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"Ich möchte Chemnitz etwas zurückgeben"

Amjad Alfayad aus Syrien berichtet im Interview über sein Studium und Leben in Chemnitz

Im Jahr 2017 verzeichnete die Technische Universität Chemnitz über 11.000 Studierende, davon mehr als 3.000 ausländische Studierende. Doch wieso entscheiden sich Studierende aus anderen Ländern überhaupt für Chemnitz? Und haben sie ihre Entscheidung jemals bereut? Diese und viele weitere Fragen hat die Zeitung „BLICK CHEMNITZ“ unter der Rubrik "Chemnitz - ein beliebter internationaler Studienort?" ausländischen Studierenden verschiedener Herkunft gestellt.

Nun stellt sich Amjad Alfayad den Fragen der BLICK-Reporterin Kim Hofmann. Der 27-jährige Syrier flüchtete im Jahr 2015 nach Deutschland. Er studiert heute im Master Anglistik/Amerikanistik an der TU Chemnitz.

Warum und wann hast du dich für Chemnitz entschieden?

Ich kam im September 2015 nach Deutschland - wegen mehrerer Gründe. Zum einen wegen der Situation in meiner Heimat Syrien, aber auch, weil ich zum Wehrdienst aufgefordert wurde. Mir war aber klar: Ich könnte niemals jemanden töten, was ich beim Militär hätte tun müssen. Außerdem habe ich erst zwei Monate vorher meine Frau geheiratet - ich beziehungsweise wir konnten unter diesen Umständen einfach nicht bleiben. Ich hatte nur noch bis zum Ende des Jahres Zeit, das Land zu verlassen, ohne zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Und diese Chance nutzten wir.

Was halten deine Familie und Freunde davon, dass du hierhergekommen bist?

Wir sind nur zu zweit hierhergekommen - meine Frau und ich. Meine Familie ist noch in Syrien. Vor etwa zwei Jahren ist der Kontakt abgebrochen; ich habe keine Ahnung, wie es ihnen geht. Sie wollten mich damals auch nicht gehen lassen, sie hatten ja niemanden, denn mein Bruder war schon lang weggegangen. Aber ich meinte: Wenn nicht jetzt, dann nie. Wir hatten keine andere Option.

Hast du deine Entscheidung, hierherzukommen, jemals bereut?

Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es wieder so machen. Denn ich würde gern zurück nach Syrien, es ist meine Heimat. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist das einfach noch nicht möglich - die Zustände lassen es einfach nicht zu. Und ich sehe es - leider - auch nicht so schnell kommen. Solange es einen Diktator gibt, wird sich so schnell nichts ändern. Aber ich bete jeden Tag. Natürlich denke ich dabei auch an meine Tochter. Sie ist jetzt zwei Jahre alt und spricht mittlerweile auch Deutsch; jeden Tag kommt sie mit einem neuen deutschen Wort nach Hause, das ihr gefällt. Wie könnte ich sie aus diesem Umfeld reißen? Das wäre ihr gegenüber nicht fair - besonders aufgrund der Verhältnisse in Syrien, was das Bildungssystem betrifft.

Was magst du am meisten an Chemnitz und der Universität?

Ich mag die Stadt an sich, aber auch die Leute und die Architektur. Die Atmosphäre, in der man hier lebt, ist einfach toll. An der Uni mag ich, wie die Dinge hier laufen - ganz anders als in Syrien. Hier gibt es ein richtiges, geordnetes Bildungssystem. Unsere Uni in Syrien könnte man, im Vergleich zu hier, als eher "niedrigen Standards" bezeichnen. Als ich mich an einer anderen Einrichtung in Damaskus beworben habe, sagten sie mir: "Nein, man kann nicht von einer 'niedrigen' zu einer 'höheren' Universität wechseln". Aber hier in Chemnitz geht das auch, ich meine, ich studiere jetzt an einer höher qualifizierten Universität als in Syrien, und das gefällt mir wirklich gut. Ich habe auch das Ziel, wenn es mir möglich ist, hier meine Dissertation zu schreiben. Ich mag auch, wie die Dozenten hier unterrichten. Wenn man gut ist, bekommt man auch eine gute Note, und andersherum. Da ist keine Vorentscheidung aufgrund von Mögen und Nicht-Mögen.

Wenn du könntest, was würdest du an Chemnitz ändern?

Es ist ein Fakt, dass immer mehr Leute aus Chemnitz wegziehen, beispielsweise wegen niedrigere Löhne im Vergleich zum Westen. Das sollte unbedingt verbessert werden. Ich höre es von Lehrern beispielsweise, die zu wenig Lohn bekommen. Ich unterrichte ja selbst Englisch und werde von Leuten gefragt, warum ich hier bin und nicht zum Beispiel im Westen, wo es mehr Geld gäbe. Aber mir gefällt es hier und ich möchte Chemnitz etwas zurückgeben. Man sollte aber generell mehr für jüngere Leute tun, sie zum Hier-Bleiben zu bewegen. Auch was Integration betrifft. Mir gefällt es hier und ich bin sehr, sehr dankbar. Allerdings habe ich nach fast drei Jahren immer noch sehr wenig Kontakt zu Deutschen.

Würdest du Freunden aus Syrien empfehlen, hier zu studieren oder hierher zu kommen?

Auf jeden Fall. Schon allein aufgrund der guten Universität und der Bildungsstandards. Aber auch, weil man hier Rechte hat und selbst entscheiden kann. Das ist in Syrien nicht so gewesen.

Wie du vielleicht weißt, hat sich Chemnitz als "Europäische Kulturhauptstadt 2025" beworben. Woran denkst du, wenn du "Chemnitzer Kultur" hörst?

Im Vergleich zu anderen europäischen Städten ist Chemnitz eine eher kleine Stadt. Aber wenn ich mir Chemnitz als Stadt angucke, ist sie wirklich sehr modern, besonders was Architektur, Gebäude, die öffentlichen Verkehrsmittel und Einrichtungen betrifft. Das ist alles modern und fortschrittlich. Allerdings ist Moderne nicht alles. Natürlich geht es auch um die Leute. Ereignisse, wie die Demonstrationen jeden Freitag, könnten dem Ganzen im Wege stehen. Dazu kommt auch noch, dass es viel zu wenig Schulen und Kindergärten gibt.

Denkst du, dass Chemnitz eine Chance haben könnte, den Titel zu gewinnen?

Ja, auf jeden Fall, auch wenn es einige Faktoren gibt, die in der Zukunft verbessert werden können.

(Hinweis: Unter der Rubrik "Chemnitz - ein beliebter internationaler Studienort?" veröffentlichte der "BLICK CHEMNITZ" am 15. November 2018 dieses Interview, das wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion auf "Uni aktuell" veröffentlichen können.)

Mario Steinebach
16.11.2018

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