltung hat seither auch immer unter Mitarbeit und Beteiligung von Chemnitzer Wissenschaftlern stattgefunden. Der Besuch von Peter Scholze ist wahrscheinlich eines der absoluten Highlights des Sächsischen Mathematikjahres 2018 und ist auch mit Chemnitzer Beteiligung zustande gekommen: Die Organisatoren waren Mateusz Michalek, W2 Research Group Leader am MPI MiS und Christian Lehn, Juniorprofessor für Theoretische Mathematik an der TU Chemnitz. Unterstützt wurden sie von Max-Planck Direktor Bernd Sturmfels und weiteren jungen Wissenschaftlern, die mit einführenden Vorträgen das Event begleiteten. Von der Kooperation profitiert die Fakultät für Mathematik der TU Chemnitz, die dieses Jahr wieder mit einer Delegation (s. Foto) an den Chow Lectures teilnahm.

(Autor: Christian Lehn)

Mario Steinebach
09.11.2018

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